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Verhandlungen des Reichstages. - Berlin, 1893
Bd.: 128. 1892/93
Signatur: 4 J.publ.g. 1142 y,A-128

ID: 00018681
141 /782
... Oktober folgendes schrieb: Die Sammlungen unter den unteren Postbeamten für die Kollegen in Hamburg aus Anlaß der Cholera sind auch in Köln veranstaltet worden. Gegen Ende September wurden z. B. die sämmtlichen 126 Briefträger zusammenberufen, um der Verlesung eines Schriftstücks beizuwohnen, welches zu einer Sammlung aufforderte. (Hört! hört! links.) Der verlesende Beamte schlug vor, die Briefträger möchten sich — das ist nämlich die Freiwilligkeitsformel — (Heiterkeit links) bereit erklären, das monatliche Oel- und Feder - geld, welches den Briefträgern in Höhe von 65 Pfennigen gezahlt wird, für den guten Zweck zu °p^n- (Hört! hört!) l6) Er betonte ausdrücklich, daß niemand dazu gezwungen sei (Heiterkeit links); wer nicht damit einverstanden sei, möge es nur sagen. (Heiterkeit links.) Doch —1 fährt die Zeitung fort — meldete sich, wie gewöhnlich, niemand (Heiterkeit links), um sich gegen diese Gabe zu erklären. Die Art des Vorganges macht es auch schwer für einen abhängigen Beamten, Nein zu sagen. So ist denn allen Briefträgern bei der Gehaltszahlung am 1. Oktober das Oel- und Federgeld abgehalten worden. Daß die meisten nicht gerade gern dieses Geld geopfert haben, kann man sich denken; denn es handelt sich hier um Unterbeamte, die meist nur 2 oder 2^ Mark Tagesverdienst haben. (Hört! hört! links.) ...

142 /782
... Buhl: Meine Herren, es war meine Absicht, die Sammlung für die in Hamburg durch die Cholera Geschädigten bei Tit. 17 zur Sprache zu bringen, bei dem Titel, bei dem sie auch in der Kommission verhandelt wurde. Da nun aber der Herr Vorredner in seiner Rede auf diesen Gegenstand ausführlich eingegangen ist, halte ich mich doch verpflichtet, aus unseren Kommissionsverhandlungen einen kleinen Nachtrag zu geben. Es wurde in der Kommission dieser Gegenstand besprochen, und dabei von dem Herrn Vertreter der Postverwaltung nach dem Wortlaut des Protokolls die folgende Erklärung abgegeben: Hier liegt eine durchaus falsche Nachricht vor — daß nämlich die Sammlungen behördlich verfügt gewesen seien —. Die Sammlungen sind durchaus nicht angeordnet, sondern von den Beamten und Unterbeamten später angeregt worden. Von Zwang war gar keine Rede. Von hier aus ist die Sache gebilligt, aber keinerlei Bericht eingefordert worden. Die Zentralbehörde hat erhebliche Unterstützungen gewährt. Ich habe mir hierzu noch persönlich notirt, daß die Unterstützungen hauptsächlich bestanden haben in Erhöhung der Fahrgelder, Unterstützung der Kranken und Vergütung für vermehrte Arbeit. Ich habe außerdem noch mitzutheilen, daß an diese Mittheilung des Herrn Vertreters des Reichspostamts sich eine weitere Diskussion in der Budgetkommission nicht geknüpft hat. ...

143 /782
... September 1892 versendet worden ist: Es ist in Anregung gebracht, bei den Postbeamten und Postunterbeamten zum Besten der von der Cholera heimgesuchten Berufsgenossen in Hamburg eine Geldsammlung zu veranstalten und den Ertrag dem Herrn Ober-Postdirektor in Hamburg zur Vertheilung an die Betroffenen zur Verfügung zu stellen. Seine Exzellenz der Herr Staatssekretär des Reichspostamts, welcher von dem Vorschlag mit großer Befriedigung Kenntniß genommen und denselben gebilligt hat, hat den Vorsteher der Ober-Postdirektion in Hamburg ermächtigt u. s. w. Es ist also den Beamten ausdrücklich und breit dargelegt, daß Seine Exzellenz mit Wohlwollen die Sammlung begrüßt, und jeder, der eine Ahnung hat, wie es in Beamtenkreisen und überhaupt in Kreisen abhängiger Leute zugeht, die auf das Wohlwollen anderer angewiesen sind, weiß, daß eine solche Veröffentlichung genügt, um den größten moralischen Druck, den größten moralischen Zwang auszuüben, den man sich überhaupt vorstellen kann. (Sehr richtig! links.) Die Folgen blieben auch nicht aus; es wurde auch schon er- (6) wähnt, daß einzelne Beamte sich veranlaßt fühlten, ihr Oelund Federgeld von 65 Pf. zu opfern, trotzdem sie nur ein Gehalt von 800 bis 900 Mark jährlich besitzen. Der Herr Staatssekretär hat sich auch an der Sammlung betheiligt; wenigstens ging damals die Notiz durch die Blätter, daß er, der 24 000 Mark Gehalt bezieht, über das wir augenblicklich sprechen, 20 Mark gezeichnet hat. (Hört! hört! links.) Der Herr Staatssekretär wird ja am besten wissen, ob diese Notiz richtig ist; ich kann sie nur den Zeitungen entnehmen. ...

144 /782
... Die Einrichtung eines Postvertrauensarztes stammt aus dem Jahre 1831, als hier in Berlin die Cholera ihren ersten Zug durch Europa machte. Damals ist aus humanen Gründen schon von der Königlich preußischen Postverwaltung ein namhafter Arzt, der lange, lange Jahre die Stelle bei der Postverwaltung segensreich bekleidet hat, mit dem Amte des Postvertrauensarztes betraut worden. Der Herr Staatssekretär hat die Einrichtung in dem beschränkten Umfange vorgefunden, als er sein Amt antrat, und es gehört mit zu den sozialpolitischen Maßnahmen, die hier von dieser Stelle ausgeführt worden sind, daß wir jetzt — ich weiß die Ziffer im Augenblick nicht auswendig — 80 bis 100 Postvertrauensärzte haben an allen größeren Orten. Diese Einrichtung, die den Zweck hat, den Gesundheitszustand unserer Unterbeamten im Auge zu behalten, nach feststehenden Erfahrungssätzen zu entscheiden, ob die Leute körperlich geeignet sind für den Postdienst, und nach feststehenden Erfahrungssätzen Atteste zu geben für Urlaubsfälle, diese Einrichtung, die ferner für die Unterbeamten unentgeltliche ärztliche Behandlung in sich schließt, — diese Einrichtung besteht auch bei anderen Verwaltungen; ich erinnere nur an die Bahnärzte der Eisenbahnverwaltungen. Wenn uns gesagt wird und hier auf Grund einzelner, scheinbar sehr eklatanter Fälle behauptet wird, die Unterbeamten seien damit unzufrieden, dann nehmen wir das dem Herrn Abgeordneten nicht übel, — dann sagt er etwas, worüber er wohl kein ausreichendes Urtheil hat. ...

145 /782
... M wegen der Cholera bekommen haben. Ich hatte Gelegenheit, darüber schon in einem Nachtrage zu meinem Referat zu berichten. Andere Punkte unserer Diskussion bei diesem Titel habe ich nicht hervorzuheben. Vizepräsident Graf von Ballestrem: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Vollrath. Abgeordneter Voltrath: Meine Herren, in dem zweiten Absatz des Tit. 17 findet sich die Rubrik: 135 Ober-Posträthe und Posträthe und 18 Bauräthe von 4200 bis 6000, im Durchschnitt 5100 Mark. Ich weiß mich in Bezug auf oie Beurtheilung der postalischen Bauten, wie ich wohl weiß, mit einem großen Theil meiner Freunde in der Fraktion und auch mit einem großen Theile Mitglieder des Hauses im Widerspruch. Im Prinzip muß ich anerkennen, daß es durchaus wünschenswerth ist, bei neuen Postbauten die größte Sparsamkeit obwalten zu lassen, und ich werde alle Versuche, die darauf gerichtet sind, diesem Prinzip zur Anerkennung zu verhelfen, unterstützen. Aber es ist bei der Beurtheilung dieser Frage doch nicht so leicht, nach dem äußeren Schein zu urtheilen, den uns die hier vorgelegten Pläne oder Abbildungen geben. Die Frage ist schwierig. Wenn die Post, wie ich gern anerkenne, seit Jahren monumental baut, so erfüllt sie damit eine Art Kulturmission. ...






Verhandlungen des Reichstages. - Berlin, 1893
Bd.: 129. 1892/93
Signatur: 4 J.publ.g. 1142 y,A-129

ID: 00018682
146 /782
... Die Verhältnisse, welche das veranlaßt haben, sind den Herren zu sehr bekannt, als daß ich sie hier aufführen müßte; es sind die allgemeine wirthschaftliche Lage des Landes und das Auftreten der Cholera. Präsident:1 Das Wort hat der Herr Abgeordnete vr. Hammacher. Abgeordneter Dr. Hammacher: Meine Herren, meine Ausführungen über die voraussichtliche Erfüllung des Etats bezogen sich selbstverständlich nur auf das nächste Etatsjahr. Ich muß unter diesem Gesichtspunkt noch speziell darauf hinweisen, daß die wichtigeren Industrie- und Gewerbszweige, welche den Verkehr in Elsaß-Lothringen beherrschen, von der gegenwärtig theilweise herrschenden Krisis im gewerblichen Leben viel weniger erfaßt sind, als es in anderen Theilen Deutschlands der Fall ist. Was zunächst die Textilindustrie ...

147 /782
... Einzelne Pockenfälle und wohl auch eine Mehrzahl kommen gewiß noch vor, namentlich in Grenzdistrikten, aber ich meine doch, daß die Pocken nicht mehr eine Landesseuche sind nach Art der Cholera. Es ist ferner noch aufgeführt das gelbe Fieber. Das gelbe Fieber ist eine Krankheit des heißen Klimas und der Tropen, es ist bei uns in Deutschland noch niemals beobachtet worden. Uebrigens haben wir bereits Vorschriften gegen das gelbe Fieber und zwar zur Kontrole der Schiffe, die aus Ländern kommen, in welchen es heimisch ist. Wenn wir nun bis jetzt, trotz des lebhaftesten Schiffsverkehrs noch keinen Fall von gelbem Fieber gehabt haben, so sollte ich meinen, daß der Schluß der richtige ist, daß die Bestimmungen genügen, nicht aber der, daß sie verändert und erweitert werden müssen. Es will mir überhaupt wunderbar erscheinen, daß man ein Gesetz machen will gegen eine Krankheit, die, soweit die historische Kenntniß überhaupt reicht, noch niemals in Deutschland aufgetreten ist, und von der nach den Umständen auch nicht anzunehmen ist, daß sie in absehbarer Zeit hier Boden fassen wird. Warum also, frage ich, hat man diese Krankheiten mit in den Entwurf des Gesetzes aufgenommen? Warum hat man sich nicht beschränkt lediglich auf die Cholera? Mit einer Konzentration auf diese Krankheit wäre man doch viel besser in der Lage, strikte, präzise Vorschriften zu geben. ...
... Ich glaube, daß auch andere Gründe, mehr politische, dafür sprechen, den Entwurf auf die Cholera zu beschränken. Nicht jedermann im Hause ist geneigt, dem Reich neue Kom- M petenzen auf Kosten der Einzelstaaten zuzuweisen, wenn das Bedürfniß nicht unabweislich nachgewiesen ist. Also ich resümire mich dahin: zur Erwägung anheimzugeben, ob es nicht zweckmäßig wäre, uns lediglich auf die Cholera zu beschränken und uns hier zu konzentriren, statt das Gesetz mit Bestimmungen zu belasten gegen Krankheiten, welche für uns doch nur nebensächliches Interesse haben. Was nun die Bestimmungen des Entwurfs im Einzelnen betrifft, so ist die Krankheitsanzeige naturgemäß die Voraussetzung des administrativen Einschreitens gegen die Cholera, und ich glaube, daß gegen das Prinzip der Anzeige wohl von keiner Seite werden Einwendungen erhoben werden. Wir in Preußen haben diese Anzeigepflicht schon nach dem heute noch giltigen Regulativ vom Jahre 1835. Die Anzeigepflicht ist nach dem jetzt vorliegenden Entwurf in erster Linie dem Arzt übertragen. Da dürfte es sich doch fragen, ob hier der Arzt nicht im öffentlichen Interesse mit einer Aufgabe bedacht wird, die ihn schwer belastet, und der ein beschäftigter Arzt, insbesondere auf dem Lande, unter Umständen kaum wird genügen können. Vielleicht dürfte es ausreichen, wenn man dem Arzt bloß die Aufgabe stellt, eine Krankheitsbescheinigung formularmäßig auszustellen und diese dem Haushaltungsvorstand zu übergeben, der sie dann seinerseits der Behörde zufertigt. ...

148 /782
... Bei der Cholera ist es wohl anders. Da ist es vielleicht wünschenswerth, daß bereits der erste Krankheitsfall publizirt wird. Aber das hat auch seine Bedenken, wenn nur wir den ersten Fall amtlich publiziren, und nicht auch das Ausland; dabei könnten wir doch sehr schlecht fahren. Jedenfalls zeigt sich auch hier, wie schwierig es ist, mehrere solche Krankheiten in einem Gesetz zu behandeln. Dann wäre noch die Frage: soll eine solche öffentliche Bekanntmachung auch in größeren Städten stattfinden, beispielsweise in Braunschweig, in Wiesbaden, — um nicht Berlin zu nennen, — wenn nur ein einzelner Pockenfall vorliegt? Dann wird es sofort heißen: dort sind die Pocken, und jeder, der es vermag, wird einen solchen Ort meiden. Ich meine, hier kann das Geschäfts- und Erwerbsleben einer Stadt ohne dringenden Grund sehr empfindlich geschädigt werden. Ueber den Theil des Entwurfs, welcher die Schutzmaßregeln behandelt, habe ich kein Urtheil; denn ich bin kein Sachverständiger. Was nothwendig ist, muß natürlich geleistet werden, und bei der Gemeingefährlichkeit der Krankheiten muß auch der Einzelne sich schweren und drückenden Bestimmungen unterwerfen. Aber es muß Vorsorge getroffen werden, daß die freie Willensbestimmung des Einzelnen nicht mehr als nothwendig beeinträchtigt wird, und daß namentlich Eingriffe in das Familienleben vermieden werden bis an die äußerste Grenze des Möglichen. Das halte ich für unerläßlich, und ich zweifle, ob hier nicht mehr Garantien erforderlich sind. Der beamtete Arzt wird im Gefühl seiner Verantwortlichkeit stets geneigt sein, zu den schärferen Maßregeln zu greifen. In Z 13 heißt es z. B. ...

149 /782
... Meine Herren, man hat meines Erachtens sehr zu Unrecht — und es ist mir Bedürfniß, das jetzt hier auszusprechen — (6) gegen das Seuchengesetz ins Gefecht geführt den wissenschaftlichen Streit, der noch immer nicht ausgetragen ist über die Natur und die Bekämpfungsweise der Cholera. Ich bin der Meinung, daß ein Seuchengesetz, welches das Reich macht, wenn es seinen Zweck erfüllen soll, überhaupt gar nicht Rücksicht zu nehmen hat auf irgend welche wissenschaftlichen Theorien, die im Augenblick noch im Streit befangen sind, sondern ich glaube vielmehr, daß ein Seuchengengesetz so eingerichtet sein muß, daß es unter allen Umständen mit Erfolg wirksam werden kann, es mag eine Krankheit wissenschaftlich nach dieser oder jener Theorie angesprochen werden. Und diese Aufgabe, meine Herren, glaube ich, hat der Entwurf in vollem Maß erfüllt. Sie mögen die Cholera mit Herrn Dr. von Pettenkofer als eine sogenannte lokalistische Krankheit ansehen oder ihr mit Herrn Geheimrath Dr. Koch einen ausschließlich kontagionistischen Charakter beilegen; Sie werden immer, wenn Sie im Wege der Gesetzgebung gegen diese Seuche vorgehen wollen, in beiden Fällen gewisse Maßregeln treffen und die Ausführung dieser Maßregeln sicherstellen müssen, die, ganz gleichgiltig, ob Sie die Cholera nach der einen oder anderen Auffassung ansprechen, nothwendigerweise in Kraft zu setzen sind. ...
... Wir würden uns also über die Cholera unterhalten haben, würden da bald zu einem Einverständniß gekommen sein; und wenn dann über kurz oder lang einige von denjenigen Krankheiten, die jetzt nach Meinung des Bundesraths auch von dem Gesetz getroffen werden sollen, in Deutschland epidemisch aufgetreten wäre, so hätten wir von neuem die Klinke der Gesetzgebung in die Hand nehmen und uns von neuem unterhalten müssen, was dem gegenüber zu thun wäre. Meine Herren, ich rufe in Ihre Erinnerung zurück und rufe ...

150 /782
... Denn so leid es mir thut, ich muß es aussprechen: wir sind leider nicht sicher davor, daß auch in diesem Jahre die Cholera sich bei uns wieder zu Gaste einstellen wird. Und wenn es auch im vergangenen Jahr gelungen ist, mit den damals noch beschränkten Mitteln und innerhalb der nicht unbestrittenen Kompetenz, wie sie durch den Art. 4 der Verfassung uns gegeben ist, der Cholera Herr zu werden. Dank der ausgezeichneten Mitwirkung, die wir von Seiten der Landesbehörden, der Kommunalverwaltungen und vor allen Dingen unseres Gesundheitsamts und des Beiraths, der diesem Gesundheitsamt in gefahrvoller Zeit zur Seite gestanden hat, gefunden haben, so werden wir doch nur dann sicher sein können, einer künftigen Epidemie wirksam, schnell und mit dem von uns allen ersehnten Erfolge entgegenzutreten, wenn Sie uns durch dieses Gesetz die Vollmachten geben, welche wir für nöthig halten und allen Ernstes und dringend von Ihnen erbitten. (Bravo!) Vizepräsident Graf von Ballestrem: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Endemann. Abgeordneter Dr. Endemann: Meine Herren, ich stimme vollkommen mit dem Herrn Staatssekretär in das Lob ein, welches er den betreffenden Behörden für Bekämpfung der vorjährigen Choleraepidemie ertheilt hat; ich habe das früher schon bei anderer Gelegenheit hier erwähnt. Ebenso bin ich ihm dafür dankbar, daß er sich fest darauf steift: Art. 4 der Reichsverfassung giebt dem Reich das Recht, die Medizinalverfassungen der Einzelstaaten gewissermaßen zu ändern, resp. in eine andere gleichmäßige Form hineinzubringen. ...

151 /782
... Nun liegt aber die Nothlage, in der die verbündeten Regierungen sich befinden, nicht allein in der jetzigen zu befürchtenden Choleragefahr — denn unsere Erfahrungen lehren ja, daß die Cholera nicht mit dem Auftreten in einem Jahr erledigt ist, sondern sich mehrere Jahre hintereinander in Deutschland hier und da zeigen wird, und das ist leider Gottes auch in diesem Jahr und später zu befürchten; andererseits ist ja die Nothlage im vorigen Jahr geschaffen worden durch einzelne solche kolossale Maßregeln, die man nicht sür menschenmöglich gehalten hätte, daß man die Menschen womöglich vor den Thoren mit den Gendarmen zurückgewiesen hat, sodaß Handel und Verkehr vollkommen ins Stocken gebracht wurden. Meine Herren, da muß die Reichsgesetzgebung eingreifen, daß solche Dinge nicht wieder vorkommen können; und es ist ja damals gelungen — nicht durch gesetzliche Maßregeln, sondern durch den guten Willen der einzelnen Regierungen —, daß diese Mißstände entfernt worden sind. Meine Herren, es kann ja1 doch1 nicht Sache des Reichstags1 sein,1 hier zu entscheiden,1 ob1 die Kontagionisten oder Lokalisten recht haben; das ist eine für den Reichstag unmögliche Aufgabe. Ich kann nur erwähnen, daß ein großer Theil der deutschen Aerzte sich der Kochschen Richtung zuneigt und glaubt, daß darin das Richtige liegt. Denn es ist klar, (6) daß1 auch1 der Bazillus dabei1 eine1 maßgebende Rolle spielt. Wir1 sind1 eben noch nicht so1 weit1 in diesen Dingen; es ist das i^noruinus oder vielleicht das iKvorabimus unseres berühmten Dubois-Reymond, welches immer in naher Erinnerung steht. ...
... Der Herr Staatssekretär hat ja erwähnt, daß die internationale Konferenz zur Abwehr der Cholera in Dresden schon gewesen ist. Ich kenne die Beschlüsse noch nicht, man hat in den Zeitungen noch nichts darüber gelesen. (Widerspruch links.) Es wird das aber wohl Einfluß haben auf die einzelnen Paragraphen. Ich gestehe Ihnen offen, es war eine getäuschte Hoffnung, wie uns Aerzten dieser Entwurf in die Hände gekommen ist. Der zweite Entwurf enthält bedeutende Verbesserungen gegenüber dem ersten. Ich kann nicht darüber urtheilen, ob die Versammlung dahier, ob die Verhandlungen der Ärztekammer und des Vorstandes des deutschen Aerztevereinsbundes am 5. März dahier irgend welchen Einfluß darauf gehabt haben, daß einige Verbesserungen in diese Dinge hereingekommen sind. Wie gesagt, ich verkenne ja nicht die Nothlage, in der die verbündeten Regierungen gewesen sind, um rasch einen derartigen Gesetzentwurf dem Reichstag vorzulegen; aber ich gestehe offen, es ist eine Enttäuschung. Trotzdem sind meine Freunde entschlossen, den Gesetzentwurf einer Kommission von 21 Mitgliedern zu überweisen; und bitte ich das hohe Haus darum. Vizepräsident Graf von Ballestrem: Das Wort hat der Herr Bevollmächtigte zum Bundesrath, Vizepräsident des Königlich preußischen Staatsministeriums, Staatssekretär des Innern Dr. von Boetticher. ...

152 /782
... Abgeordneter Graf zu Stolberg-Wernigerode: Meine Herren, ich will zugeben, daß, wenn man sich auf einen prinzipiellen Standpunkt stellt, es richtig ist, nicht nur die Cholera, sondern auch noch andere Krankheiten in dieses Gesetz M aufzunehmen; allein, wie die Dinge einmal liegen, trete ich darin der Auffassung meines politischen Freundes Herrn von Holleuffer bei, daß auch ich es für zweckmäßig halte, wenn wir uns zunächst nur auf die Cholera beschränken, und zwar aus einem einfachen, lediglich praktischen Grunde. Wenn der Herr Staatssekretär gesagt hat, wir wären nicht sicher vor einer Invasion der Cholera in diesem Jahr, so möchte ich meinerseits einen Schritt weiter gehen, ich möchte sagen: wir sind sicher, soweit man das überhaupt sagen kann, daß wieder eine Invasion kommt; wann sie kommt, können wir nicht wissen, wahrscheinlich aber doch spätestens in der zweiten Hälfte des Sommers. Und da habe ich den dringenden Wunsch, daß dieses Gesetz vor diesem Zeitpunkt fertig ist; und dämm, meine ich, muß man es so wenig als möglich belasten, man muß nur das in dasselbe aufnehmen, was unbedingt erforderlich ist — und das wird man mir doch zugeben müssen, daß für die Aufnahme anderer Krankheiten nur ein theoretisches Bedürfniß vorliegt, während für die Cholera ein praktisches Bedürfniß vorliegt. Meine Herren, ich glaube auch, daß der Widerstand gegen das Gesetz entschieden ein schwächerer sein wird, wenn wir es auf die Cholera beschränken. ...

153 /782
... Ich will auf die Frage nicht eingehen, ob man in das Gesetz außer der Cholera auch noch das Gelbfieber oder die Pest aufnehmen möge. Meine Herren, diese Frage ist nicht von Bedeutung. Die Pest haben wir in Deutschland seit 150 Jahren nicht mehr gehabt, das gelbe Fieber haben wir noch nie gehabt; voraussichlich wird uns der Himmel mit diesen Krankheiten verschonen. Aber ich sage: 8up6rtiua uou aoasut! Und so sehe ich nicht ein, warum wir, nachdem der Herr Staatssekretär die Möglichkeit solcher Krankheiten nachgewiesen hat, sie mit aller Gewalt hinauswerfen sollen. Was mir aber weniger gefällt, ist ein weiteres Alinea im Z 1, worin es heißt: Durch Beschluß des Bundesraths können die vorstehenden Bestimmungen auf andere ansteckende Krankheiten ausgedehnt werden. Meine Herren, diese Bestimmung scheint mir zu weitgehend zu sein. Will man dem Bundesrath das Recht geben, dieses Gesetz auf andere Krankheiten auszudehnen, so möge man diese Krankheiten in dem Gesetz bezeichnen. Aber ich meine: diese Blankovollmacht ist zu weitgehend. Wir wissen ja, daß (D) der Bundesrath, wahrscheinlich auf ärztliche Gutachten hin, in diesem Gesetz eine weitgehende Beschränkung der persönlichen Freiheit vorgenommen hat; und wir können daraus abnehmen, daß er, ebenfalls aus ärztliche Gutachten gestützt, eine Reihe von Krankheiten vielleicht in den Kreis dieses Gesetzes ziehen könnte, die nach unserer Absicht durchaus nicht einzubeziehen sind. ...
... Wenn der behandelnde Arzt sagt: es ist keine Cholera, der Kranke ist nicht der Cholera verdächtig, es liegt kein Grund vor, dies anzunehmen — und wenn der beamtete Arzt, der den Kranken bisher nicht gekannt hat, der vielleicht zum ersten Mal ins Haus kommt, ihm vielleicht zum ersten Mal den Puls fühlt, sagt: hier liegt Verdacht der Cholera vor —, so tritt sofort, ohne daß ein oberer entscheidet, die große Zahl von Schutzmaßregeln ein, die ja, wie Sie mir alle zugeben werden, schwere Eingriffe in die persönliche Freiheit bedeuten. Ich will von diesen Eingriffen, wie sie ja vielfach vorkommen, und wie sie von einem der Herren Vorredner näher skizzirt worden sind, nur einen hervorheben, der mir von großem Gewicht zu sein scheint. Nach Z 13 soll der Kranke ...

154 /782
... Nun, hier sehen wir zum ersten Mal, daß es der Regierung gelungen ist, den Widerstand der anderen Bundesstaaten zu brechen und wenigstens ein kleines Maß von Exekutive zu gewinnen, ähnlich wie es, wie wir uns alle erinnern, im letzten Jahr bei Gelegenheit der Cholera schon (L) einmal praktisch erprobt worden ist. In der Kommission mögen Erwägungen darüber am Platze sein, ob nicht nach dieser Richtung hin etwas mehr geboten werden könnte. Das ist ein Punkt, der mir durchaus nicht unsympathisch sein würde; indessen muß ich allerdings bezweifeln, ob die übrigen Bundesregierungen sehr bereit sein werden, weitere Konzessionen zu machen und eine größere Ausbildung der Exekutive dem neuen Reichsgesundheitsrath zu bewilligen. Dagegen möchte ich hervorheben, daß ein Gedanke mehr, als nothwendig ist, in den Motiven der Regierung hervortritt, dem auch der Herr Minister von Boetticher heute wieder Ausdruck gegeben hat, nämlich die ewige Sorge über die Verschiedenheiten der Auffassung innerhalb der wissenschaftlichen Kreise. Ich fürchte, daß diese Differenz sich niemals ganz beseitigen lassen wird. Jede neue Gelegenheit zu Erfahrungen bringt eben auch wieder neue Gesichtspunkte der Betrachtung, und jede Entwicklung neuer Gesichtspunkte bringt auch wieder Streit und Differenzen zu Tage. ...
... Wir haben gelernt, daß, abgesehen von der Besorgung von reinem Trinkwasser und reiner Nahrung, kein anderes Mittel vorhanden ist, durch welches wir die Keime der Cholera und der analogen Krankheiten sicherer vernichten können, als eben die Hitze. Diese Erfahrung hat sich mit steigender Gewalt seit jener Zeit herausgebildet, wo zuerst die Hitze gegen die Fleckfieberkeime in Anwendung gebracht wurde, und sie ist mehr und mehr ausgebildet worden. Diese Methode läßt sich in verschiedenen Formen zur Anwendung bringen, sodaß nicht alles auf dieselbe Weise behandelt werden muß. Aber immer muß man sich darüber 284 ...

155 /782
... Schon im Jahre 1852 suchte die Cholera die Provinz Posen heim und trat in dem Bomster Kreise sehr heftig auf. Später, im Jahre 1866, besuchte sie uns wieder, wenn auch nicht in (6) so intensiver, strenger Weise wie im Jahre 1852. Wiederum im Jahre 1856 traten die Pocken, die wirklichen, echten Pocken, sehr heftig auf. Es ist mir in allen diesen Fällen gelungen, die Krankheit zu bekämpfen und ihrer Herrschaft in möglichst kurzer Zeit ein Ende zu machen. Allerdings war das nur möglich mit ganz energischen Maßregeln, über deren Zulässigkeit nach den geltenden Bestimmungen in Preußen, den sanitätspolizeilichen Vorschriften vom Jahre 1835 ich, wenn ich mir überhaupt die Zeit gelassen hätte, Zweifel zu erheben, jedenfalls sehr zweifelhaft gewesen wäre. Bei der Besorgniß und bei der Furcht, die das heftige Auftreten dieser Krankheiten unter der Bevölkerung hervorrief, hat sich aber jeder gern diesen Maßregeln unterworfen; und da sie eben, wie ich schon bemerkt habe, Erfolg hatten, so hat auch kein Mensch darüber Beschwerde geführt. Ich bin mir aber ziemlich sicher, daß, wenn in einzelnen Fällen die Berufung auf gerichtliche Entscheidung von dem einen oder anderen dabei Betroffenen eingelegt worden wäre, wahrscheinlich die eine oder andere dieser angewendeten Maßregeln vom Richter aufgehoben worden wäre. ...
... Ich bin ganz der Ansicht des Herrn Staatssekretärs von Boetticher, daß, wenn überhaupt das Reich sich mit diesem Gegenstand befaßte und Bestimmungen zur Bekämpfung der gemeingefährlichen Krankheiten vorschlug, dann wirklich nicht bloß die Cholera, deren Gefahr ja jetzt gerade besonders brennend ist, sondern überhaupt alle diejenigen Krankheiten mit aufgenommen werden sollten, die sich — ich gebrauche denselben Ausdruck, den der Herr Staatssekretär von Boetticher gebraucht hat, — wirklich als Volksseuchen darstellen. Ich muß sagen, ich hätte daher gewünscht, daß noch wenigstens zwei Krankheiten mit aufgenommen wären, die nicht, wie die Cholera, nur zu gewissen Zeiten, oder wie andere Krankheiten, die überhaupt in vielen Jahren kaum vorkommen, auftreten, sondern die alljährlich viele Opfer fordern, und deren Bekämpfung die Hauptaufgabe nicht bloß der Verwaltungsbehörden, sondern namentlich der Aerzte ist, nämlich der Darmtyphus und die Diphtheritis. Ich würde es gewünscht haben, daß diese mit aufgenommen wären; und es genügt mir nicht, daß im Z 1 gesagt ist, daß der Bundesrath befugt sein soll, diese Krankheiten, wenn sich dazu ein Bedürfniß herausstellen sollte, nachträglich mit aufzunehmen; denn ich muß mit dem Herrn Abgeordneten Fritzen — ich glaube, er war es, der dieses sagte, — gerade diesen Passus in Z 1 für einen sehr bedenklichen halten. Ich würde wünschen, daß in dem Gesetz alle diejenigen Krankheiten angeführt würden, auf die es mit seinen doch vielfach sehr schweren Bestimmungen Anwendung ...

156 /782
... Als ich im Jahr 1852 zum ersten Mal gegen die Cholera zu kämpfen hatte, da hatte sich in der einen polnischen Gemeinde die Besorgniß verbreitet, daß, wenn eine Anzeige über Choleraerkrankungen an die Behörde gelangt, der Gemeinde die Pflicht auferlegt werden würde, ganz besondere Maßregeln zu treffen und die Kosten dafür zu tragen. In Folge dessen verheimlichten sie selbst die Todesfälle. Der dortige Geistliche, ein alter, würdiger Herr, ein ehemaliger Cisterciensermönch, Mt dem ich sehr befreundet war, kam selbst zu mir und erklärte, er wisse ganz genau, daß so und so viele an der Cholera gestorben seien. Ich erwiderte, daß keine Anzeige eingegangen sei. Er blieb dabei stehen, und ich schritt dann zu dem Mittel, mit dem Polizeidistriktskommiffar, der Polizeibehörde förmliche Haussuchungen, wenn ich mich kurz so ausdrücken darf, nach Leichen vorzunehmen. Wir fanden denn auch eine Anzahl Gestorbener, von denen der Kreisphysikus erklärte, daß sie an Cholera verstorben seien, in Ställen versteckt oder sonst-(L) wie vergraben. Es mußten Maßregeln zur Bekämpfung der Krankheit angeordnet werden, auf die ich hier nicht näher eingehen will, die aber einen sehr guten Erfolg hatten. Nachdem die Leute einzusehen begannen, daß von ihnen kein Geld, keine Kosten verlangt wurden, sondern daß alles, was zu ihrem Besten eingerichtet wurde, ohne Opfer von ihrer Seite geschah, dann haben sie sich natürlich gern dem unterworfen, und es ist gelungen, die Krankheit zu bekämpfen. Es war in dieser Gemeinde ein ehemaliges Kloster, welches den Jesuiten, die damals zu Missionen herumreisten, zum Winteraufenthalt von der Regierung eingeräumt wurde. ...
... Es ist das im vorigen Jahr bei der Bekämpfung der Cholera vielfach vorgekommen. Es werden Ihnen die Fälle bekannt sein, ich brauche ja nicht auf die fürchterlichen Maßregeln hinzuweisen, die an der österreichischen Grenze vorgekommen sind, indem man die Desinfektion des Gepäcks in der Weise vorgenommen hat, daß ganze Koffer in einen heißen Ofen gesteckt wurden und schließlich dann in (v) einem solchen Zustande herauskamen, daß alles, was darin war, und der Koffer selbst nie wieder zu gebrauchen war.1 Ich1 kann Ihnen einen1 Fall1 erzählen, den1 ich erlebt. Ich war in der ersten Hälfte des September v. I.1 in1 Saßnitz. Dorthin1 kam1 allwöchentlich1 ein Dampfer von Stettin, der nicht bloß Paffagiere, sondern auch Kaufmannswaaren, Lebensmittel, Naturalien, für die Saßnitzer, namentlich für die Gastwirthe brachte. Es verbreitete sich nun die Nachricht, daß in Stettin ein Cholerafall vorgekommen war, aber nicht in der Stadt, sondern außerhalb der Stadt. Trotzdem wurde von der Polizeibehörde von Saßnitz dem Dampfer, als er nach Eingang dieser Nachricht ankam, untersagt, irgend welche Stücke von seinen Gütern auszuladen. Die Saßnitzer konnten also die bestellten Lebensmittel, Waaren oder was es sonst war, nicht erhalten. Man konnte nicht einmal zum Frühstück ein paar weiche Eier bekommen, weil die Eier vom Dampfer nicht an das Land hatten gebracht werden dürfen. Meine Herren, darüber könnte man sich ja hinwegsetzen, man kann auch ohne Eier leben; aber bei der hohen Temperatur, die damals bestand, mußten die meisten Nahrungsmittel, die nun auf dem Dampfer wieder zurückgingen, verderben. ...

157 /782
... Ich will nur daran erinnern, daß ein Mitglied des hohen Hauses im Besitz eines Talismans ist von Kupferplatten, mit dem er die Cholera heilen zu können glaubte. (Heiterkeit.) Wir haben ja einen Prozeß gehabt, in dem es sogar als Beleidigung aufgefaßt wurde, daß dem Grafen Schliessen nachgesagt wurde, es wäre Aberglauben, daß er Kupferplatten gegen die Cholera empfiehlt. Wir haben eben so krasse Widersprüche zwischen denjenigen, die sich zur Naturheilmethode bekennen und denjenigen, die sich auf die alte oder neue Schule der Medizin berufen. Wenn hier der beamtete Arzt — und er wird ja sicher ein Arzt der alten Schule sein, das bringt ja der Gang der Be-(V) förderung so mit sich, daß er möglichst regelrecht erzogen sein muß — mit einem neueren Arzt als behandelnden Arzt zusammenkommt, so werden daraus Konflikte entstehen, die recht deutlich zeigen werden, wie nöthig es ist, daß wir eine einheitliche Regelung des Aerztewesens bekommen, und daß das undurchführbar ist, solange das Arztgewerbe ein Handelsgewerbe ist, das auf keine größere Höhe gebracht werden kann, als irgend ein anderes Handelsgewerbe in unserem kapitalistischen Zeitalter. Auch an den Einzelheiten des Entwurfs haben wir an verschiedenen Punkten einiges auszusetzen. In Bezug auf die Räumung der Wohnungen ist der Gedanke ausgesprochen worden, daß es ein großes Unrecht wäre, wenn man den Kranken aus der Wohnung entfernt; man solle lieber die Gesunden aus der Wohnung entfernen. Ja, wenn man doch lieber auf die Ursachen zurückgehen wollte! ...

158 /782
... Meine Herren, ich gehöre durchaus zu denjenigen, welche es lebhaft bedauern — selbstverständlich —, daß nicht zur Zeit, als die Cholera bei uns ihren Einzug hielt, die Wasserversorgung Hamburgs durch die Sandfiltration, welche im Jahre 1890 in Angriff genommen war, vollendet gewesen ist. ...

159 /782
... Ich behaupte, wenn wir nicht im vorigen Jahre die Cholera bekommen hätten, so würde man jetzt möglicherweise sagen: die Behörden Hamburgs sind zwar langsam zu dem Entschlüsse, die Sandfiltration ins Werk zu richten, gelangt, aber (v) nunmehr sind sie auch in der Lage, die neuesten Hilfsmittel der Technik auf diesem Gebiete zu benutzen und zu verwerthen. Ich darf noch hinzufügen, wie außerordentlich die Meinungen über das, was sanitär zulässig und was sanitär unzulässig ist, auseinander gehen. Das dürfte hervorgehen aus dem Umstande, daß in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre, also beträchtlich eher, als wir filtrirtes Wasser liefern konnten, — das bekommen wir erst im Mai, also im nächsten Monate — Verhandlungen geführt sind mit der Stadt Wandsbek, unserer Nachbarstadt, unter den Auspizien der Königlich preußischen Behörden über den Anschluß Wandsbeks an unsere Wasserleitung. Dieses ganze Projekt ist gescheitert, nicht etwa wegen der Beschaffenheit des Hamburger Leitungswaffers, sondern an erheblichen technischen Schwierigkeiten. Ich meinerseits bin überzeugt, daß, was uns im vorigen Jahr getroffen hat, ein furchtbares Unglück gewesen ist. Aus dem Fehlen der Sandfiltralion allein erklärt sich die kolossale Verbreitung, die die Cholera genommen hat, keineswegs, auch nicht im Verein mit den schlechten Wohnungen, auf welche ich nachher noch mit einigen Worten kommen werde, und welche natürlich auch bei uns, wie in jeder anderen Großstadt, vorhanden sind. Es mußte eben eine ganze Reihe von Umständen zusammenkommen, die in ihrer Gesammtheit die furchtbare Katastrophe, welche Hamburg heimgesucht hat, herbeiführten. ...

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... Uebrigens entgegne ich dem Herrn Abgeordneten Wurm, daß er sich in einem radikalen Irrthum befindet, wenn er glaubt, daß die Erfahrungen, welche die Hamburger Behörden in Veranlassung der Cholera des letzten Jahres in Bezug auf die Wohnungsverhältnisse gemacht haben, an diesen Behörden spurlos vorüber gegangen sind. Diese seine Behauptung ist absolut unrichtig.1 (Zuruf.) — Er hat es doch gesagt, Herr Abgeordneter Schwartz. (Zuruf). — Weil Sie die Sache noch nicht kennen. — Ich sagte also, daß in einem großen Theil der Bevölkerung, ganz besonders bei den Behörden, sich diese Ueberzeugung Bahn gebrochen hat. Insbesondere ist man der Meinung, daß in Bezug auf die Bebauung schärfere Maßregeln getroffen werden müssen. Es ist zuzugeben, daß in Hamburg — ebenso wie in sehr vielen anderen deutschen Städten, wie ich glaube — die wohlwollenden Absichten der bestehenden Gesetze in Bezug auf die Zuführung von Licht und Luft durch geräumige große Höfe vielfach vereitelt werden, daß die Lufthöfe vielfach so beschränkt sind, daß das Wort nluous a non luLsncto in der drastischsten Weise zur Darstellung kommt. Ueberhaupt werden in ganz erfinderischer Weise die Vorschriften des Baupolizeigesetzes umgangen von denjenigen Bauspekulanten, in deren Händen ja leider die Er-Reichstag. 8. Legisl.-P. II. Session. 1892/93. bauung der Massenquartiere fast ausnahmslos liegt. ...
... Es haben sich bei der Cholera im vorigen Jahre in Bezug auf die Wohnungen ganz unleidliche Verhältnisse herausgestellt. Wenn man aber fragt: woher kommt es denn, daß man erst bei Gelegenheit der Cholera gesehen hat, welche Mißstände in Bezug auf die Wohnungen vorhanden sind, so antworte ich: das kommteinfach daher, weil man in Hamburg ebenso wenig wie anderswo seither genügend tief in die Privatrechtssphäre der die Bauspekulation und die Erbauung von Massenquartieren gewerbsmäßig betreibenden Grundeigenthümer eingegriffen hat. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Das soll allerdings jetzt geschehen; und was wir wollen, ist in einem Satz Folgendes: wir wollen es unmöglich machen, daß in Zukunft den sanitären Ansprüchen nicht genügende Wohnungen gebaut werden, und wir wollen zweitens das Bewohnen von vorhandenen, aber in sanitärer Beziehung unzureichenden Wohnungen verbieten. Das ist, was wir uns als Aufgabe stellen. Wie weit wir das, was wir uns vorgenommen haben, durchsetzen können, das muß sich finden. Ich bin der Meinung, daß man an manche Interessen, welche bis dahin, wenn ich das Wort gebrauchen darf, als sakrosankt gegolten haben, wird rühren müssen. (Bravo! bei den Sozialdemokraten.) Man wird also der rücksichtslosen Ausbeutung des Grund und Bodens, welche — ich weiß keinen besseren Ausdruck — 285 ...


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