Verhandlungen des Deutschen Reichstags

MDZ Startseite


MDZ Suchen

MDZ Protokolle (Volltext)
MDZ Register
MDZ Jahr/Datum
MDZ Abgeordnete


MDZ Blättern

Protokolle/Anlagen:
MDZ 1867 - 1895
MDZ 1895 - 1918
MDZ 1918 - 1942

MDZ Handbücher


MDZ Informieren

MDZ Projekt
MDZ Technisches
MDZ Impressum
MDZ Datenschutzerklärung
MDZ Barrierefreiheit

Reichstagsprotokolle (Volltextsuche)

Suchbegriff(e) Erscheinungsjahr: von/ab: bis/vor:

Bitte beachten Sie die Hinweise zu den Recherchemöglichkeiten.

Durchsuchbare Seiten: 390869 - Treffer auf 317 Seite(n)






Verhandlungen des Reichstages des Norddeutschen Bundes. - Berlin, 1870
Bd.: 11. 1870
Signatur: 4 J.publ.g. 1142 y,A-11

ID: 00018307
1 /317
... Es ist nun weiter thatsächlich, daß das gänzliche Zurücktreten der Menschenblattern seit Beginn dieses Jahrhunderts, also seit der Zeit, wo die Einimpfung der Schutzpocken eine allgemeine geworden ist, im Großen und Ganzen die Massen dazu gebracht hat, überhaupt an eine Gefahr der Pocken nicht mehr zu glauben, aber das hat es auf der anderen Seite auch mit sich gebracht, daß die Opposition gegen das Impfen, als Schutzmittel gegen eine scheinbar nicht mehr drohende Krankheit, in so großem Maßstabe zunehmen mußte, daß wir heut uns sagen müssen, die Sache nimmt einen sehr bedenklichen Charakter an. Gerade die Herde dieser Opposition, Paris und Stuttgart, haben in der letzten Zeit der Blatternkrankheit so bedeutende Kontingente liefern müssen, daß dort die Gefahr schon eine ganz große geworden ist und die Erfahrung, die ich aus meinem engeren Vaterlande mitbringe, daß durch die Opposition gegen die Einimpfung der Schutzblattern die Zahl der Geimpften sich z. B. in Leipzig fast auf den vierten Theil gegen frühere Jahre vermindert hat und in meinem eignen Distrikte auf. ziemlich die Hälfte - diese Erfahrung, meine Herren, ist doch so, daß sie zu den ernstesten Bedenken uns anregen muß. Auf der anderen Seite können wir nicht behaupten, daß der Staat unbedingt dazu berechtigt sei, den Einzelnen zu zwingen, eine Impfung der Seinigen vornehmen zu lassen. ...
... Es geht das um so weniger, weil eben die Wissenschaft selbst gestehen muß, daß die Frage über den Nutzen des Jmpfens noch eine offene ist, und leider hat das unsichere Auftreten bedeutender ärztlicher Autoritäten in dieser Richtung dem Impfen selbst in den letzten Jahren noch manchen Stoß versetzt. Ich selbst, der ich zu den wärmsten Freunden des Jmpfens gehöre, muß gestehen, die Frage ist noch eine offene, und zwar deshalb, weilbis jetzt eine genügende statistische Erhebung über den Einfluß des Jmpfens noch nirgends stattgefunden hat. Man hat sich eben anfangs mit den allgemeinen Erfolgen begnügt. Das Einzige, was geschehen ist, war bei Gelegenheit der englischen Parlamentsverhandlungen im Jahre 1855 über den Impfzwangs wo die Opposition gegen das Impfen es dahin brachte, daß die vorhin mehr erwähnte Hauptbehörde für die Gesundheitspflege in England eine statistische Erhebung durch die ganze bewohnte Welt veranlaßte. Nach allen Erdtheilen hin wurden an ärztliche und andere Autoritäten die Fragen gerichtet, und es kam da allerdings zu Gunsten des Jmpfens ein Material zusammen, das Millionen von einzelnen Fällen umfaßte. Aber, meine Herren, eine genügende Erhebung war das deshalb nicht, weil sie nur Fälle betraf, die bereits hinter der Zeit der Erhebung lagen. ...






Verhandlungen des Reichstages. - Berlin, 1872
Bd.: 26. 1872
Signatur: 4 J.publ.g. 1142 yb,A-26

ID: 00018361
2 /317
... : „daß der Jmpszwanz in Deutschland alsbald aufgehoben, und Jeder, welcher es unternimmt, Minderjährige zu impfen, angemessen bestraft werde. Seine Anführungen, wie solche in der Petition und seinen beigefügten Druckschriften niedergelegt sind, lassen sich kurz dahin zusammenfassen. Jahrelang habe er schon gegen die Impfung, welche eitel Lug und Trug sei, gekämpft; die Impfung verstoße nicht nur gegen alle Gesetze der Physiologie, sondern sie richte auch entsetzliche Verheerungen im Organismus an und erzeuge ekelhafte und höchst gefährliche Krankheiten, ohne den mindesten Nutzen zu bringen. Man müsse dieselbe gradezu als einen Würgengel betrachten, welcher die Kinderwelt auf eine schreckenerregende Weise dezimire, das Familienglück untergrabe unddie Volkswohlsahrt beeinträchtige. Es erscheine dieselbe mithin nicht nur als eine höchst verwerfliche, sondern auch insofern als eine strafbare Handlungsweise, weil Unmündige gegen ihren Willen mit einem der ekelhaftesten und stärksten thierischen Gifte unter einem ganz nichtigen Vorwände inficirt werden. Die Vaccine schütze die Menschen nicht, wie man gewünscht habe. Was aber noch das Uebelste dabei sei, das Blut von beinahe allen Menschen habe seine ursprüngliche Reinheit verloren, und daher kämpften wir jetzt so unglücklich mit Krankheiten, die aus einer verdorbenen Blutmischung hervorgehen. Man brauche hier nur den Croup (Halsbräune) und die Dyphteritis zu erwähnen. Ganz ebenso, Wiedas Blatterngift den Körper inficirt, sein Blut verdirbt, ganz ebenso inficire und verderbe das Kuhpockengift den Organismus. Daher seien es grade die Vaccinirten, denen wir die in der neuesten Zeit so kurz auf einander folgenden Blatternepidemien zu verdanken haben. rc. ...

3 /317
... Was die Behandlung der hier vorliegenden Petitionen betreffe, so wollten die Referenten durch ihre diesfälligen Vorschläge keinerlei Entscheidung für oder gegen das Impfen, für oder gegen den Impfzwang andeuten. Indessen bei aller sachlichen Unparteilichkeit müsse man doch erklären, daß die gegen den Impfzwang gerichteten Petitionen bezüglich der Materie selbst nichts Neues beibrächten, vielmehr Bekanntes und anderweit bereits Behauptetes in ziemlich unwissenschaftlicher Form vortrügen. Dagegen fei der von den Petenten aus Königsberg vorgelegte Gesetzentwurf eine wohldurchdachte Arbeit, welche auch den Gegnern des Impfzwanges von Interesse sein müsse, indem dieselben daraus entnähmen, wie sich die Anhänger des vollen Impfzwanges dessen Durchführung denken. ...






Verhandlungen des Reichstages. - Berlin, 1873
Bd.: 27. 1873
Signatur: 4 J.publ.g. 1142 yb,A-27

ID: 00018362
4 /317
... Es wird dann weiter ausgeführt: die Vertheidigung der Zmpstheorie sei zwar durch die fortschreitende Aufklärung sowie durch öffentliche Aussprüche und Mahnrufe von Doktoren, welche an Zmpfanstalten durch Zahre lange praktische Beobachtungen theils als Dirigenten solcher Anstalten, theils als Professoren an Kliniken Gelegenheit gehabt hätten, sich über den Erfolg der Impfung zu unterrichten, an Kredit gesunken, immerhin wäre es aber natürlich, daß die Menge des Volkes, so lange die Impfung von den Behörden empfohlen würde, sich impfen ließe. Es wird drittens Protest erhoben gegen die Mortalitätsregister der Geimpften und der Ungeimpsten als eines unwahren Beweises für die Zweckmäßigkeit der Impfung. Weiter kommt der Kongreß darauf: es fei erwiesen, daß die rationelle Blatternbehandlung in lauen Abspülungen des ganzen Körpers, in luftigem, und kühlem Verhalten des Patienten wie auch in der Entziehung jeder erregenden Nahrung oder Anwendung irgend eines Medikamentes bestehe, somit nicht durch eine medicinische, sondern nur durch eine naturgemäße Behandlung ihre Gefährlichkeit sowohl für den Patienten als ihre Ansteckungsfähigkeit für seine Umgebung fast gänzlich verliere, und deshalb wird schließlich protestirt gegen die Anmaßung der orthodoxen Medicinwissenschaft, daß durch dieselbe Blattern geheilt werden, zugleich auch behauptet, daß eine solche Heilung trotz der Nichtbeachtung des naturgemäßen Heilverfahrens, daher nur durch die eigene Kraft des Patienten vor sich gegangen sei. ...
... Unter anderem wird dort hervorgehoben, die ortsübliche öffentliche Impfung müsse physiologisch als eine öffentliche Pockenansteckung betrachtet werden, das Wort Impfen müsse in den Ausdruck „künstliche Pockenansteckung, künstliche Pockenvergiftung verändert Werden, und ferner theilt der I)r. Oidtmann aus seiner Praxis verschiedene Fälle mit, aus denen er die Schlußfolgerung zieht, daß das Impfen und Wiederimpfen nicht heilsam für die menschliche Gesundheit, sondern nachtheilig sei. Zch darf es mir nach dem, was ich Ihnen schon gesagt habe, gestatten, über den weiteren Inhalt dieser Druckschrift hinwegzugehen und habe als Berichterstatter der Kommission nur noch die Aufgabe, Zhnen schließlich — mag ich selber auch einen vorgeschritteneren Standpunkt einnehmen — den Beschluß der Kommissionsmehrheit zur Annahme zu empfehlen. Derselbe geht dahin: Der Reichstag wolle beschließen, die Petitionen II. Nummer 17 und II. 1074 äs 1873 dem Herrn Reichskanzler mit dem Ersuchen um thunlichste Beschleunigung der Beschaffung des verheißenen statistischen Materials über die Erfolge der . Vaccination und der Revaccination zur Kenntnißnahme zu überweisen. ^1 42* ...

5 /317
... Wenn wir hier nun heute noch einmal statt wirklicher Gründe nur Znvektiven gegen das Impfen und gegen die Zmpfärzte wie gegen alle Diejenigen, die das Impfen vertheidigen, gehört haben, Znvektiven, die zu den gröbsten Schimpfereien und Schmähungen gegen den ganzen Stand der Aerzte, ja, gegen die medicinische Wissenschaft ausgeartet sind, so werden Sie nicht von mir erwarten, daß ich dagegen auch nur ein Wort der Vertheidigung für nöthig halte. Was die vorgebrachten Gründe betrifft, so möchte man sich in der That zurückversetzt glauben in die Zeit von Jenner. Denn als Jenner seine Entdeckung gemacht hatte, da wurden in der nächsten Zeit nicht bloß vom Publikum, sondern gerade von den nun jetzt von den Herren Petenten hart geschmähten Aerzten, als ob sie aus Gewinnsucht und Charlatanerie für das Impfen wären, ähnliche Bedenken geäußert, ob man auch wohl diese neue Methode einführen dürfe. Seit jener Zeit steht uns aber doch eine Statistik zu Gebote von Millionen und aber Millionen Fällen, aus der man ersehen kann, wie das Impfen gewirkt hat, welche Folgen es unmittelbar auf den Organismus des Geimpften gehabt hat, und welche Folgen es im Allgemeinen für die Gesellschaft, das Volk und den Staat gehabt hat. Denn in der That, so großartig sind Folgen und Erfolge gewesen, daß ein ganz neuer Abschnitt der Entwicklung unsres Volkslebens damit begonnen hat. Da steht nun vor Allem fest, was von der wissenschaftlichen Deputation gesagt ist, daß seit der Kuhpockenimpfung die Mortalität bei dieser Krankheit in einem ganz eminenten Grade abgenommen hat. ...
... Nun sagt man:1 „Aber wie viel schwächliche Kinder haben wir, das ganze Geschlecht ist heruntergekommen, ist elend und verdorben dadurch, daß Ihr seine Jugend mit dein Impfen vergiftet habt. Meine Herren, das ist ein Irrthum. Im Ganzen und Großen glaube ich, daß dieses Geschlecht, wie es heutzutage ist, die jetzt lebende Welt, gesünder und besser organisirt ist, als es die Vorfahren gewesen sind. Das ist Alles nur romantischer Humbug mit dem Heroenthum der alten Zeit, wenigstens wenn man es auf den Zustand der Massen anwendet. Die Alten sind schlecht genährt und schlecht gekleidet gewesen und haben schlecht gewohnt, sie sind darum mehr Krankheiten unterworfen gewesen, ansteckende Seuchen haben die Völker häufiger und schwerer heimgesucht und die Lebensdauer ist deshalb eine kürzere gewesen als sie heutzutage ist. Einer dieser gefährlichsten Seuchen treten wir nun mit dem Impfen entgegen und die ganze Geschichte der Krankheiten und des menschlichen Leidens hat nicht noch einen solchen Erfolg auszuweisen, wie ihn das Impfen gewährt hat. „Ja, es giebt viele schwächliche Kinder jetzt, erwidert man ...

6 /317
... Aber in Folge des Jmpfens oder vielmehr durch Impfen hervorgerufen? Nein, meine Herren, sie sind nur häufiger, weil das Impfen das harte spartanische Gesetz, das die Pockenseuchen früher vollstreckt haben, aufgehoben hat, das Gesetz, daß die Schwächlichen dem Tode geopfert werden sollen. Za das Impfen hat die Schwächlichen am Leben erhalten, und diese schwächlichen am Leben gebliebenen Kinder sind nun häufig Krankheiten unterworfen, unter andern auch den Skropheln. Fragen Sie nun die skrophulös gewordenen Kinder, wenn sie herangewachsen sind, ob sie die ganze Summe von Lebensfreuden darangeben wollen, die sie trotz ihrer Schwächlichkeit gehabt haben, ob es ihnen lieber gewesen wäre zu sterben, (Heiterkeit) und fragen Sie doch die Mutter, welche die Noth und Plage von dem kränklichen Kinde hat, ob sie lieber ihr Kind frühzeitig an den Pocken verlieren, als es in seiner schwächlichen Gesundheit ängstlich behüten will, von den Fällen, wo es sich nur um Drüsen am Halse oder sonst etwas handelt, ganz zu schweigen. Meine Herren! Wer darin einen Eingriff in die Natur steht, daß hier ein Leben erhalten, ja daß ganze Generationen erhalten werden, der begeht ein Attentat gegen den gesunden Menschenverstand und ein Attentat gegen diese Versammlung, der er zumuthet, das anzuhören, was der Herr Berichterstatter dieser Versammlung pflichtmäßig aus der Petition hat vortragen müssen, als er den Inhalt derselben hier mitgetheilt hat. ...

7 /317
... zum obligatorischen Impfen der Kinder führt, entschieden ist. Wir impfen die Kinder, um der Verbreitung der Epidemie vorzubeugen; derselbe Grund führt zu dem regelmäßigen Impfzwang auch der Erwachsenen. Wir haben jetzt eben aus der Erfahrung gesehen, daß wir vor dieser Krankheit, vor der wir die Gesellschaft durch obligatorisches Impfen der Kinder schützen wollen, nur für eine gewisse Zeit durch die Impfung geschützt sind, daß später der Mensch unter ähnlichen Bedingungen, wenn auch mit weniger Gefahr für sein Leben, der Krankheit gegenüber steht, als zu der Zeit, bevor er das erste Mal geimpft war. Wenn Sie also zur ersten Zmpfung kommen, so müssen Sie sich um so mehr auch für die Wiederimpfung entscheiden, weil der an den Pocken erkrankte früher Geimpfte zwar für sich selbst geringere Gefahr läuft, darum aber doch nicht weniger Ansteckungsstoff erzeugt, der zur Ausbreitung der Krankheit beiträgt. Bei der Wiederimpfung liegt aber praktisch noch der Grund für die gesetzliche Verpflichtung vor, daß, wenn man eine sicher wirksame Wiederimpfung haben will, man Vorkehrungen treffen muß, daß nicht die ganze Gesellschaft auf einmal auf den Zmpfarzt zustürzt und sagt: „Zetzt will ich geimpft werden. Da sind die Pocken. „Zch muß jetzt geimpft werden. „Zch bin noch nicht wieder geimpft. Die Folge davon ist, daß mit mangelhaftem Impfstoff in oberflächlicher Weise häufig geimpft wird. Sie wissen vielleicht auch, daß hier von wissenschaftlicher Seite, von dem Medicinalkollegium aus, den Aerzten selbst an die Hand gegeben wurde, die Pockenlymphe, mit der sie weiter impfen wollten, mit etwas Glycerin zu mischen. ...
... Wir müssen dem Zmpfarzt die Möglichkeit geben, Einen nach dem Andern, wie es die Praxis mit sich bringt, zu impfen. Die Aerzte werden dann immer für guten Impfstoff sorgen können und werden dann auch die Möglichkeit haben, die Leute regelmäßig und gut zu behandeln. Das sind die Gründe, meine Herren, die mich bewogen haben, Ihnen vorzuschlagen, heute schon das Reichskanzler-Amt aufzufordern, an die Gesetzgebung zu gehen. Denjenigen Herren Kollegen aber, die philosophische Bedenken in Bezug auf die Freiheit haben, kann ich nur rathen, sie dann zur Geltung zu bringen, wenn der Gesetzentwurf erst vorliegt. Dann erst ist der Moment gekommen, zu prüfen,. wodurch und in wie weit die menschliche Freiheit durch das Gesetz beschränkt werden soll, und ob die Beschränkung gegenüber den wirklichen Interessen der Gesellschaft gerechtfertigt ist. Bei der bloßen Aufforderung aber an das Reichskanzler-Amt, ein Gesetz darüber vorzulegen, können die Bedenken nach meiner Meinung noch schweigen. (Bravo!) Präsident:. Es nimmt Niemand weiter das Wort; ich schließe die Diskussion und frage, ob der Referent sich weiter äußern will. (Derselbe verzichtet.) Zch bringe zuerst den Antrag des Abgeordneten Dr. Löwe zur Abstimmung; sein Antrag beseitigt den Kommissionsantrag. Wenn der Antrag des Abgeordneten Dr. Löwe nicht angenommen wird, so bringe ich den Kommissionsäntrag zur Abstimmung. Der Abgeordnete Dr. Löwe schlägt vor: Die Petitionen II. Nummer 17 — und ich darf hinzufügen II. ...






Verhandlungen des Reichstages. - Berlin, 1873
Bd.: 29. 1873
Signatur: 4 J.publ.g. 1142 yb,A-29

ID: 00018365
8 /317
... Das zumeist an die Antragenden gestellte Verlangen, sich vor dem Inkrafttreten neuer Versicherungen impfen resp. revacciniren zu lassen, sei namentlich in gewissen Klassen der Bevölkerung und in einzelnen Deutschen Ländern in der Regel auf unüberwindlichen Widerstand, genährt durch Vorurtheile, welche die Wissenschaft widerlege, gestoßen, und für die früher abgeschlossenen Lebensversicherungs-Verträge seien die Versicherungsanstalten überhaupt schutzlos gewesen. In denjenigen Zeiten, in welchen die so oft wiederkehrende Epidemie nicht gerade herrsche, würden sie dem Publikum gegenüber mit ihrem privaten Verlangen nach Vaccination oder Revaccination immer machtlos sein. Der Durchschnitt der auf Einen der angeführten Todesfälle treffenden Versicherungssumme betrage 884 Thlr., für die Pockentodesfälle allein 21 ...






Verhandlungen des Reichstages. - Berlin, 1874
Bd.: 31. 1874
Signatur: 4 J.publ.g. 1142 yb,A-31

ID: 00018367
9 /317
... Meine Herren, ich glaube, diese Einrichtung des zwangsweise zum Impfen Heranführen sollten wir uns doch sehr ernstlich überlegen, — nicht weil ich irgend einen Zweifel habe an der Gerechtigkeit dieser Maßregel,, wenn wir einmal das Princip der ^obligatorischen Impfung anerkennen, sondern weil ich einen Zweifel habe in Bezug auf die Billigkeit der Maßregel und weil ich hoffe, daß wir ohne dieselbe zum Ziel kommen können. Es giebt Vorurtheile, die man in der Weise am schlechtesten beseitigt, daß man mit Gewalt gegen sie angeht. Der Herr Vertreter der Bundesregierungen hat Ihnen selbst gesagt, daß die viel.mäßigeren Strafen, wie sie in dem bayerischen Gesetze für die ersteVäccination vorgesehen sind, ganz ausgereicht, ja daß sie sogar schon den Erfolg gehabt haben, daß der Widerwille gegen die Vaccination, der ursprünglich in weiteren Kreisen verbreitet war, immer geringer geworden ist. Die Strafen, welche lediglich in Geldstrafen bestehen, haben immer seltener in Anwendung gebracht werden müssen, und von einem eigentlichen Widerstreben ist jetzt, nachdem das Gesetz länger als zwei Gen rationen hindurch in Bayern bestanden hat, gar keine Rede mehr. Zn Bayern haben mäßige Geldstrafen also ausgereicht. Dieselben sind in der Weise normirt, daß zuerst eine kleine Strafe, im nächsten Zahre eine etwas größere Strafe, im darauf folgenden Zahre eine noch etwas größere und so steigend verhängt wird. Von den anderen Geldstrafen, welche der Gesetzentwurf vorsieht, kann ich nur ganz unbedingt anerkennen diejenige, welche die Lehrer und Vorsteher von Unterrichtsanstalten- Pensionaten u. s. w. trifft, sobald sie die Revaccination im entsprechenden Alter nicht vornehmen lassen. ...
... Aber wir haben das Interesse, die Kinder in dem Alter zu impfen, wo sie noch vollkommen schulpflichtig sind, wo nicht irgend ein renitenter Vater oder Vormund sagen kann: „Ich will mein Kind lieber ganz aus der Schule nehmen, es ist ohnehin bald fertig, es wird konfirmier werden; dann ist die Sache vorbei. Um dem zu entgehen, ist es das Beste, wir nehmen das in dem Gesetzentwürfe vorgeschlagene zwölfte Lebensjahr. Diese Impfung in der Schule wird sich meiner Ueberzeugung nach sehr gut und vollständig, sogar noch besser und einfacher kontroliren- lassen als die erste Vaccination, und es ist im höchsten Grade wichtig, daß diese neue Vaccination vollkommen kontrolirt werde. Ich komme noch zu dem Punkte über die Kosten, die daraus1 erwachsen.1 Der Entwurf der1 Bundesregierungen schweigt1 darüber;1 ich glaube aber1 doch, daß1 wir uns gleichwohl den Punkt klar machen sollen: wer zahlt1 denn die1 ganze Sache?1 Bezahler1 sind in erster Linie, glaube ich, hier wieder1 die Gemeinden1 und Kreise. Uber gewisse Institute müssen die Staatsregierungen selbst übernehmen und bezahlen. Central-Zmpfstellen z. B. müssen auf Staatskosten eingerichtet werden.- Die Sorge für gute Lymphe müssen die Staatsregierungen selbst übernehmen, (sehr richtig !) und wenn die Regierungen das thun, so handeln sie nicht blos dem Gesetze der Billigkeit nach, sondern sie geben damit diesem gesetzlichen Zwang erst die richtige Grundlage und werden die Durchführung derselben wesentlich erleichtern. Meine Herren, was die formelle Behandlung des Gesetzes betrifft, so binich der Meinung, daß wir das Gesetz nicht einer Kommission zu überweisen brauchen. ...

10 /317
... Aber wollen Sie darum das Chloroform verwerfen, wie es die Fanatiker mit dem Impfen machen, weil einzelne schlimme Fälle vorgekommen sind, und etwa dem Zahnarzt verbieten, um einem Menschen leichter einen Zahn ausziehen zu können, Chloroform zu geben? Meine Herren, nach den Tabellen, die in Württemberg geführt worden sind — und Württemberg hat Impfzwang —, ist unter zwei Millionen von Fällen nicht eine Uebertragung von Syphilis vorgekommen, und leider kommt die Syphilis an sich in Württemberg doch eben so häufig vor, wie in anderen Ländern. Daraus mögen Sie den Grad der Gefahr ermessen, der im schlimmsten Falle daraus entstehen kann. Verhandlungen des Deutschen Reichstages. Meine Herren, ich bitte Sie nun noch, nicht zu erschrecken vor der Lebhaftigkeit, Heftigkeit und anscheinend großen Zahl derjenigen, die gegen dieses Gesetz protestiren. Ich erinnere Sie an einen Vorgang, der erst im vorigen Zahr auf dem Wiener medicinischen Kongreß stattgefunden hat. Es kam die Zmpffrage zur Diskussion; es meldete sich eines der Mitglieder und sprach mit der größten Heftigkeit gegen die Impfung. Er bekam seine ruhige Antwort von einem andern Mitglied. Dann meldete sich ein Zweiter gegen die Impfung, dem auch mit einer Widerlegung geantwortet wurde — und so ein Dritter, dann ein Vierter, immer lebhafter und heftiger, so daß man glauben mußte, es sei eine große Partei gegen die Impfung in der Versammlung. ...

11 /317
... Zch bin durchaus dafür, daß man denjenigen, welche sich selbst oder ihre Kinder impfen lasten wollen, irgend1 ein Hinderniß nicht in1 den Weg1 lege wegen der möglichen1 Gefahren, die damit verbunden1 sind.1 Die Frage ist hier aber die, ob man die Leute dazu zwingen darf, sich impfen und1 wieder1 impfen1 zu lassen. Das1 Beispiel würde also1 passen,1 wenn1 wir ein Gesetz votirten, wodurch die Zahnärzte und Chirurgen genöthigt würden, worin ihnen bei Strafe aufgegeben würde, ihre Patienten chloroformiren zu kaffen. Daran wird aber doch wohl kein Mensch denken, mag es auch zum Heile der Patienten gereichen, die schwere Operationen zu bestehen haben. So also, meine Herren, scheinen sich mir die Gründe, welche der Herr Abgeordnete angeführt hat, bis jetzt wenigstens noch keineswegs als durchschlagend darzustellen. Wenn er zületzt die Versammlung der Mediciner in Wien uns vor? ...

12 /317
... Die Zuführung könne wohl vielleicht erzwungen werden, aber wie man mit Zwang impfen solle und ob ein Arzt sich dazu verstehen werde, das sei doch ganz und gar unerfindlich. Endlich bespricht diese Petition noch die Frage der Beschaffung guter Lymphe und schlägt hier eine Strafbestimmung vor für die Mütter, welche sich weigern, von ihren Kindern abimpfen zu lassen; diese sollen mit Geldstrafen belegt werden. Meine Herren, das die Petitionen für das vorliegende Gesetz. Sschsundzwanzig Petitionen gehen gegen das Gesetz. Sie werden mir gestatten, die Petitionen zu sondern nach Kategorien und nicht jede einzeln anzuführen. Von einemArzte geht nur eine Petition aus, welche sich gegen das Gesetz ausspricht und ein untrügliches Vorbeugungsmittel gegen die Krankheit vorschlägt, die Petition des Arztes Deventer in Berlin. Vier Petitionen gehen - aus von Vereinen, eine vom hydrodiätetischen Verein in Magdeburg, eine vom Direktor der schwedischen Heilgymnastik Decker in Berlin, drei Petitionen von dem Verein für Naturheilkunde in Chemnitz, Waldheim und Altsnburg, eine Petition des Vereins für naturgemäße Lebensweise in Frankfurt am Main und ebenso auch von Berlin. Meine Herren, diese Vereine sehen in der von ihnen eingehaltenen und empfohlenen Lebensweise, in den Heilmitteln und in dem Heilverfahren, welches sie beim Ausbruch der Krankheit anwenden, das richtige und einzige Vorbeugungsmittel gegen die Blatternkrankheit, das richtige Mittel, um, wenn die Krankheit ausgebrochen ist, sie möglichst unschädlich zu machen. Sie kommen also auch auf die Verwerfung des Impfzwanges. Gegen das Impfwesen führen sie weiter allgemeine Momente an. ...
... Als die Epidemien wiedergekommen seien, da sei das Dogma der Wiederimpfung aufgestellt worden, und wenn diese Wiederimpfung eigentlich erst recht schützen sollte bei Ausbruch der Epidemien, da sage und rathe man, sich wieder impfen zu lassen, und beweise eben, daß auch die Wiederimpfung nichts nütze. Wenn nun noch eine Vergleichung angestellt werde zwischen der Sterblichkeit1 der1 Geimpften1 und1 der Sterblichkeit der Ungeimpften,1 von denen1 ja1 beide Sorten von den Blattern betroffen werden können, so sei hierbei ganz außer Acht und bei Seite zu lassen die Sterblichkeit der ungeimpften Kinder; die ungeimpften Kinder müßten, wenn man hieraus Schlüsse ziehen wolle, ganz bei Seite gelassen werden; es seien das eben überhaupt solche, die, weil sie kränklich seien, weil sie noch im zarten Alter befindlich seien, überhaupt allen Krankheiten und so auch der Pockenkrankheit mehr1 ausgesetzt seien.1 Aus1 dem Umstande, daß bei dem Militär von der Wiederimpfung namentlich günstige Resultate wahrgenommen werden, wollen die Zmpsgegner, die Petenten, wieder keinen Schluß für die Impfung zulassen, weil sie sagen, ja Soldaten, die seien überhaupt die gesundesten Leute der Bevölkerung, welche insbesondere durch die häufige Bewegung in freier Luft, durch geregelte Lebensweise überhaupt mehr Widerstandsfähigkeit gegen Krankheit und also auch gegen Pocken haben. Kurzum, meine Herren, die Petenten sagen, es sei bei Vergleichung der Sterblichkeitsverhältnisse, der Zntensitätsverhältnisse der Krankheit bei Geimpften und1 bei1 Ungeimpften1 auf1 alles Mögliche, auf verschiedene Momente, Rücksicht zu nehmen. ...

13 /317
... Sie machen aber weiter geltend, daß jetzt, während früher die Wissenschaft dies noch bestritten habe, zugegeben werde, daß in einzelnen Fällen durch Impfung ansteckende Krankheiten, als Syphilis, übertragen worden feien, und gerade dieser Umstand, die Befürchtung, daß durch das Impfen solche Krankheiten, solche Gefahren, solche Nachtheile im einzelnen Falle entstehen können, gerade dieser Umstand ist es, welchen die Petenten hauptsächlich betonen. Sie sehen gerade mit Rücksicht hierauf in dem im Gesetzentwürfe vor-, geschlagenen Impfzwang, wie sie sagen, einen Eingriff in die persönliche Freiheit, welche durch die Verfassung garantirt sei; sie sagen, es sei das eine Mißachtung der Elternrechte und eine fürchterliche Gewissensbedrückung der Eltern, welche schon traurige Erfahrung durch die Impfung gemacht haben. Es treten auch in mehreren Petitionen die Petenten mit der bestimmten Behauptung auf, daß Mitglieder ihrer Familie eben vom Augenblick der Impfung an erkrankt feien, ein und das andere sogar darauf und, wie sie sagen, auch in Folge dessen gestorben. Meine Herren, das Schlußpetitum der Petenten geht hauptsächlich dahin, daß nicht ein Impfzwang eingeführt werde. Die Petenten von Nordhausen, denen sich die meisten der übrigen Petenten angeschlossen haben, bittenden hohen Reichstag, den allgemeinen Impfzwang, wie er durch die Vorlage eingeführt werden soll,- abzulehnen und den bereits bestehenden Impfzwang aufzuheben. Einige Petitionen gehen sogar so weit, daß sie dem Reichstage vorschlagen wollen, es solle das Impfen überhaupt bei Strafe verboten werden; die meisten Petitionen wollen aber, daß die Sache jedem Einzelnen freigegeben werde. ...

14 /317
... Wenn wir also demzufolge einsehen, daß die Herren Aerzte ihre Ansichten auch in diesem Punkte schon bedeutend geändert haben, wenn ferner feststeht, daß diejenigen Aerzte, welche gegen den Impfzwang sind, fest und sicher behaupten, es sei keinem Arzte möglich, zu sagen, welche Lymphe rein sei, soweit fei die Wissenschaft noch nicht gekommen, um zu behaupten: „diese Lymphe ist rein, dann ist die Sache nicht danach angethan, daß dieser Zwang ausgeübt werde auf die Bevölkerung, daß man befiehlt: „Ihr müßt euch impfen lassen. Die Herren Aerzte sind bereits von ihrer Ansicht zurückgekommen. Die Inokulation wurde einst als ein heiliges Mittel gepriesen und nachher wurde sie bestraft. Ein Aehnliches ist die Anwendung des Quecksilbers, welches früher in so hohem Ansehen stand, und welches jetzt von fast allen Medicinen: so viel als möglich verbannt wird. Viele dieser Mittel sind früher von den Aerzten vertheidigt worden, später hat man sie aufgegeben. Zn der Petition ist ferner angeführt, daß man stets die Soldaten anführe und sage, diese werden revaccinirt, und bei ihnen finden wie deshalb nicht so viel Todesfälle durch Pocken. Aber wir müssen annehmen, daß der Soldatenstand die Blüthe der Bevölkerung ist, daß gesunde, tüchtige Leute ausgesucht werden. Wie es in der verbesserten Gesetzesvorlage sehr richtig heißt, soll von Seiten derjenigen, welche sich für den Zmpf zwang aussprechen, gefordert werden, daß das Recht und der Schutz, welchen man den Soldaten gewährt, auch dem Civilmann gewährt werde. ...
... Wir wollen ja Niemand zwingen, sich nicht impfen zu lassen, — mögen Diejenigen, welche die Impfung hoch und heilig halten, sich impfen lassen,— es soll nur nicht der Impfzwang Gesetz werden. Wollen Sie ihn aber zum Gesetz erheben, dann wäre es auch als ein Akt der Gerechtigkeit anzusehen, wenn von Seiner Majestät dem Kaiser und den verbündeten Fürsten an bis zu den Herren vom Bundesrath und den Herren hier im Hause sich alle zunächst freiwillig der Impfung unterwerfen, um das Volk zu überzeugen, daß Sie die Impfung wirklich für gut halten. (Heiterkeit.) Präsident: Der Herr Abgeordnete Dr. Elben hat das Wort. Abgeordneter vr. Elben: Meine Herren, es liegt Ihnen eine Reihe von Anträgen unter dem Namen des Herrn Abgeordneten von Winter und Genossen vor, welche aus den Berathungen einer freien Kommission hervorgegangen sind. Wie Sie aus den Anträgen ersehen, steht diese Kommission im Wesentlichen ganz auf den Prinzipien des Gesetzes, und die Abänderungen beziehen sich nur aus Besserungen im Einzelnen. Was speziell den vorliegenden ersten Paragraphen anlangt, so ist die vorgeschlagene Abänderung eine im Ganzer: unwesentliche. Wenn ich mich zu diesem ersten Paragraphen zum Wort gemeldet habe, so geschah es, um Ihnen speciell Erfahrungen vorzuführen, welche Ihnen mitzutheilen ich für meine Pflicht halte. Zch will damit von dem Felds der Agitation zurückkehren zu einer rein objektiven nüchternen Beurtheilung einer Frage, welche so rief in das Wohl und Wehe unserer Mitbürger eingreift. ...

15 /317
... Wie jetzt ein großer Theil der Aerzte für den Impfzwang bei Menschen eingenommen ist, so war man auch lange Zeit hindurch für das Impfen der Thiere, namentlich der Schafe, eingenommen. Nach den Mittheilungen, die mir geworden sind, scheint es, daß die Thierärzte, und es werden namhafte amtlich angestellte Thierärzte bezeichnet, jetzt so entschieden gegen das Impfen der Thiere sind, daß man sogar mit dem Gedanken umgeht, ein Verbot solchen Zmpfens bei den Regierungen zu erwirken; also auch wieder ein Beweis, wie mir scheint, daß die Schlüsse, die man für die zwangsweise Menschenimpfung uns vorgetragen hat, nicht auf einer soliden Basis beruhen. Aber, meine Herren, wenn man aucki annehmen könnte, daß im Großen und Ganzen das Impfen weit mehr Vortheil als Nachtheil bringt, dann ist doch dadurch noch nicht im Entferntesten ein Zwang gerechtfertigt. Wohin würde es führen, wenn man von dem Satze ausginge, daß, sobald das, was man Wissenschaft nennt, sich überzeugt hat, es sei Etwas wohlthätig für die Menschheit oder es halte Nachtheil von ihr ab, der Menschheit oder den Einwohnern eines bestimmten Staates dasselbe aufgezwungen werden müsse. Wohin würde das führen! Meine Herren, die Cholera ist, wie mir scheint, mindestens ebenso gefährlich und bedrohlich, wie die Pocken es sind. Man trifft alle möglichen Vorkehrungen, um die Einschleppung der Cholera, um deren Fortpflanzung zu verhindern, gewiß mit vollem Recht. ...
... Der Verfasser hat unter vier Paragraphen diejenigen Kautelen aufgeführt, welche nach seiner Ansicht für nothwendig erachtet werden müssen, wenn man gefahrlos impfen will. Wenn Sie diese verschiedenen Vorsichtsmaßregeln ins Auge fassen, so werden Sie sehen, daß es bei den Massenimpfungen, die unser Gesetzentwurf vorschreibt, kaum möglich ist, alle diese Kautelen zu befolgen. Aber noch weniger ist es möglich, die Impfung zu überwachen, d. h. wieder dafür zu sorgen, daß der mit der Impfung Betraute auch wirklich alle nöthigen Vorsichtsmaßregeln ergreift. Ich will Ihnen aus der bezeichneten kleinen Schrift nur Einiges mittheilen; dann, glaube ich, werden Sie meine Ansicht theilen müssen. Es heißt da unter Anderem: Mittelst eines nicht zu spitzen, nadelförmigen Instruments werden die dazu bestimmten schönsten Pusteln durch häufige horizontale Einstiche vorsichtig eröffnet, die hervordringende klare Lymphe, ohne Druck auf die Pusteln auszuüben, an Haarröhrchen aufgefangen, und nachdem dieselbe unter dem Mykroskop genau untersucht und gefunden worden ist, daß sich keine Bluttheilchen darin finden, so — werden sie so und so behandelt u. s. w. Nun aber,, meine Herren, habe ich wieder in einer anderen ärztlichen Broschüre gelesen, daß es auch ungefärbte Bluttheilchen geben kann, welche gefährliche Krankheiten übertragen können. Nun muthet man zunächst denjenigen, die die Lymphe be-34 ...

16 /317
... Meine Herren, ich meine, wir hätten im deutschen Reiche schon mehr als hinreichende Gelegenheit, eingesperrt zu werden; (Heiterkeit) eine Mutter aber, welche von der Ueberzeugung ausgeht, wie die Tausende von Petenten, die vor Sie getreten sind, daß das Impfen schädlich ist, und ihr Kind schlechterdings der Operation nicht unterwerfen will, deshalb ins Gefängniß zu schicken — eine solche Maßregel in einem Kulturstaate, worin wir uns doch vorzugsweise zu befinden glauben, (Unruhe.) Eltern zu strafen, weil sie ihre Kinder einer, nach ihrer Ueberzeugung schädlichen Operation nicht unterwerfen wollen, das, meine Herren, entspricht in der That nicht demjenigen, was ich meinestheils mit dem Begriffe eines Kulturstaates verbinde. Endlich, meine Herren, welche Garantien haben wir in Bezug auf die Aerzte? Wir kommen noch auf den Paragraphen, ich will daher hier nicht weiter darauf eingehen, behalte mir aber vor, demnächst noch Einiges in dieser Beziehung zu sagen. Sie organisiren möglicherweise, meine Herren, wenn Sie das Gesetz annehmen, euren großen passiven Widerstand der Bevölkerung, der sehr schwer zu brechen sein wird. Betrachten Sie, und damit will ich jetzt schließen, die Frage doch noch als eine offene, lassen Sie die Wissenschaft nicht blos, sondern auch das Volk darüber sich aussprechen; Hier, meine Herren, kann man die Massenpetitionen nicht gering anschlagen, weil eben ja Jeder an seinem Körper oder an dem Kötper seines Nachbars oder seiner Kinder Erfahrungen in der fraglichen Beziehung gemacht oder doch wenigstens Erfahrungen konstatirt hat. Ueberlaffen Sie also, meine Herren, die Frage noch weiterer Erfahrung und Erörterung, weiterer Klarstellung. ...
... Sie haben ja auch ohne ein solches Zwangsgesetz Mittel genug durch die Schule, durch das Militär, durch andere Anstalten die Leute dazu zu veranlassen, daß sie sich und ihre Kinder impfen lassen. Wenn in Württemberg wirklich so prächtige Erfolge durch das Impfen sich ergeben haben, nun dann mache man dieselben in Württemberg und weiterhin allgemein bekannt und lasse die Leute selbst für ihr Körperheil sorgen. Wenn der Herr Abgeordnete aus Württemberg glaubt uns überzeugen zu können mit seinen statistischen Nachweisungen, warum soll er denn das Volk draußen nicht auch davon überzeugen können? Man bringe also die Ergebnisse in die Massen hinein, kläre dieselben auf diese Weise auf. Das, meine Herren, ist, wie mir scheint, im Allgemeinen der Weg, der in solchen Fragen zu gehen ist. Jedenfalls aber bin ich der Ansicht, daß die vorliegende Frage jetzt noch nicht spruchreif ist, daß auf keinen Fall dazu übergegangen werden darf, die zwangsweise Revaccination einzuführen. Die Erörterung der einzelnen Paragraphen wird Gelegenheit geben, noch Einwendungen anderer Art vorzubringen; indessen gebe ich mich der Hoffnung hin, daß die Mehrheit dieses Hauses schon den tz 1 verwirft und es der Zukunft überläßt, die gegenwärtige Frage mehr zu klären, namentlich auch die allgemeine Stimme des Zn- und Auslandes darüber laut werden zu lassen. Was insbesondere die Revaccination betrifft, so haben die Befürworter des Gesetzes uns noch aus keinem Lande ein Beispiel vorgebracht, daß dieselbe gesetzlich angeordnet sei — meines Wissens wenigstens. ...

17 /317
... Meine Herren, wollen Sie die Agitationen, die gegen das Impfen ins Werk gesetzt wurden, wollen Sie die begreifen, dann müssen Sie einen Augenblick die Geschichte der Zmpfliteratur durchsehen. Zu Anfang dieses Jahrhunderts, noch unter dem unmittelbaren Eindruck der großen Blatternnoth, haben die Geistlichen aller Konfessionen mit einer außerordentlichen Rührigkeit das Impfen unterstützt. Die Folge davon war, daß das Impfen sehr rasch sich verbreitet hat; in Italien allein, zum Beispiel, wurden in acht Jahren 1V2 Millionen Menschen geimpft. Seit etwa fünf Jahrzehnten indeß hatte man diese Blatternnoth vergessen, und, ich lasse unerörtert, aus welchem Grunde, aber Thatsache ist, daß von da ab man die Jmpffrage, eine rein medicinische Frage, mit religiösen und später mit socialistischen Elementen vermischt hat. Man hat natürlich dadurch ganz entschieden der Erkenntniß der Wahrheit geschadet. In einer uns vorliegenden Broschüre von einem Doktor der Theologie, Hansjacob, im Großherzogthum Baden, wenn ich nicht irre, wird die Impfung ein medicinischer Glaubensartikel genannt. Meine Herren, in der Medicin giebt es keine Glaubensartikel, sie rechnet nur mit Thatsachen und nimmt diese Thatsachen nur dann als erwiesen an, wenn sie, nicht durch den Ausspruch dieses oder jenes kanonisirten Arztes, sei er ein Impf- oder Anti-Jmpsapostel, sondern nur dann, wenn dieselben durch zahlreiche redliche Männer, die die schwere Kunst der Beobachtung im strengen Dienst der Wissenschaft gelernt haben, geprüft und bestätigt worden sind. ...

18 /317
... Kleß in Stuttgart, daß es allerdings zu den schwarzen Punkten Württembergs gehört, daß dort dieser Heerd der Agitation gegen das Impfen sich gebildet hat, und daß von dort mit einem unglaublichen Maß von Verdrehung, Entstellung, Lüge und Bosheit gegen eine der segensreichsten Errungenschaften der Erfahrung und Wissenschaft agitirt wird. Meine Herren, es wurde dann von dem Herrn Abgeordneten für Crefeld vorgeschlagen: nun ja, impfen könne man am Ende — bei der ersten Berathung ging der Herr Abgeordnete so weit und meinte, man könnte sogar eine Prämie auf das Impfen setzen; heute hat er diese Prämie zurückgezogen. (Abgeordneter Reichensperger: Nicht zurückgezogen!) Nun gut, wenigstens hat er heute der Prämie nicht mehr erwähnt und nur gesagt: impfen könne man am Ende lassen, aber ja keinen Zwang, es gebe andere viel bessere Mittel gegen Blattern, und bei Cholera sei z. B. eine warme Leibbinde, eine Magenbinde der beste Schutz. Nun, meine Herren, durch die warme Magenbinde wird kein Mensch vor der Cholera geschützt. Der Herr Abgeordnete sprach dann von der Schwierigkeit der Technik beim Impfen und wie leicht dabei verschiedene Schädlichkeiten mit unterlaufen könnten. Nun, meine Herren, beinahe in gleicher Weise wie das bei Leichtfertigkeit und grober Ungeschicklichkeit hier möglich ist, so könnte am Ende auch Jemand die Magenbinde um Mund und Nase legen und so ersticken; also auch die Magenbinde ist dann nicht so ganz absolut ungefährlich. — Meine Herren, es wird dann angeführt, daß die Syphilis übertragen werde. ...
... Wie können Sie heute die Existenz der Syphilis in unserer Bevölkerung, ihre angebliche Vermehrung mit dem Impfen in Zusammenhang bringen! — Dann, meine Herren, soll auch die Skrophulose und Tuberkulose übertragbar sein. Nun, es ist das noch nicht nachgewiesen; ich persönlich gebe aber die Möglichkeit zu, daß es geschehen kann. Nun sehen Sie z. B. in der Schweiz in den Hochthälern von Davos, in denen Fälle von Skrophulose oder Tuberkulose unter der einheimischen Bevölkerung beinahe nicht vorkommen, seit Jahrzehnten den Jmpfarzt von Chur aus dem Thals, wo Skrophulose, Tuberkulose und Syphilis durchaus nicht selten sind, in dieses Hochthal hinaufwandern und die Bevölkerung impfen; auch heute sehen Sie dort, von Skrophulose, Tuberkulose und Syphilis kaum eine Spur. Meine Herren! Es erübrigt mir nur noch, Ihnen die medizinischen Thatsachen anzuführen, die nach meiner Meinung für den Impfzwang sprechen. Es sind nicht, wie der Herr Abgeordnete Reimer erklärt hat, die Blattern eine Folge der Luft, des Bodens, kurz sie sind keine klimatische Krankheit, sie sind überhaupt für uns kein nothwendiges Uebel. Wir kennen sie in Europa seit etwa 1300 Jahren und in Deutschland seit etwa 400 Jahren. Mögen sie nun in ihrer ursprünglichen Heimat entstanden sein, wie sie wollen, bei uns wird kein Mensch blatternkrank, der nicht das Gift von einem andern Blatternkranken in sich aufnimmt, ebenso wie bei uns kein Mensch cholerakrank wird, der nicht das Cholerakontagium in sich aufnimmt, trage er nun eine Magenbinde oder keine. ...

19 /317
... Meine Herren, die Veränderungen bestehen also darin, daß einmal der Jmpfarzt eingeführt wird, zweitens, daß Jmpfbezirke gebildet werden, in denen dieser Jmpfarzt fungirt, und daß drittens dem Mißverständniß, das bei der Regierungsvorlage hätte vorkommen können, als ob während des ganzen Zeitraumes vom Mai bis September jeden Tag oder aber doch an bestimmten Tagen während der ganzen Zeit die Impfstellen zum Impfen offen sein sollen, vorgebeugt werde. Wir erlangen damit zugleich den Vortheil, daß das Gesetz sich an die bestehende Praxis in den meisten Bundesstaaten vollkommen anschließt, nämlich daß in den einzelnen Ortschaften die Impfung womöglich vorgenommen werde, daß die Wege zu den Impfstellen nur kurze sind, und daß Anzeigen ergehen, wann dis Impfung stattfinden soll. Der Jmpfarzt wird also seinen Jmpfbezirk bereisen, und in jeder Ortschaft, in der die Liste aufgestellt und ihm überreicht ist, wird nach seiner Anordnung das Impfen für eine bestimmte Zeit angesetzt und bekannt gemacht, ebenso der Revisionstermin. In dieser Weise kommt man leichter zur Revision, als wenn große Impfstellen errichtet werden, zu welchen die Leute weite Wege haben. Es liegt aber im Interesse der Statistik ganz besonders, daß man die Revision so vollkommen als möglich erhält. Wir haben ja die Ueberzeugung, daß die große Mehrzahl unseres Volkes ohne irgend einen besonderen Trieb, der von außen wirkt, zur Impfung kommen wird; nicht so sicher sind wir aber mit der Stellung zur Revision. Deshalb glauben wir die Sache der Bevölkerung und zwar in schon gewohnter Weise so bequem als möglich machen zu müssen. ...

20 /317
... Denn sonst könnte dis Reise bei schlechtem Wetter, was ja auch im Sommer oder im Herbst mitunter eintritt, leicht noch weit schlimmere Folgen nach sich ziehen, als das Impfen ferne halten soll. Ich gestehe, daß es mir eine erhebliche Lücke zu fein scheint, wenn man nicht dafür gesorgt hat, die Kinder gefahrlos an die Impfstelle zu bringen. Ein großer Aufwand von Zeit bleibt jedenfalls den zu Impfenden und ihren Angehörigen zugemuthet. Im ß 5 ist schon festgestellt worden, daß die zu Impfenden demnächst zur Revision wieder vorgestellt werden müssen. Nach tz 6 müssen sie sich an bestimmten Tagen massenweise an bestimmten Orten einsinden. Ich weiß aus eigener Erfahrung, was es z. B. heißt, wenn massenweise Zeugen I V2 bis 2 Stunden durch bas schlechteste Wetter zu Gerichtsverhandlungen reisen müssen, und da handelt es sich doch in der Regel um erwachsene Personen. Hier müssen Kinder so weit transportirt werden. Ob sie immer noch Mütter haben, die für sie sorgen können? Davon ist in gar vielen Fällen das Gegentheil anzunehmen. Wie gesagt, mir scheint der Paragraph, mag man ihn nun in dieser oder jener Fassung annehmen, erhebliche Bedenklichkeiten darzubieten. Man wird mich übrigens auch hier wieder auf die Praxis verweisen, und verzichte ich darauf, die Majorität zu erschüttern. Ich wende mich noch mit ein paar Bemerkungen zu dem Antrage der Herren Hasenclever und Reimer. Es hat mich gewundert, daß Herr Dr. Löwe im Allgemeinen diesem Antrage das Wort geredet hat, indem die öffentlichen Badeanstalten eine mittelalterliche Einrichtung sind. ...


[1] - ... 2 - 3 - 4 - 5 - 6 - 7 ... [16] >