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Verhandlungen des Reichstages. - Berlin, 1874
Bd.: 31. 1874
Signatur: 4 J.publ.g. 1142 yb,A-31

ID: 00018367
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... Ferner, meine Herren, ein anderer Punkt ist, daß die Gesetzvorlage selbst zugesteht, es sei die Wiederimpfung bei einer Epidemie nöthig; also wird der sehr mangelhafte Schutz der Einimpfung zugestanden. Ferner wird in der Vorlage noch zugestanden, daß die Verheerungen selbst dort großartig gewesen seien, wo der Impfzwang bereits geherrscht habe. Der wichtigste von allen Punkten, der. ebenfalls in der Gesetzvorlage betont wird, ist der, daß die Ucbertragung der Syphilis durch die Impfung durchaus nicht in Abrede gestellt wird, die Übertragung des gefährlichsten aller Gifte von einein Körper aus dein andern, wodurch ganze Nationen ruinirt werden können. Nun, meine Herren, alle diese Punkte sprechen nicht zu Gunsten der Vorlage. Es würde sich darmn Händeln, wie die einzelnen Autoritäten, die sich für den Impfzwang aussprechen, besonders in den uns unterbreiteten Broschüren, kritisirt werden. So weist man auf die schwedische Statistik hin, und doch haben schon sehr hervorragende Aerzte gerade jene schwedische Statistik als irrthümlich und fälschlich aufgefaßt bezeichnet. Es ist hier schon die Autorität des Herrn Kußmaul als ersten Verfechters des Impfzwanges vorgeführt, und es wird ebenfalls jenem Herrn nachgewiesen, daß er betreffs seiner Ausstellung einer Statistik über Württemberg ganze 10,000 Todesfälle zu Gunsten des Impfzwanges gegenüber der officiellen Aufstellung habe versänvinden kaffen. Ich meine, meine Herren, das ist schon eine gewichtige Thatsache. Es wird hier ferner noch ein gewisser vr. ...

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... Ferner zeigt uns die Statistik sämmtlicher größeren Städte Englands, Frankreichs und Deutschlands, daß überall da, wo die Arbeiterbevölkerung zusammengedrängt ist, die Sterblichkeit, sobald eine Epidemie eintritt, eine bedeutend größere ist, als in den weniger bewohnten Gegenden, wo Reinlichkeit, Ordnung u. s. w. besser herrschen können, kurz mit einem Wort, wo die Bewohner besser situirt sind. Nur ein einziges Beispiel, das wahrscheinlich Ihnen allen bekannt ist und das auch in der betreffenden Broschüre angeführt ist, aus Chemnitz, erlaube ich mir anzuführen. Da, wo in einem Hause beispielsweise 160 Einwohner zu finden waren, da war die Sterblichkeit eine enorm große. Ich möchte noch aus eigner Erfahrung anführen, daß ebenfalls in einer der reichsten Städte Deutschlands, in Hamburg, die Cholera fort und fort existirt, und wodurch, meine Herren? Nur dadurch, weil es nirgends erbärmlichere Arbeiterwohnungen — als Spelunken kann «ran sie bezeichnen — giebt, als gerade dort. Dort giebt es die meisten Kellerwohnungen, Kellerwohnungen, die noch dazu einen Theil des Jahres unter Wasser gesetzt sind. Zn jener Gegend hört auch niemals die Cholera auf, dort grosssten die Blattern am ällertollsten. ...

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... Nur Eines wundert mich, daß nämlich jene Herren nicht darauf gekommen sind, wie es zugeht, daß die Epidemie in letzter Zeit in Schweden abgenommen hat; ich bin mir klar darüber, daß dies dadurch gekommen ist, daß man die Auswanderung befördert und seitdem die schwedischen Arbeiter die Kulis für Europa geworden sind; inan hat einen Abzug für die Armuth gefunden und es braucht darum eben dieselbe sich nicht selbst aufzureiben, denn, meine Herren, es ist die Wirkung des ehernen ökonomischen Lohngesetzes, daß, sobald der Arbeiter nicht das Nothwendigste zum Leben hat, der Arbeiterstand decimirt werden muß, so lange, bis er wiederum einen besseren Lohn erzielt, wo dann eine größere Sterblichkeit nicht mehr stattfindet. Das haben die Herren vergessen, und ich glaube, auf diesen Punkt müssen alle diejenigen, die sich mit der Pockenstatistik beschäftigen, ihre Aufmerksamkeit lenken. Ferner hat, wie bereits angeführt ist, der Statistiker Herr Uv. Engel nachgewiesen, daß in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts, wo doch in Preußen die Zinpsung eingeführt war, die Pockensterblichkeit durchaus nicht abgenommen hat, ! sondern daß vielleicht noch mehr gestorben sind als in der! letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, wo keine Impfung war. Dann sind verschiedene Städte angeführt, beispielsweise Kopenhagen, wo von 988 Pockenkranken 659 geimpft waren. Nun, meine Herren, wenn man dennoch Kopenhagen hinstellt als eine Stadt, wo geimpft wird und wo die Pockenkrankheit wenig herrscht, so hat dies nach meiner Ansicht, und ich glaube, auch nach Ansicht aller derer, die sich einigermaßen darum bemühen wollen, den Grund zu finden, noch eine andere Ursache. ...
... Darin, meine Herren, ist das Mittel zur Beseitigung dieser Epidemie gewiß gesunden. Es ist nun zwar Verschiedenes über die Schutzkraft der Impfung angeführt von den Herren Aerzten, welche sich in dieser Angelegenheit gestritten haben. Von dem Herrn vr. Nittinger in Cherbourg sind aber 40,000 Francs als Belohnung für denjenigen Arzt ausgesetzt, welcher, den Nachweis führt, daß die Impfung wirklich ein Schutzmittel gegen die Pocken ist, die bis jetzt aber nicht reklamirt sind. Es ist gerade das Schlimme, daß nicht nachgewiesen werden kann, daß die Impfung ein Mittel gegen die Pocken ist; im Gegentheil, es ist ja der Antrag in der Gesetzvorlage gestellt worden, dis Revaccination oder Wiederimpfung herbeizuführen, sobald sie sich als nothwendig herausstellt. Außerdem sehen wir, daß Leute, welche zweimal geimpft wurden, zweimal die Pocken hatten, sie auch noch zum dritten Male bekommen. Der Grund der Ansteckung ist somit nicht darin zu finden, daß die Entwicklung der eingeimpften Pocken ausblieb. Es hat jener Hauptvorkämpfer für den Impfzwang, der Dr. Kußmaul selbst, ein Geständniß gemacht, als er über Rußland sich aussprach: „er wolle nicht gerade sagen, daß vielleicht für Rußland die Impfung ein Segen sei, aber was in Bezug auf Rußland für gut befunden werde, lasse sich nicht auf Deutschland anwenden. ...

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... Es ist nun anerkannt und, ich glaube, von Niemand bestritten, daß das Warmhalten des Körpers, namentlich der Magengegend, im höchsten Grade vortheilhaft ist, wenn diese Epidemie grassirt, daß es eines der besten Abhaltungsmittel gegen dieselbe ist; wem ist es aber bis jetzt eingefallen, polizeilich oder durch gesetzliche Maßregeln zu verordnen, daß Zeder eine flanellne Leibbinde tragen muß, oder gar die Regierungen zu veranlassen. Jeden mit einer flanellnen Leibbinde zu versehen und regelmäßige Visitationen abhalten zu lassen, (Heiterkeit) um zu konstatiren, daß die Leibbinden auch wirklich angelegt und getragen werden. (Erneute HeiteMt.) Verhandlungen des Deutschen Reichstages. Hier würde es sich gewiß um ein unschädliches Mittel handeln, und der ungeheuren Mehrzahl der Bewohner selbst würde, selbst abgesehen von der Cholera, durch die Leibbinde ein angenehmer Dienst erwiesen. Vielleicht kommen die Herren Aerzte auf Grund der Wissenschaft und der Erfahrung noch dazu. Aber ich muß sagen, das System führt denn doch gar zu weit. Wir kämen damit am Ende zur Phalanstere. So lange man noch, nicht zwangsweise uns die so wohlthätigen Leibbinden oktroyirt, sollte man uns auch das Pockengift noch nicht aufnöthigen; das scheint mir unzweifelhaft zu sein. Meine Herren, wie gesagt, den Autoritäten, welche die Herren der freien Kommission selbst darstellen und uns citiren, stehen andere ebenso gewiß unzweifelhafte Autoritäten gegenüber. ...
... an, daß im Jahre 1871 in Frankreich eine große Blatternepidemie geherrscht hat; man vergißt aber beizufügen, daß gerade vor dem Ausbruche dieser Blatternepidemie eine massenweise Impfung in Frankreich stattgefunden hatte, so daß nicht Wenige demzufolge auf die Ansicht gekommen sind, daß der Ausbruch dieser Epidemie durch die Impfung veranlaßt worden sein könne; man hat aus dieser Erscheinung ebensowohl Schlüsse gegen die Impfung, wie andererseits Schlüsse für die Nothwendigkeit derselben gezogen. Wenn aber, meine Herren, etwas auf mich einen besonderen Eindruck noch zu machen geeignet war, so waren es fast weniger die Schriften gegen den Impfzwang als solche, welche für den Impfzwang sich ausgesprochen haben. Es liegt hier eine kleine Broschüre vor mir, überschrieben „Zmpfmethode, welche mir auch zugeschickt worden ist; dieses Broschürchen rührt von einem entschiedenen Freunde der Zwangsimpfung her, und hat er es auch im Interesse dieses Institutes publicirt. Mir scheint nun kaum etwas anderes mehr gegen die Zwangsimpfung zu sprechen als das, was dieses Schriftchen enthält. Der Verfasser hat unter vier Paragraphen diejenigen Kautelen aufgeführt, welche nach seiner Ansicht für nothwendig erachtet werden müssen, wenn man gefahrlos impfen will. Wenn Sie diese verschiedenen Vorsichtsmaßregeln ins Auge fassen, so werden Sie sehen, daß es bei den Massenimpfungen, die unser Gesetzentwurf vorschreibt, kaum möglich ist, alle diese Kautelen zu befolgen. Aber noch weniger ist es möglich, die Impfung zu überwachen, d. h. wieder dafür zu sorgen, daß der mit der Impfung Betraute auch wirklich alle nöthigen Vorsichtsmaßregeln ergreift. ...

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... — Im Wiener allgemeinen Krankenhaus starben in den 20 Jahren von 1837 bis 56 von den Ungeimpften 30 Prozent, von den Geimpften 6 Prozent; in einer anderen Epidemie starb im gleichen Krankenhaus das fünfte ungeimpste Weib, der sechste ungeimpste Mann, das neunzehnte geimpfte Weib und der zweiundvierzigste geimpfte Mann. Ich erlaube mir, Ihnen noch die Sterblichkeitsverhältnisse in der preußischen Armee kurz anzuführen, in der bekanntlich die Revaccination zwangsweise eingeführt ist und mit großer Regelmäßigkeit durchgeführt wird. Es starben von 1825 bis 1834, also innerhalb von 9 Jahren, vor Einführung des Revaccinationszwanges 496, von 1835 bis 1867, also innerhalb 31 Jahre, nach Einführung der Revaccination starben 73. Zn der unvollkommen geimpften Civilbevölkerung Preußens starben von 1835 bis 1854 an den Pocken ein Mensch auf 2300 bis 2500, in der gut revaccinirten Armee desselbm Landes dagegen ein Mann auf 45—124,000 Menschen. (Hört! links.) Ein ganz gleiches Resultat, meine Herren, bieten die Armeen von Bayern, Baden, Württemberg, von Dänemark und Schweden. Zum Schluß will ich noch das Resultat aus dem Pockenspital zu Hannover anführen. Es betrug während eines Zeitraums von 1865 bis 1871 das Sterblichkeitsverhältniß bei den Geimpften 4,9 Procent, bei den Ungeimpften 31,4 Procent. Meine Herren, in ganz gleicher Weife finden Sie immer und immer wieder im Großen und Ganzen dasselbe Resultat, wie ich es Jhnenso eben mitgetheilt habe. ...

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... Es wurden ferner bei jeder Epidemie statistische Erhebungen, und zwar nach den verschiedensten Richtungen hin, angestellt. Ich fürchte das hohe Haus zu belästigen, wenn ich abermals mit Zahlen komme, allein ich kann es mir nicht versagen, wenigstens zu bemerken, daß die Statistik über die Epidemie, welche in Bayern vor 2 resp. 3 Jahren herrschte, sich damit beschäftigt hat, insbesondere zu konstatiren: 1. wieviel Erkrankungen vorgekommen sind, und welchen Altersklassen die einzelnen Erkrankten angehört haben, 2. wie sich die Zahl der Erkrankten zur Zahl der Lebenden nach den einzelnen Altersklassen verhielt, und endlich 3. wie sich die Mortalität nach verschiedenen Richtungen hin darstellte. Ich erlaube mir in letzterer Hinsicht nur hervorzuheben, daß von den geimpften Personen während jener Epidemie etwas über 86 Prozent der Erkrankten genesen und nur 13 Prozent gestorben, von den Ungeimpften aber etwas über 39 Prozent genesen und 60 Prozent gestorben sind. Das ist eine genaue amtliche Statistik, die zweifellos bezüglich der Frage, ob überhaupt der Impfzwang auf sämmtliche Staaten auszudehnen sei, Einfluß haben dürfte. Ich bin aber auch im Besitze von statistischen Nachweisen über einige andere Fragen, die der Herr Abgeordnete von Crefeld vorhin berührt hat. Er behauptete, es sei die Geneigtheit der Bevölkerung, sich dem Impfzwangs zu unterwerfen, in keiner Weise nachgewiesen. Meine Herren, in Bayern sind bis 1872 seit Einführung des Impfzwangs 8,250,000 Impfungen vorgenommen worden. ...
... Bei der vorhin von mir erwähnten Epidemie stellte sich die Mortalität in der Altersklasse des ersten Lebensjahres auf 65 Procent, in der Altersklasse von 1 bis 20 Jahren — in der Zeit also, welche der Vornahme der Impfungen am nächsten liegt — auf 6 Procent; bezüglich derjenigen von 20 bis 50 Jahren auf 11 Procent und bei der über 50 Jahre auf 26 Procent; es ergiebt sich sohin, daß die Wirkungen der Vaccination mit der Zeit abnehmen, und daß die Revaccination wünfchenswerth ist. Ich erwähne ferner, daß von den Revaccinirten bei jener Epidemie 92 Procent genesen, 8 Procent gestorben sind, also abermals ein sehr günstiges Mortalitätsverhältniß. Ich glaube, daß durch diese statistischen Erhebungen, die sich auf eine große Reihe von Jahren hinaus erstrecken und immerhin ein ziemlich großes Beobachtungsfeld haben, zur Genüge erwiesen ist, einerseits, wie nützlich der Impfzwang sein dürfte, und andererseits, wie wenig Gefahr bei einiger Aufmersamkeit von den Impfungen droht. Ich empfehle Ihnen daher wiederholt die Annahme des tz 1. Präsident: Es ist ein Antrag auf namentliche Abstimmung über h 1 des Gesetzentwurfs über den Impfzwang Nr. 42 der Drucksachen, eventuellster über tz 1 der Vorlage, überreicht von dem Herrn Abgeordneten Bernards. Der Antrag ist mit 51 Unterschriften unterstützt. Es ist ferner ein Antrag auf Schluß der Diskussion eingereicht worden von den Herren Abgeordneten Dr. Braun, Or. Oppenheim, Hullmann. Ich ersuche diejenigen Herren aufzustehen, welche den Schlußantrag unterstützen wollen. (Geschieht.) Die Unterstützung reicht aus. ...

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... wenn sie auch die Ansteckung nicht verhüten kann, die Bösartigkeit der Epidemie zu mildem im Stande ist. Aber, wie ich Ihnen schoy gesagt habe, ich sehe keine Möglichkeit, es hier in dieses Gesetz als Verpflichtung für Staat oder Gemeinde aufzunehmen. — Ich empfehle Ihnen also die Fassung für tztz 6 und 7, wie sie der Herr Dr. Buhl in dem Ihnen vorgelegten Amendement vorgeschlagen hat. Präsident: Wenn ich den Herrn Abgeordneten richtig verstanden habe, ist das Amendement von Winter zu Gunsten des Antrages Or. Buhl zurückgezogen. (Zustimmung.) Der Herr Abgeordnete Hasenclever hat das Wort. Abgeordneter Hasenclever: Meine Herren! Der Abgeordnete Herr vr. Löwe nöthigt mich zu einer Erklärung. Daß unser Amendement in den Rahmen dieses Gesetzes nicht genau paßt, darin gebe ich dem Abgeordneten Löwe vollständig Recht; aber uns, die wir so gern Gesetze einbringen wollen, welche dem Volke nützlich sein sollen, ist der Weg ja sonst abgeschnitten. Gewöhnlich erhalten wir die nöthige Unterstützung nicht, und wir müssen bedauern, in dieser zu kleinen Anzahl noch hier anwesend zu sein, daß wir solche für Volkswohlfahrt nützliche Gesetzentwürfe selbstständig nicht einbringen können. Sie haben uns also die Gelegenheit genommen, es an dieser Stelle zu thun; ich glaube aber, wenn der Reichstag und der Bundesrath zusammenwirken wollen, daß sie auch unser Amendement in den Rahmen dieses Gesetzes hineinpassen können, und daß es also möglich ist, öffentliche Badeanstalten neben den Zwangsimpfstellen einzurichten. Meine Herren, es handelt sich ja hier um keine sozialistischen Forderungen; ich will mich deshalb auch sehr kurz fassen. ...

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... Wir haben deshalb den Zeitpunkt für die Durchführung der von diesem Gesetze vorgeschriebenen Impfungen gewählt, den auch der Herr Abgeordnete Lasker ins Auge gefaßt hat, den Zeitpunkt nämlich, wenn die Epidemie ausgebrochen ist. Wir haben diesen Zeitpunkt gewählt, einmal weil dann die Gesellschaft ein besonderes Recht hat, diese Sicherheitsmaßregel durchzuführen, zweitens aber auch, weil, wenn das Feuer auf den Nägeln brennt, viele Leute ganz anders über die Sache empfinden, als sie sonst empfunden haben. Zch habe erst in diesen Tagen einen Brief von einem Kollegen, von einem amtlichen Arzt, von einem Physikus erhalten, der mir mittheilt, daß in seinem Kreise — der Kreis ist hier ganz in der Nähe — ein Arzt sich der Neigung hingegeben hatte, mit diesen in ärztlichen Kreisen sehr außerordentlichen Meinungen sich im Publikum zu bewegen und gegen das Impfen zu agitiren. Als aber im letzten Zahre die Krankheit in seinem H.eimatsorte selbst ausbrach, hat er sich denn doch entschlossen — oder vielleicht auch nur seine Frau —, sämmtliche Kinder vacciniren und revacciniren zu lassen, der größeren Sicherheit wegen. Meine Herren, diese Erfahrung war für uns immerhin bestimmend genug, um zu wünschen, daß die betreffenden Individuen dem Jmpfarzt vorgeführt werden, und selbst zu wünschen, daß bei diesen Vorführungen, wenn es nothwendig erscheint, auch ein Zwang angewandt werden kann, wie bei anderen Gelegenheiten, bei Zeugenaussagen u. s. w. ...

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... Wenn aber eins Epidemie bereits ausgebrochen ist, dann ist Zeder, der sich impfen läßt, dieser Gefahr ausgesetzt, und es scheint mir sehr bedenklich, einen Menschen zu dergleichen Zwingen zu wollen. Wenn man die Epidemien vorhersehen und einen solchen Impfzwang vor dem Ausbruch derselben anordnen könnte, so könnte man sich vielleicht eher von dem Gesichtspunkte der Gefährlichkeit aus mit einer solchen Maßregel versöhnen; aber hier soll ja erst eine solche Anordnung überhaupt gestattet sein, wenn die Epidemie bereits in vollem Gange ist, und dann weiß Keiner, wenn er zum Zmpfarzt geht, ob er nicht schon angesteckt ist. Zch halte das also auch für eine sehr bedenkliche und mißliche Maßregel an und für sich, und ich kenne viele Personen, die aus diesem Grunde bei der in meiner Vaterstadt vor einiger Zeit herrschenden Epidemie sich nicht impfen lassen wollten. Zch habe auch aus anderen Städten, z. B. aus Erfurt, gehört, daß die Behörden dort während einer Epidemie die Impfung verboten, weil sich die Todesfälle nach derselben häuften. Meine Herren, wenn dieser Gesichtspunkt von sachverständiger Seite hier vielleicht widerlegt werden sollte, so muß ich doch daran festhalten, daß ein solcher Zwang gegen Erwachsene nicht durch die Gefahren, welche bisher in neuerer Zeit die Pocken in Deutschland herbeigeführt haben, gerechtfertigt ist. Za, wenn die Pocken so wütheten, wie im Mittelalter der schwarze Tod, wenn die Bevölkerung davon decimirt würde, dann könnte man allerdings sagen: wir müssen, wenn auch nur im Wege des Experiments, versuchen, durch jedes Zwangsmittel die Seuche zu bekämpfen. So liegt aber die Sache keineswegs. ...
... Wenn nun vorsorgliche Leute drei oder sechs Monate vor Ausbruch einer Epidemie sich haben impfen lassen, weil vielleicht an anderen Orten die Pocken aufgetreten waren, so sollen nun diese Leute sich nochmals impfen lassen, wenn auch an ihrem Wohnorte eine Epidemie ausbricht! Auch hierin hätten Milderungen eingeführt werden können ; aber ich enthalte mich, Amendements zu stellen, weil ich den ganzen Paragraphen für verwerflich erachte, und ich glaube, daß das Schicksal des ganzen Gesetzes leicht von der Annahme oder Ablehnung dieses Paragraphen abhängen könnte. So viel wenigstens glaube ich, daß Mancher, der sich wenn auch mit schwerem Herzen für die zwangsweise Impfung der Minderjährigen entschieden hat, sich schwerlich mit dem tz 14 einverstanden erklären wird. Präsident: Zur Geschäftsordnung ertheile ich das Wort dem Herrn Abgeordneten Reimer. Abgeordneter Reimer: Meine Herren, ich möchte den von dem Herrn von Winter und Genossen gestellten Abänderungsantrag, der zurückgezogen ist, wieder aufnehmen gegenüber dem von Herrn Lasker gestellten, durch welchen eine Strafe von 150 Mark neben den Zwang gesetzt werden soll. Zch für mein Theil glaube, daß die einfache zwangsweise Impfung wirklich schon Strafe genug ist ... . Präsident: Zch hatte Ihnen nur das Wort zur Ge schästsordnunz ertheilt, und die geschäftsordnungsmäßige Frage ist meiner Ansicht nach erledigt. Eine Motivirung dieses Antrages ist zur Geschäftsordnung nicht zulässig; das wäre eine sachliche Diskussion. Zch ertheile das Wort dem Herrn Abgeordneten Dr. Zinn. Abgeordneter Or. ...

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... große Mehrzahl kann durch das Impfen gleich beim Beginn der Epidemie vollkommen geschützt werden. Dann wollen wir ja durch unser gegenwärtiges Gesetz dafür sorgen, daß die Massenimpfungen während einer Epidemie nicht mehr in der bisherigen unvollständigen und sorglosen Weise vorgenommen werden. Faktisch besteht in manchen Ländern dieser Zwang während des Herrschens von Blatternepidemien, und die Zahl derjenigen, die sich weigern, sich wieder impfen zu lassen während einer Epidemie, ist sehr klein. Ich kann Ihnen anführen, daß z. B. in Stuttgart zur Zeit der Blatternepidemie grade die Zmpfgegner sich massenweise bei dem Impfarzt gestellt haben, um sich revacciniren zu lassen-Ich empfehle Ihnen diesen Paragraphen mit dem Amendement des Herrn Abgeordneten Lasker dringend zur Annahme. Dieser Paragraph ist eine nothwendige Konsequenz des tz 1, und Sie würden in der That durch seine Ablehnung die Wirkung des Gesetzes wesentlich schwächen; Sie würden eine Halbheit schaffen. Präsident: Der Herr Abgeordnete Dr. Reichensperger (Crefeld) hat das Wort. Abgeordneter Dr. Reichensperger (Crefeld): Meine Herren, der gegenwärtige Paragraph scheint mir so recht zu zeigen, daß die Herren Mediciner, welche für den Impfzwang eingenommen sind, einen sehr schwankenden Boden unter den Füßen haben, — ja, daß sie es selbst zugestehen müssen, was die Hauptsache ist. Der Paragraph setzt voraus, daß Vaccination und Revaccination stattgefunden hat; nichtsdestoweniger aber kommt er zu der weiteren Annahme, daß trotz alles Wiederimpfens doch die Blatternkrankheit eintreten kann, weshalb denn neuerdings geimpft und zwangsweise geimpft werden muß. ...

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... Es soll dort geimpft werden, wo eine Epidemie ausgebrochen ist, und zwar an den Stellen zuerst, wo die Gefahr der Weitexverbreitung am größten ist. Die Epidemien haben ihre regelmäßige geographische Verbreitung; also muß man mit den Vorkehrungen gegen Weiterverbreitungen an dem Punkt beginnen, wo die Epidemie ausgebrochen ist. Was die Größe der Geldstrafe betrifft, so möchte ich Ihnen vorschlagen, nehmen Sie heute das Laskersche Amendement an, nur um zu erklären, daß Sie das Prinzip, welches darin ausgesprochen ist, angenommen haben. Wir werden eine dritte Lesung haben; vielleicht finden wir dann eine andere Fassung. Das Prinzip aber bitte ich Sie heute schon anzunehmen. Präsident: Der Herr Abgeordnete Dr. Zinn hat das Wort. Abgeordneter Dr. Zinn: Die Einrede des Herrn Abgeordneten für Crefeld hat auf mich den Eindruck gemacht, als behandle er in gleichem Sinn sein Thema heute, wie bei der neulichen Berathung des § 1, nämlich in dem Sinne: „Und Gott sah an Alles, was er gemacht hatte, und siehe da, es war sehr gut; — die Herren Mediciner aber verbessern die Schöpfung des Menschen durch Jmpfgift. Ich greife nicht auf die allgemeine Berathung zurück. Die Gründe, welche der Herr Abgeordnete für Crefeld heute angeführt, sind kaum stichhaltiger als der Umstand, auf den man sich gegen den Werth der Impfung neulich hier berufen hat, indem man sagte, die Prämie von so und so viel tausend Thalern, welche für den sicheren Beweis der Schutzkraft der Vaccination schon längst ausgesetzt fei, sei bis heute noch nicht gewonnen worden. ...

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... Um der Epidemie, wenn sie eintritt, den verderblichen Charakter zu nehmen und sie in ihrer Ausbreitung zu beschränken, müssen wir die Zahl der Nichtgeimpften soviel als möglich vermindern. Sie wissen ja, meine Herren, es giebt keinen absoluten Schutz gegen diese Krankheit, wir haben das nie behauptet, weder das Impfen noch die Krankheit selbst schützt absolut; aber der relative Schutz ist so groß, daß Individuen, wenn sie auch eine gewisse Disposition zur Krankheit haben, doch nicht angesteckt werden können, wenn sie auch mit einem Pockenkranken in Berührung kommen; sie werden aber angesteckt trotz ihrer geringen Disposition, wenn sie mit einer großen Zahl von Pockenkranken, die an einen: Orte zusammengehäuft sind, in Berührung kommen. Also man weiß z. B. aus Erfahrung, daß man den Wärter, den man für seinen Dienst in einem Pockenspital gegen Ansteckung schützen will, — und ich fordere die Gegner auf, hier einen Beweis von anderen ansteckenden Krankheiten zu geben, daß man sich gegen sie in irgend sichrer Weise schützen kann, — annähernd mit voller Sicherheit durch Wiederimpfen sichern kann, sofern es in angemessener Zeit vorher geschehen ist. Wenn aber ein Mensch, der schon vor längerer Zeit geimpft ist, oder der, wenn es auch nicht so lange her ist, doch ohne Erfolg geimpft worden ist, der sich schon mit Pockenkranken, aber mit einzelnen, beschäftigt hat, ohne angesteckt zu sein, in ein Pockenhospital kommt, ohne vorher sorgfältig wieder geimpft zu werden, so erlebt man nicht selten, daß dieser Mensch die Pocken in dem Hospital bekommt. ...

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... Aber selbst, wenn alles im Gesetz Vorgesehene vollständig zur Ausführung kommt, so sind wir doch nur in der Lage, die eine Hälfte1 der1 Gesellschaft vorläufig sicher zu1 stellen.1 Nur für den Fall, daß die Epidemie ausbricht, trifft das Gesetz dann Vorsorge auch für die andere Hälfte. Die eine Hälfte ist die unter 20 Zähren; diese stellen wir durch1 die1 erste Impfung und durch die1 Revaccination am Schluffe des schulpflichtigen Alters1 sicher.1 Ein Theil1 der1 männlichen Bevölkerung wird1 dann1 noch durch die wiederholte Revaccination in der Armes für eine Reihe von Zähren gegen die Krankheit sichergestellt. Was später kommt, das überlassen wir, wie gesagt, der Handhabung dieses Gesetzes bei einem Ausbruch der Epidemie, obgleich gerade in dem späteren Lebensalter und besonders beim weiblichen Geschlecht, das nicht im zwanzigsten Zahre, wie die Männer im Militär, revaccinirt wird, die Krankheit häufig vorkommt. Ein anderer Einwand der Gegner geht dahin, daß die Beweise aus der Statistik der Sterblichkeit in dieser Krankheit, besonders daß die Vaccinirten, wenn sie später auch bei Versäumniß der Revaccination von der Krankheit ergriffen werden, eine geringere Sterblichkeit zeigen, hinfällig seien, weil sie nur auf einem unklaren Schluffe aus der Statistik beruhen, sie sagen nämlich, die Hauptsterblichkeit bei den Nichtgeimpften liegt darin, daß die meisten Nichtgeimpften, die von dieser Krankheit ergriffen werden, eben den erstenZahren angehören. Za, meine Herren, die Thatsache ist richtig, aber die Folgerung gegen das Impfen ist doch falsch. ...

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... Während andere Aerzte vielleicht sagen würden: hier sind nur einzelne Fälle, hier herrscht die Blatternkrankheit nur sporadisch, erklärt der Kreisphrffikus sie für eine ausgebrochene Epidemie, und es wird nun ohne Rücksicht des Alters zwangsweise geimpft. Das scheint mir doch zu viel zu sein. Zch glaube, man kann hier ganz gut eine gewisse Grenze ziehen, und kann es bei einem gewissen Alter den einzelnen Individuen überlassen, ob sie sich impfen lassen wollen oder nicht. Denken Sie sich, meine Herren, in Berlin bräche eine Pockenepidemie aus und der ganze Reichstag sollte geimpft werden — vom Aeltesten bis zum Jüngsten! Das würde ich nicht passend finden; da muß man doch eine gewisse Grenze ziehen. Zch proponire als solche das Alter von 30 Zähren. Es liegt zwar darin immer noch eine gewisse Willkür; man könnte ebenso gut ein Alter von 25 oder 20 Zähren als Grenze nehmen; dagegen würde ich auch nichts haben. Aber so, wie sie jetzt lautet, können Sie die Bestimmung nicht stehen lassen, und deshalb bitte ich Sie, mein Amendement anzunehmen. Präsident: Es ist ein Unteramendement zu dem Amendement von Unruh eingereicht worden, und zwar von den Herren Abgeordneten Rickert und Dr. Bamberger; ich ersuche, dasselbe zu verlesen. Schriftführer Abgeordneter Freiherr von Unruhe-Bomsi: Unterantrag zu dem Antrage von Unruh (Magdeburg): in demselben statt „30Jahren zu setzen: „20 Zähren. Präsident: Zch ersuche diejenigen Herren aufzustehen, welche dieses Unteramendement unterstützen wollen. (Geschieht.) Die Unterstützung reicht aus. Zch ertheile nunmehr das Wort dem Herrn Abgeordneten Dr. Reichensperger (Creseld). Abgeordneter Dr. ...

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... Zm § 14 ist für den Fall, daß die Epidemie in einem Hause nur ausbricht, nichts gesagt, der Fall ist nicht vorgesehen. Soweit es sich wirklich um eine Epidemie handelt, unterscheidet sich der § 14 von der in Preußen bestehenden Vorschrift dadurch, daß die m Preußen bestehende Vorschrift sich auf alle Einwohner des Orts erstreckt, während hier der Behörde überlassen bleibt, das was sie anzuordnen für gut findet, auf einen Theil der Einwohner .zu beschränken. Die Bestimmung unterscheidet sich ferner dadurch, daß sie in dem Preußischen Regulativ beschränkt ist auf ansteckungsfähige Angehörige, während der § 14 eine Unterscheidung zwischen ansteAungsfähigen und nicht ansteckungsfähigen Personen nicht trifft. Ob dieser Unterschied der beiden Bestimmungen zum Nachtheil des vorliegenden Gesetzentwurfs gereicht, möchte ich bezweifeln. Der vorliegende Gesetzentwurf spricht ganz allgemein, das preußische Regulativ stellt einen Begriff auf, der nirgends definirt ist, auch nicht zudefinirenist, der also mit anderen Worten sagt: der Medizinalbeamte hat nach seinem Gutdünken zu befinden, wer nöthigenfalls zwangsweise geimpft werden soll und wer nicht. Ich glaube, daß die Vorschrift, wie sie Ihnen hier vorgeschlagen ist, den Vorzug verdient. Die zwangsweise Impfung, die in dem § 55 des preußischen Regulativ steht, haben Sie ersetzt durch eine Polizeistrafe. ...

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... Abgeordneter von Mallinckrodt: Meine Herren, ich wäre eigentlich der Meinung, daß der Herr Abgeordnete für Magdeburg, im Falle dort eine Epidemie ausbricht, mitgeimpft werden müßte, gerade so gut wie andere Leute, die noch unter 30 Zähren sind; denn ich weiß nicht, worin die Präsumtion wurzelt, daß ein älterer Organismus weniger Ansteckungsstofs in sich trägt als ein jüngerer Körper. Indessen bin ich trotzdem sehr geneigt, besondere Rücksicht auf sein Amendement zu nehmen aus Dankbarkeit für das sehr treffende Zeugniß, welches er als Techniker den Technikern ausgestellt Hat. Falls deshalb der Herr Präsident die Frage so stellt, daß das Amendement von Unruh als eventueller Antrag zur Abstimmung kommt, so daß man nachher noch Gelegenheit hat sich gegen den Paragraphen auszusprechen, bin ich sehr gerne bereit, für dies Amendement zu votiren. Was nun das Zeugniß des Herrn Abgeordneten für die Techniker angeht, so ist das für mich sehr werthvoll. Zch halte es nämlich für recht bedenklich, wenn in einer großen legislatorischen Versammlung einige wenige Techniker, die doch ganz gewiß nicht mit Rücksicht auf ihren medicinischen Beruf in die politische Korporation gewählt sind, als maßgebende Autoritäten hervortreten. Was ist denn eigentlich die medicinische Wissenschaft? (Ruf: ah!) Za, meine Herren, Sie sagen „ah! Es würde vielleicht sonst Jemand geneigt sein, zu antworten, das sei eine Summe von sehr verschiedenen, durcheinanderspielenden und sich bekriegenden Ansichten; ich möchte sagen, es sei ein Topf voll Mäuse. (Heiterkeit.) ...
... Ich denke, das wird man wohl eine Epidemie nennen können. Die Behörde hat Vorsorge getroffen, daß das Impfen erleichtert war, aber es ist keinem Menschen eingefallen, trotz des Regulativs von 1835, irgendwie Zwang auszuüben. Von den Einwohnern hat der Eine gesagt: ich lasse mich impfen, und ein Anderer hat wieder gesagt: fällt mir nicht ein, es hilft ja doch nichts; und so ist es meines Wissens überall, mir ist wenigstens kein Beispiel bekannt, wo eine Zwangsimpfung stattgefunden hätte; dagegen weiß ich sehr wohl, daß man von oben herunter in Beziehung auf das Impfen im Allgemeinen Reskripte erlassen hat, die möglichst daraus ausgingen, die Leute glauben zu machen, sie wären gezwungen, die Kinder impfen zu lassen, indem angeordnet wird, sie sollen ein-, zwei-, dreimal vorgeladen werden zum Zmpsen, wenn sie es aber trotzdem ablehnen, so solle man sie gehen lassen; also ein wirkliches Zwangsrecht ist in der Beziehung nicht in Anspruch genommen worden. Wenn so die Praxis sich gestellt hat, dann, meine ich, ist das der glänzendste Beleg gegen die Nothwendigkeit dieses Gesetzes, und wenn gegen die Nothwendigkeit, dann ganz gewiß auch gegen die Zweckmäßigkeit. Sie werden doch in der Vorliebe, die allerdings viele Parteien, die in diesem Hause vertreten sind, zeigen für Zwangseinrichtungen, nicht so weit gehen, daß Sie auch da, wo Sie selbst nicht eine dringende Nothwendigkeit erkennen, ...

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... Wenn aber die Ausführung selbst geschehen respektive das letzte Urtheil gefällt werden soll, ob die gesetzliche Bestimmung in einem besondern Falle auszuführen ist, ob der Mann oder die Frau zu revacciniren ist, weil durch ihr Nichtimpfen Gefahr der Weiterverbreitung der Epidemie ist, da, meine Herren, glaube ich, ist es der Sachverständige, der das letzte Urtheil zu fällen hat, und wenn Sie sagen, der Sachverständige soll dabei nichts zu sagen haben, dann bringen Sie an die Stelle der sachverständigen Erwägung Anarchie und Willkür bei der Ausführung des Gesetzes. Präsident: Es ist der Schluß der Diskussion beantragt von dem Herrn Abgeordneten Valentin. Ich ersuche diejenigen Herren aufzustehen, welche den Schlußantrag unterstützen wollen. (Geschieht.) Die Unterstützung reicht aus. Zch ersuche diejenigen Herren aufzustehen, welche den Schluß der Diskussion beschließen wollen. (Geschieht.) 49* ...

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... Es handelt sich einfach darum, ob wir mit diesem Gesetze, wenn es angenommen wird, einen Rückschritt in der öffentlichen Gesundheitspflege und in medicinalpolizeilicher Beziehung in den Staaten des deutschen Reiches machen oder in dieser Angelegenheit bei dem Ausbruch einer Epidemie in Bezug auf den Verhandlungen deS Deutschen Reichstages. Schutz gegen Weiterverbreitung wenigstens aus dem Punkte bleiben, auf dem wir uns jetzt befinden und mit diesem Gesetz dann noch gewisse weitere Vortheile, wie die regelmäßige Ordnung des Zmpfwesens, die Revaccination am Schluffe der Schulpflichtigkeit und die Einrichtung von allgemeinen Zmpfanstalten dazu bekommen. Meine Herren, wenn Sie diesen Zusatz nicht annehmen, so machen Sie mit der Annahme des ganzer: Gesetzes nach meiner Ueberzeugung einen großen Rückschritt in medicinalpolizeilicher Beziehung in den meisten und zwar allen größeren Staaten Deutschlands. Präsident: Der Herr Abgeordnete von Mallinckrodt hat das Wort. Abgeordneter von Mallinckrodt: Meine Herren, ich habe mir das Wort erbeten, weil ich sehe, daß der Herr Abgeordnete Windthorst noch nicht in der Lage war, darum zu bitten, und insofern nehme ich nur seine Stelle ein, um einen Antrag zu unterstützen, den er eben eingebracht hat im Gegensatz zu dem Antrag des Herrn Abgeordneten Löwe. Präsident: Es ist mir soeben folgender schriftlicher Antrag eingereicht worden: Der Reichstag wolle beschließen, dem tz 18 den Satz hinzuzufügen: Die in den einzelnen Staaten in Bezug auf das Impfwesen bestehenden Bestimmungen treten gleichzeitig außer Kraft. Windthorst. (Ah!) Zch ersuche diejenigen Herren aufzustehen, welche diesen Antrag unterstützen wollen. (Geschieht.) Die Unterstützung reicht aus. ...

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... Wäre der tz 14 bestehen geblieben, dann würde im ganzen deutschen Reiche, auch wo gegenwärtig die gesetzliche Ermächtigung nicht besteht, diese den Ortsbehörden gegeben worden sein, in Zeiten einer Epidemie die Wiederimpfung zwangsweise anzuordnen. Wenn Sie aber den Antrag Löwe annehmen, dann bleibt blos der alte Rechtszustand, und diejenigen Staaten, welche zur Zeit von Epidemien keinen Impfzwang haben, werden ihn fortan auch nicht haben. Was nennt nun der Herr Abgeordnete von Mallinckrodt „identisch? Wenn zwei Dinge verschieden sind, so darf man dafür auch nicht den lateinischen Ausdruck „identisch gebrauchen. (Große Heiterkeit.) Sodann hat der Herr Abgeordnete von Mallinckrodt weiter ausgeführt, daß diejenigen, welche vorhin gegen den tz t 4 gestimmt Haben, jetzt auch gegen den Antrag Löwe stimmen müßten. Auf Ermächtigung des Herrn Abgeordneten Löwe darf ich Ihnen erwähnen, daß ich, der ich vorhin gegen den tz 14 gestimmt habe, gleichzeitig ihm den Rath gegeben habe,diesen Antrag einzubringen. (Aha! im Centrum.) Aha! rufen Sie jetzt. (Große andauernde Heiterkeit.) Was wollen Sie mit Ihren ewigen Zurufen bewirken? Sie haben ja wieder nicht die Gründe entwickeln gehört, weshalb ich den Rath ertheilt habe. Ich wünschte. Sie empfingen ein ungefähres Bild, wie nach außen hin Ihre Begleitungen klingen. ...
... Der Grund dafür, den tz 14 durch den jetzigen Antrag zu ersetzen, war der, — und dies ist gewiß ein vernünftig anzuerkennender Grund: wenn die Zwangsimpfung der Erwachsenen im Falle der Epidemie so zweifelhaft liegt, wie die Abstimmungen dieses Hauses es ergeben haben, so bin ich nicht in der Lage, einen Zwang, der Viele kränkt, da einzuführen, wo der Zwang nicht besteht. Ich bin aber ebenso wenig in der Lage, den Zwang da aufzuheben, wo er bereits gesetzlich gültiges Recht ist, sondern man lasse die Dinge, wie sie jetzt beschaffen sind. Den Impfzwang will ich haben ; wenn Sie befürchten, daß bei der Neueinführung der Revaccination Erwachsener Viele: ...

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... gekränkt werden, so will ich die verschiedene Praxis in den verschiedenen Bundesstaaten bestehen lassen; und nach einiger Zeit, wenn — was Gott verhüte — wieder eine Epidemie ausbrechen sollte, werden uns die Erfahrungen aus den verschiedenen Ländern berichtet werden, und wenn die Ortschaften, welche die Zwangsimpfung auferlegen, dann besser fortkommen als andere, welche dieselbe verabsäumen, so werden wir den Zwang des tz 14 nachholen. Für heute waren aber Einige von uns gezwungen/dem Wunsche der fast gleichen Hälfte des Hauses nachzugeben und die Dinge beim Alten zu lasten. Das ist etwas ganz Anderes, als was der Herr Abgeordnete Windthorst beabsichtigt, und was der Herr Abgeordnete von Mallinckrodt als identisch mit dem vorhin abgelehnten Beschlusse im Hause dargestellt hat. Zch werde deshalb für den Antrag des Herrn Abgeordneten Löwe stimmen, und glaube weit genug der einen Hälfte des Hauses deferirt zu haben, daß ich den Zwang der Wiederimpfung Erwachsener da ferne halte, wo er gegenwärtig nicht besteht. (Lebhafter Beifall links und rechts.) Präsident: Der Herr Abgeordnete Windthorst hat das Wort. Abgeordneter Windthorst: Meine Herren! Diese Zmpffrage hat uns nun seit langer Zeit beschäftigt und ich habe in der parlamentarischen Erfahrung kaum ein einziges Mal gesehen, daß das größere Publikum ein solches Interesse an den Verhandlungen des deutschen Parlamentes nahm, wie bei dieser Gelegenheit. (Oho!) — Zch weiß wohl, daß die Herren andere Gegenstände viel interessanter finden, ich sage das aber von dem größeren Publikum. ...
... Was mich persönlich betrifft, so bin ich — das sage ich ganz offen — bereit, wenn eine Epidemie ausbricht, mich nochmals impfen zu lasten, (hört!) obwohl ich wiederholt geimpft worden bin, — aber vorausgesetzt, daß ich gute Lymphe mit Sicherheit habe. Diese Sicherheit kann mir Keiner geben, und wenn mir soeben mein Nachbar sagt: „wie wollen Sie das erfahren? so antworte ich : gerade weil ich es nicht erfahren kann, will ich Niemanden zwingen, daß er sich impfen läßt mit einer Lymphe, von der er nicht weiß, was sie wirkt. Es ist mir gerade gestern ein Blatt aus Hamburg mitgetheilt, worin über einen Fall gesprochen wird, der, wenn er begründet ist, ganz erschrecklich wäre, und ich kann davon ausgehen, er sei begründet, da er in einem öffentlichen Blatte besprochen wird. (Heiterkeit.) so* ...


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