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Verhandlungen des Reichstages. - Berlin, 1885
Bd.: 84. 1884/85
Signatur: 4 J.publ.g. 1142 yb,A-84

ID: 00018454
101 /558
... wegen Auftretens einer Epidemie plötzlich der Konsum in erheblicher Weise abnimmt und damit die Nothwendigkeit zu neuen Gebräuden wegfällt, und hervorgehoben, daß hier das Festhalten an dem ursprünglichen Fixum zu einer offenbaren Härte werde. Die vom Herrn Regierungskommissar unter Hinweis auf das fiskalische Interesse geltend gemachten Bedenken vermochte man nicht als so schwere anzuerkennen, daß sie das Gewicht der für das Gesuch sprechenden Billigkeitsgründe aufhöben, wobei namentlich in Betracht kommt, daß durch die Bewilligung der Rückvergütung eine Arbeitsvermehrung nicht eintreten würde, weil bei der Fixation mit eventueller Nachbesteuerung in jedem Falle eine Prüfung des von dem Brauer zu führenden Brauregisters stattfinden muß. Nicht sowohl darauf legte man besonderes Gewicht, ob es sich im einzelnen Falle um größere oder geringere Beträge handelt, als vielmehr darauf, daß dem Brauer Gelder vorenthalten resp. Steuern abgenommen werden, zu deren Tragung er an sich auf Grund des Brausteuergesetzes nicht verpflichtet ist. Das Gefühl der mangelnden Verpflichtung bewirkt, daß auch relativ kleine Opfer ungern getragen werden, und man hielt die Beachtung der in der Petition gegebenen Anregung für wünschenswerth, damit eine namentlich die kleineren Brauereibetriebe treffende Unbilligkeit beseitigt werde. Aus diesen Gründen beantragt die Kommission : Der Reichstag wolle beschließen: die Petition II. Nr. 1615 dem Herrn Reichskanzler zur Erwägung zu überweisen. Berlin, den 23. März 1885. Die Kommission für die Petitionen. Hoffman» (Vorsitzender). Dr. Tröndlin (Berichterstatter). Baumgarten. Bergmann, v. Goldfns. Graf. Dr. Groß. Baron v. Gnstedt-Lablacken. Dr. Haarmann. Haberland. Halben. Halberstadt. Hellwig. Hesse. Hinze. Kayser. v. ...






Verhandlungen des Reichstages. - Berlin, 1885
Bd.: 85, 1. 1884/85
Signatur: 4 J.publ.g. 1142 yb,A-85

ID: 00018455
102 /558
... An Orten, an welchen ansteckende Krankheiten, wie Scharlach, Masern, Diphtheritis, Croup, Keuchhusten, Flecktyphus, rosenartige Entzündungen, in größerer Verbreitung auftreten, ist die Zmpfung während der Dauer der Epidemie nicht vorzunehmen. Erhält der Zmpfarzt erst nach Beginn des Jmpfgeschäftes davon Kenntniß, daß derartige Krankheiten in dem betreffenden Orte herrschen, oder zeigen sich dort auch nur einzelne Fälle von Zmpsrothlauf, so hat er die Zmpfung an diesem Orte sofort zu unterbrechen und der zuständigen Behörde davon Anzeige zu machen. Hat der Zmpfarzt einzelne Fälle ansteckender Krankheiten in Behandlung, so hat er in zweckentsprechender Weise ...

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... Ich habe die Epidemie in Duisburg studirt und habe konstatiren können, daß viele Leute, die die Pocken gehabt haben und revaccinirt waren, in der allergefährlichsten Weise von den Pocken wieder befallen wurden. Ich habe die Essener Pockenepidemie studirt und dort ebensolche Beispiele gefunden. Ferner: im Jahre 1882 herrschte in Aachen eine Epidemie, wo von 215 Fällen im Beginne der Epidemie bereits dreizehn zum zweiten Male befallen waren. Diese Leute wurden aus dem Krankenhause entlassen, desinfizirt, gewaschen, mit reinen Kleidern versehen, und kamen nach circa 4 Wochen, aufs neue erkrankt, in das Krankenhaus zurück. Sie werden allerdings sagen: das sind Ausnahmen. Ich gehe aber von dem naturwissenschaftlichen Grundsätze aus, daß, wenn solche Ausnahmen vorkommen, sie das von Ihnen formulirte Gesetz umstoßen. Wir dürfen doch nicht sagen: die Theorie muß aufrecht erhalten werden, wenn widersprechende Fälle auftreten, sondern die Thatsachen bestimmen die Theorie, und nicht umgekehrt. Und weil es eine so große Zahl widersprechender positiver Thatsachen giebt, so glaube ich, daß wir die erste Frage nicht so absolut bejahen können, daß wir das Recht hätten, darauf ein Zwangsgesetz zu begründen. Ich will nur auf einen Punkt exemplifiziren, den Herr Geheimrath Dr. Koch mit großer Klarheit und Exaktheit näher beleuchtet hat. Es handelt sich um die Experimente, die Pasteur mit dem Milzbrände gemacht hat. ...

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... Oidtmann aus Linnich zur Verfügung, der die Pockenepidemie Aachens an der Hand amtlich revidirter Listen bearbeitet hat, nehmen aber an, daß die Ihnen von Amtswegen zuzusendende sehr genau geführte Urpockenliste aus jener Epidemie genehmer sein würde. Vorsitzender: Zch müßte ein derartiges Ansuchen ablehnen, denn die Befugniß besteht nicht für uns. Zch könnte ein solches Ansuchen nur meiner vorgesetzten Behörde vorlegen und die letztere darüber befinden lassen. Herr Or. Weber: Es ist mir bekannt, daß die Polizeidirektion in Aachen ein Reskript erlassen hat, es solle innerhalb ihres Bezirkes alles dasjenige, was an amtlichem Materiale über die Pockenepidemie vorhanden sei, sorgfältig aufgehoben werden, weil auf dasselbe möglicherweise noch zurückgegriffen werden könne. ...

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... Zch habe in einer nicht großen Epidemie selbst zwei Fälle beobachtet, wo die Kranken ein paar Wochen, nachdem sie die ersten Masern bestanden hatten, die zweiten bekamen, und ich will deshalb auch die Möglichkeit des Wiederergriffenwerdens von den Pocken nach kurzer Zeit nicht anzweifeln. Wenn aber eine große Zahl derartiger Fälle in Aachen wirklich vorgekommen ist, so ist das eine Besonderheit, die in hundert Zähren vielleicht nicht wieder vorkommt, und deshalb kann sie für unsere Maßregeln nicht maßgebe nd sein. Herr Dr. Betz: Meine Herren, daß die Masern sich nicht gegenseitig schützen, ist ja allgemein bekannt; ebenso ist allgemein bekannt, daß Scharlach das gleiche Verhalten hat. Zhre Beobachtungen werden auch dahin gehen, daß Sie Kinder gesehen haben, die drei-, viermal Scharlach bekommen haben. Uebrigens dürfen wir das nicht als Beweise betrachten gegenüber den Pocken. Die Pocken sind ja eine ganz bestimmte Krankheitsform sui Ksnoris. Wir dürfen die einen Hautkrankheiten nicht herbeiziehen, um die anderen zu erklären, sondern jede Hautkrankheit ist eine Krankheit für sich. Was nun die Bearbeitung der Statistiken betrifft, so habe ich für meine Person kein großes Vertrauen zu derselben. Eine der ältesten Statistiken über Pocken ist die Statistik von Heim, einem Württemberger, welche häufig benutzt wird zum Belege für die Schutz- oder Nichtschutzkraft der Zinpfung. Wie damals die Statistik gemacht wurde, weiß ich selbstthätig. ...

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... Aber gerade die große Seltenheit eines solchen Vorkommens, der Umstand, daß es Mühe macht, in der Literatur nur einzelne Fälle von kurz hintereinander auftretenden Erkrankungen in derselben Epidemie zusammenzusuchen, beweist die Regel, daß im Allgemeinen der Schutz ein vollständiger mit nur sehr seltenen Ausnahmen ist. Es giebt ja andere Krankheiten, von denen wir wissen, daß sie keinen Schutz gegen nochmalige Erkrankung gewähren, wie z. B. die Diphtheritis; da ist die allgemeine ärztliche Erfahrung gegen die Annahme eines Schutzes; hier aber spricht sie dafür. Ich glaube, mit dem Zusatze des Herrn Otv Thierfelder können wir diese Frage durchaus bejahen. 1275 Herr Geheimrath Dr. Koch: Ich habe zunächst einiges über die Erklärung zu sagen, welche Herr Dr. Böing über die Abnahme der Pocken im Anfange dieses Jahrhunderts gegeben hat. Herr vr. Böing nimmt an, daß die Abnahme im Zusammenhange steht mit den verbesserten veterinären Verhältnissen — zum großen Theile wenigstens —und, es wurde zwar nicht direkt gesagt, aber seine Aeußerungen ließen doch darauf schließen, daß die menschlichen Pocken mit den Schafpocken in Beziehung stehen. Diese Ansicht ist schon verschiedentlich geäußert, und es ist gut, daß wir darüber ins Klare kommen, wie es eigentlich mit dieser Frage steht. Ich kann über die Schafpocken und deren Verhältniß zu Menschenpocken aus eigener Erfahrung sprechen. Ich habe selbst vielfache Versuche gemacht, Vaccine auf Schafe zu übertragen, — es gelingt das absolut nicht. Umgekehrt gelang es mir auch nicht, das Schafpockengift direkt auf Menschen zu übertragen. ...

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... Meine Herren, wir haben 1870, 1871 und 1872 in Preußen eine dreijährige Epidemie gehabt, die im Jahre 1870 2 000 Todte, im Jahre 1871 60 000 Todte und 1872 64 000 Todte für Preußen allein geliefert hat. Es entspricht diese Anzahl von Todten ungefähr einem Mordilitätszustande von etwa 800000 Individuen. Diese Fälle sind registrirt in den Urpockenlisten der Städte und Landgemeinden, und diese Urpockenlisten sind bis jetzt noch größtentheils ein unaufgeschloffenes Material. Diejenigen Pockenlisten nun, welche bis jetzt zur Kenntniß und zum Auszuge gekommen sind, und von denen wohl noch öfter die Rede sein soll, ergeben zur Evidenz, daß der behauptete Schutz vor Erkranken und Sterben an den Blattern nicht vorhanden ist, wenigstens sich in sehr vielen Fällen nicht sogar nicht einmal auf ein einziges Zahr behaupten läßt. Allerdings ist die Sammlung dieser Urpockenlisten ziemlich zum Stillstände gekommen, weil verschiedene Regierungen und Polizeiämter sich geweigert haben, dem unermüdlichen Forscher nach diesen Listen, vr. Oidtmann aus Linnich, fernerhin in diese Dokumente Einsicht nehmen zu lassen, bezw. Abschriften davon zu gestalten; und sogar bei der Gelegenheit, als Herr vr. Böing die Pocken- und Zmpfverhältniffe der Stadt Essen 1881 studiren wollte an amt- ...

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... Da kommt, abgesehen davon, daß es unwahr sei, daß die Epidemie von 1871 aus Frankreich nach Bayern eingeschleppt worden sei — was übrigens nicht behauptet wurde, sondern es wurde nur behauptet, daß in jener Zeit eine ungeheure Vermehrung der allerdings damals schon in Bayern bestandenen Blatternkrankheit erfolgte —, abgesehen davon kommt hier vor (S. 22): „Weil über die Franzosen die Fabel verbreitet ist, daß sie entweder gar nicht oder nur mangelhaft geimpft und revaccinirt seien und weil in der Ausbeutung dieser Fabel für die Zmpffreunde die einzige Möglichkeit liegt, ihre einseitige Zmpfschutztheorie in einem zu 96 Prozent durchimpften und dennoch von Pocken schwer heimgesuchten Lande zu retten. Daß die Blattern in Bayern durch die Anwesenheit der französischen Gefangenen ganz erheblich vermehrt wurden, ist keine Fabel, sondern das kann jeden Augenblick nachgewiesen werden. Nun wird aber gerade das Kriegsjahr 1870/71 immer hingestellt als ein Beweis, daß gerade in Bayern, wo doch die Schutzpockenimpfung so lange im Gange ist, sie nicht im Stande war, eine schwerere Invasion der Krankheit zu verhüten. Abgesehen also von den Schwierigkeiten, die in Kriegsläufen überhaupt bestehen, liefert gerade das Auftreten der Blattern, wie es in den Zähren 1870, 71 und 72 in Bayern war, den Beweis, daß denn doch die Schutzpocken ihre ziemlich gute Wirkung hatten. Es sind allerdings — und das sieht sehr großartig aus — 30 742 Menschen im Jahre 1871 an den Blattern erkrankt; von diesen sind 4784 gestorben, das sind 15,z Prozent der Erkrankten. ...

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... Wir hatten also eine für die Aufnahme des Pockenkontagiums außerordentlich vorbereitete Bevölkerung, und darauf kam diese intensive Epidemie, in welcher in Leipzig und Umgegend bei einer Bevölkerung von circa 200 000 über 2 500 an den Pocken starben. Als nun in dem Umkreise von Leipzig die Epidemie zu steigen anfing, forderte ich die Aerzte auf, über alle Pockenerkrankungen eine genaue Statistik zu führen und alle 14 Tage an mich einzuschicken. Diese Statistik ist also nicht hinterdrein gemacht worden, sondern sie war vorher nach der Art und Weise, wie sie ausgeführt werden sollte, vereinbart; es waren Formulare festgestellt, es war festgestellt, daß bei jedem Erkrankten angegeben werden sollte, ob geimpft und mit welchem Erfolge —; und in dieser Weise ist diese Statistik durchgeführt worden. Ich habe auch während der Epidemie mit den Aerzten öfters Rücksprache genommen. Erkrankte besucht und die von den Kollegen in eifrigster Weise ausgeführte Statistik gesammelt und kontrolirt. Das Schlußergebniß war, daß von den Aerzten 3 881 Pockenerkrankungen gemeldet wurden mit 721 Todesfällen. Unter den Erkrankten sind 1 600 Kinder von 0 bis 15 Jahren. Von diesen waren 1 350 ungeimpft und 250 geimpft; von den 1 350 ungeimpften, an Pocken erkrankten Kindern sind 488 der Krankheit erlegen, und von den 250 trotz der Impfung erkrankten Kindern nur 8. Von diesen acht ist bei sechs angegeben, daß sie mit gutem Erfolge geimpft gewesen sind, bei zweien mit geringem Erfolge. ...
... Bei den früheren Beobachtungen, die in Sachsen angestellt worden sind, waren meines Wissens Todesfälle von mit Erfolg geimpften Kindern überhaupt nicht vorgekommen; erst dieser Epidemie war es vorbehalten — anderwärts sind ähnliche Beobachtungen gemacht worden —, zu zeigen, daß bei so intensiven Epidemien selbst die geimpften Kinder vor tödtlicher Erkrankung nicht vollständig geschützt sind. Immerhin spricht das Verhältniß, wie ich es hier angeführt habe, in solchem Grade für den Schutz der Impfung, daß dies auch wohl die Zmpfgegner zugestehen müssen. Ich I meine, daß, wenn eine große Pockenepidemie sorgfältig beob- ...

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... Wenn nun eine Pockeninvasion diese Bevölkerung durch Einwanderung aus Italien oder Frankreich trifft, so haben wir regelmäßig die Erfahrung gemacht, daß in dem badischen Dorfe ein oder zwei Individuen erkranken, welche entweder schon über 40 oder 50 Jahre alt sind oder nachweislich nicht geimpft waren, daß aber der Ansteckungsstoff hier auf eine in Folge des geregelten Zmpfgeschäftes derartig immune Bevölkerung trifft, daß er nicht weiter wuchert, während in dem schweizerischen Dorfe regelmäßig sechs, acht, zehn, zwölf Erkrankte nach einander sich verpflanzen, und die Epidemie außerordentlich schwer auszurotten ist. Diese Thatsache, daß eine Bevölkerung auf dem Wege einer konsequent durchgeführten Impfung gegen das Variolagift geschützt werden kann, können Sie an Grenzgegenden ganz entschieden konstatiren, und es ist das eine Thatsache, die mich wenigstens überzeugt hat, daß doch eine Schutzwirkung durch die Vaccine erreicht wird. Herr Dr. Böing: Ich will zunächst darauf zurückkommen, daß es doch nicht so ganz richtig ist, wenn Herr Dr. Koch meint, daß Berlin mit London seitens des Kaiserlichen Gesundheitsamtes in richtiger Weise verglichen wäre. Ich will betonen, daß London ein Zmpfzwangsgesetz seit dem Jahre 1867 hat, und daß in London die Kinder bereits in den ersten drei Monaten geimpft werden müssen; es ist gesetzliche Bestimmung, daß sie innerhalb der ersten drei Monate geimpft werden, und es ist Thatsache, daß das Zmpfgesetz mit fast drakonischer Strenge ausgeführt wird — denn diejenigen, die nicht impfen lassen, werden nicht blos mit Geldstrafen belegt, sondem auch ins Gefängniß geworfen. ...

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... — Zch sage, es genügt dies für mich, um zu fordern, daß durch eine wirklich wissenschaftliche Methode die ganze Frage noch einmal erörtert wird, und ich halte es deshalb für nöthig, daß das Material, welches uns aus der Epidemie von 1870 bis 1872 in den Urpockenlisten zu Gebote steht, noch einmal wissenschaftlich geprüft und bearbeitet wird. Vorläufig würde ich es für unrichtig halten, zu sagen, die Impfung gewähre einen Schutz. Uns macht man immer den Einwurf, unser Material tauge nichts; ich weiß nicht, wie die Herren ihr Material anders bekommen; Sie bekommen es auch von den Polizeiämtern resp. von den Standesämtern; das ist ganz dasselbe wie mit den Urpockenlisten. Ahr Material ist aber in einer anderen Weise bearbeitet worden als das unsrige. Wir haben dasselbe Material wie Sie; aber Sie haben von den Bürgermeistern nur die Uebersichten bekommen, die auf Verfügung des Ministeriums angefertigt worden sind, und wir haben das Original in den Händen gehabt und haben es nach einer unserer Ansicht nach richtigen statistischen Methode bearbeitet. Endlich habe ich noch zu bemerken: ich stehe durchaus nicht auf dem Standpunkte, daß ich eine jede Wirkung der Impfung leugne, — darüber bin ich mir noch lange nicht klar; ich glaube aber zu dem Resultate gekommen zu sein, daß wenigstens ein einigermaßen länger dauernder Impfschutz nicht vorhanden ist. ...
... Wenn für die preußische Armee die Thatsache betont werden muß, daß nach der durch die Friedensverhältniffe wieder ermöglichten regelmäßigen Impfung die Zahl der Pockenkranken auf ein Minimum herabgedrückt ist, so sehen wir, daß in anderen Armeen, in der französischen, in der österreichischen, ungeachtet der Thatsache, daß wir in Europa augenblicklich keine Epidemie haben, die Verbreitung der Pockenkrankheit doch ...

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... Unzweifelhaft gewährt aber die Vaccination und Revaccination eine starke und zuverlässige Waffe, um das Fortschreiten einer eingeschleppten Epidemie zu bewältigen. Bei dieser Gelegenheit erlaube ich mir ein auffallendes Beispiel von der mächtigen Schutzkraft der Impfung noch mitzutheilen. Im Regierungsbezirke Posen hatte ein Gutsbesitzer aus Furcht vor der nahen Krankheit im Polnischen seine ganze Arbeitermannschast impfen lassen; sie betrug 150 Mann. Ein einziger war eigensinnig und sträubte sich mit aller Gewalt gegen die Impfung. 149 blieben nach der Impfung vollständig gesund, während der eine, der sich der Impfung entzogen hatte, krank wurde und auch an den Pocken starb. Das ist ein amtlich konstatirter Fall, dessen beweisführende Kraft in die Augen fallen muß. Ich könnte noch mehrere Mittheilungen aus den amtlichen Berichten machen, wie durch die Macht der Vaccination und Revaccination den Pockenepidemien eine bestimmte und unüberwindliche Grenze gesetzt wird. Ich unterlasse es hier, um nicht denjenigen Kommissionsmitgliedern gegenüber, welche gewiß ähnliche Erfahrungen aufzuweisen haben, zu weitläufig zu werden. Vorsitzender: Es ist ein Antrag eingegangen von Herrn Dr. Böing, welcher folgenden Wortlaut hat: Vor der Entscheidung der Frage nach dem Zmpfschutze mögen die auf der Polizei respektive den Standesämtern vorhandenen Urpockenlisten statistisch bearbeitet werden, insoweit sie Angaben über den Zmpfzustand und das Alter der Erkrankten und Gestorbenen enthalten. Herr Geheimrath Dr. Koch: Herr Dr. Böing hat nochmals bezweifelt, daß die Gegenüberstellung von London und Berlin als einer Stadt ohne Zwangsimpfung einerseits, und einer Stadt mit Zwangsimpfung andererseits nicht richtig sei. ...

113 /558
... Man könnte höchstens noch behaupten, daß die Abnahme eine Folge der großen Epidemie von 1871 bis 1873 gewesen sei, weil die Erfahrung gelehrt hat, daß auf Zahre, in welchen die Pocken ganz besonders stark herrschten, Zahre folgten, in denen die Krankheit weniger intensiv auftrat. Wenn auch zugegeben werden kann, daß dieser Einfluß vielleicht noch für die ersten Zahre 1875, 1876, 1877 bestanden hat, so sehen wir doch, daß auch in den späteren Zähren die Pockenmortalität in Deutschland andauernd eine außerordentlich niedrige bleibt, während in Oesterreich, welches keinen Revaccinationszwang hat, die Pockensterblichkeit, wie aus der Tafel zu ersehen ist, nach der großen Epidemie zwar auch auf kurze Zeit heruntergeht, aber sehr bald wieder auf die frühere hohe Zahl gestiegen ist. Nun werden mir die Herren vielleicht einwenden können, daß auch dieses statistische Material unsicher sei; denn auch dieses Material ist ja von Polizeibehörden, von Standesämtern u. s. w. gesammelt. Das ist ganz richtig; ich glaube jedoch, daß wir darüber, ob jemand an den Pocken gestorben ist, auch von Laien eine zuverlässige Auskunft erhalten können. Ganz etwas anderes ist es mit dem Nachweise des Geimpftseins und des Nichtgeimpftseins. Das sind, wie ich rüher nachgewiesen habe, Thatsachen, welche wir in genügender Weise unmöglich von Laien feststellen lassen können. Aber ch will auch den Fall setzen, dieses für die Mortalitätsstatistik benutzte Material wäre dennoch unsicher, dann kann es höchstens zu Ungunsten der Wirkung des Zmpfgesetzes aus-allen. ...

114 /558
... Dieselbe Ueberschiebung präsumtiv als geimpft zu betrachtender Kinder in die Kategorie der Ungeimpften wiederholt sich bei der württembergischen Epidemie von 1866 bis 1867. So heißt es in dem Berichte des Ober-Medizinalrathes Dr. Cleß: „Die Kinder unter 6 Jahren dürfen wir nahezu alle, wie dies auch in den meisten Berichten angegeben, als ungeimpft annehmen. Woher hat man das Recht, dies anzunehmen? Wir können doch unmöglich voraussetzen, daß das Jmpfzwangsgesetz, welches seit 1818 in Württemberg besteht, so überaus mangelhaft ausgeführt gewesen sei. Es ist heute in der letzten Stunde außerordentlich wichtiges Material herbeigeschafft worden, dem wir ja nicht überall haben folgen können. Wir haben uns nur flüchtig die Zahlen notiren können, die seitens des Herrn Oberstabsarztes Dr. Großheim aus einer neuen und erschöpfenden Militärstatistik mitgetheilt sind. Wir sind nicht in der Lage, etwas dafür oderdagegen vorzutragen; ich werde darüber nachher noch einen Antrag einbringen. Es sind unter anderem verglichen worden die Verhältnisse der preußischen im Gegensatze zur französischen Armee. Wir dürfen uns nicht verschließen dem inneren und äußeren Zustande der französischen Armee, den sozialen und sanitären Verhältnissen, in welchen sich das eingesperrte Paris, in welchen sich Metz resp. das Lager vor Metz befand, und wie es dort in den Kasernen und im Lager selbst aussah. — Sie werden zugeben müssen, wenn eine preußische Armee in solchem Schmutze gelegen hätte, dann würde sie sicherlich auch der Pockenseuche ihren vollbemessenen Tribut haben zahlen müssen. ...

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... Außerdem haben offenbar auch die Bevölkerung, Reichstag und Regierung unter dem Eindrücke sowohl des Schreckens der Epidemie von 1871/72 gestanden, als auch unter der damals erprobten Thatsache, daß die Impfung wirklich eine günstige Wirkung ausgeübt hat. Herr Dr. Krieger: Gegen Herrn Dr. Weber möchte ich nur erläuternd bemerken, daß ich bei meinen Schlußbemerkungen selbstverständlich vorausgesetzt habe, daß wir alle geimpft sind, und daß die große Mehrzahl von uns Aerzte sind, welche schon häufig in Berührung mit Blatternkranken gekommen sind. Was die von den Zmpfgegnern stets angeführten Statistiken von Müller rc. anlangt, so muß ich dieselben einfach als schlecht bezeichnen. Unter den Tausenden von Statistiken, die schon gemacht worden sind über den Werth der Impfung, giebt es natürlich auch einige, die auf lüderlichem Materiale beruhen. Den Werth derselben kann ich, gestützt auf meine persönlichen Erfahrungen und auf meine eigene Statistik, die hierfür vollständig groß genug ist, nicht anerkennen. Insbesondere kann ich die Schlüsse von Kolb und Vogt, welche nicht über eigene Erfahrungen verfügen konnten und sich lediglich auf fremdes und schlechtes statistisches Material stützen, in keiner Weise anerkennen. Herr Dr. von Koch: Herr Dr. Weber hat in Bezug auf die württembergische Zmpfstatistik, speziell auf die Schrift von Cleß, es auffallend gefunden, daß Cleß von einer verhältnißmäßig großen Zahl von erkrankten Kindern von 1 bis 5 Jahren ohne Weiteres annahm, dieselben seien nicht geimpft gewesen. Es sei das besonders auffällig in einem Lande wie Württemberg, wo der Impfzwang schon lange geherrscht habe. ...

116 /558
... Demnach ist also die Statistik der Epidemie in der Umgebung von Leipzig ganz in derselben Weise unvollkommen, und man muß ihr denselben Vorwurf machen, wie Sie ihn der Müllerschen Statistik gemacht haben, und weshalb Sie die Müllersche Statistik reprobiren. Meine Herren, ich will dies aber nicht einmal thun; meines Erachtens ist die Arbeit des Herrn Dr. Siegel — ich habe sie der Freundlichkeit des Herrn Geheimrathes zu verdanken — eine sehr sorgfältige und gut zusammengestellte, obgleich sie ja zu dem meinen Ansichten entgegengesetzten Resultate kommt. Ich will also diese statistischen Daten gar nicht bemängeln; ich will nur noch einmal erstens das Eine hervorheben, daß, wie allgemein zugegeben ist, in dieser Epidemie auch eine ziemlich große Anzahl von gut geimpften Kindern erkrankt und auch gut geimpfte Kinder gestorben sind. Das ist für mich das Durchschlagende; auf ein paar Kinder mehr oder weniger kommt es mir dabei nicht an. Ich meine, es ist ein logischer Schluß, der nicht bekämpft werden kann, wenn ich sage, daß die Theorie des Schutzes an sich unhaltbar ist, daß man sie vielleicht höchstens noch als eine Hypothese bezeichnen kann, welcher man nun die widersprechenden Thatsachen in irgend einer Weise adäquat machen muß, und zweitens, daß es jedenfalls nöthig ist, weitere Untersuchungen anzustellen, ob sich nicht etwa überall herausstellt, daß auch die geimpften Kinder nicht nur zahlreich erkranken, sondern auch dem Pockentode unterworfen sind. Außerdem aber kommt sehr wesentlich in Betracht, was Herr vr. ...
... Betrachten Sie ferner die Krefelder Epidemie von 1871. Krefeld ist eine Stadt von 80 000 Einwohnern mit ungefähr 60 Prozent Proletariat; sie ist ziemlich gleichmäßig durchgeimpft. Die wohlhabende Bevölkerung wohnt auf den Wällen. Zn dieser Epidemie ist in all den Wohnungen, die eine geordnete Ventilation hatten, die von einem bedeutenden Luftmeer umgeben waren, kein einziger Pockenfall vorgekommen; die Erkrankungsfälle beziehen sich alle auf die Straßen, wo die Bevölkerung in engen Kasernen zusammenlebt. Meine Herren, das ist doch ein so schlagendes Beispiel, wie es schlagender kaum gefunden werden kann. Zn dieser Stadt sind die Zmpfverhältniffe von absolut keiner Wirkung gewesen, wenigstens von keiner solchen, daß man einen Schutz klar und deutlich nachweisen könnte. Sie sehen also, daß man doch wohl gezwungen ist, auf die soziale Lage ein viel größeres Gewicht zu legen, als wie es mir geschienen hat, wenigstens gestern thatsächlich von den Herren beliebt worden ist. Ich möchte nur noch einmal eine Analogie anwenden. Nehmen wir an, hier bricht der Typhus aus und wir haben eine Typhusmortalität von 5 bis 10 Prozent, hier, wo wir die Abortiv-Kalomelkur gebrauchen; gleichzeitig haben wir den Typhus in Oberschlesien, wo keine Kalomelkur gebraucht wird, und die Mortalität dort beträgt 30 bis 40 Prozent: soll da in der Nichtanwendung der Kalomelkur die Ursache der größeren Mortalität Schlesiens gefunden werden? Nein, gewiß nicht, sondern es sind lediglich die sozialen Verhältnisse, mit einem Worte, der Hunger, wie dies von Virchow mit positiver Gewißheit nachgewiesen ist. ...

117 /558
... Ich will indeß darauf weniger Gewicht legen und will nur hier anführen, wie die Epidemie von 1871 verlaufen ist. Im Jahre 1871 erreichte die Zahl der Erkrankungen 31 518; davon waren geimpft 29 429, revaccinirt 776 und nicht geimpft 1 313. An den Pocken starben 4 848; davon waren geimpft 3 994, revaccinirt 64, nicht geimpft 790. Daraus berechnen sich nach der amtlichen Methode die vorhin von mir mitgetheilten Mortalitätsziffern von 60 Prozent für die Ungeimpften, von 31 Prozent für die Geimpften und von 8 Prozent für die Nevaccinirten. Nun, meine Herren, ich will zunächst alle nähere Statistik bei Seite lasten. Wenn eine Mortalität der Geimpften von 31 Prozent besteht, so geht daraus mit absoluter Sicherheit hervor, daß der Impfschutz doch im besten Falle nur ein ganz relativer, daß er ein ganz geringer ist, daß er jedenfalls als ein einigermaßen durchgreifender nicht bezeichnet werden kann! Wenn außerdem von den Nevaccinirten 8 Prozent starben, so geht daraus mit nicht minderer Sicherheit hervor, daß auch die Revaccination absolut nicht weder vor dem Erkranken, noch auch vor dem Sterben an den Pocken schützt, während doch behauptet wird, daß die Revaccination einen noch viel größeren Einfluß ausüben soll, als die erste Impfung. Nun, meine Herren, es ist in dieser Statistik — jetzt kommen die Aussetzungen, die ich an derselben zu machen habe — zunächst keine Rücksicht auf die Morbilität genommen. ...
... von Kerschensteiner hat allerdings gestern gesagt: Ja, das ist richtig, wir haben eine kolossale Epidemie in Bayern gehabt, aber, so fragte er, was würde die Folge gewesen sein, wenn wir die Impfung nicht gehabt hätten? Dann würden wir gewiß die zehnfache Morbilitäts- und die zwanzigfache Mortalitätsziffer gehabt haben. Ich muß gestehen, daß ich mit solchen Zahlen nicht rechnen kann; was erfolgt sein würde, wenn etwas nicht gewesen wäre, das ist ein wissenschaftlich ganz unfaßbares Ding. Sie können sich auch nicht darauf berufen, daß vor der Impfung die Pocken immer viel gefährlicher gewesen sind. Auch im vorigen Jahrhundert hat es Epidemien gegeben, die so gutartig waren, daß die Kinder auf der Straße umherliefen; Sie wissen dies Alle und können es in verschiedenen Büchern nachlesen; so in den Werken von Vogt u. A., — und auch Herr Dr. Wolffberg, ein eifriger Jmpffreund, hat kürzlich in der Monatsschrift für öffentliche Gesundheitspflege darüber geschrieben; kurz und gut, es ist darüber so viel Material vorhanden, daß ich gar nicht nöthig habe, etwas darüber zu sagen. Also auch dieser Grund ist nicht stichhaltig und man kann mit solchen Dingen nicht rechnen, — das sind Phantasiegebilde. Ich würde jetzt dazu übergehen, etwas zu erwidern auf die vom Herrn Oberstabsärzte Dr. Großheim uns gestern vorgelegte Militärstatistik. Meine Herren, Sie werden selbst einsehen, daß das außerordentlich schwierig ist. ...

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... Ich möchte noch außerdem, hieran anschließend, auf die Epidemie zurückkommen, die von Dr. Senft in Höchst beobachtet worden ist und die auch im Bericht des Reichstages von Lhilenius als ein ganz eklatanter Beweis für den Impfschutz dargestellt wurde. Auch hier werden wieder 75 Prozent berechnet, die ungeimpft gestorben seien, 25 Prozent, die geimpft, und 22 Prozent, die revaccinirt gestorben feien. Es ist das ganz dasselbe Verhältniß, wie bei der Statistik des Herrn Dr. von Kerschensteiner. Bearbeitet man diese Zusammenstellung nach Altersklaffen, so stellt sich das umgekehrte Verhältniß heraus, daß die Mortalität der Nichtgeimpften sich lediglich bezieht auf die Altersklasse 0 bis 1 Zahr, daß nachher gar keine Ungeimpften erkrankt sind, und daß die große Mortalität von 25 Geimpften und 22 Revaccinirten vorhanden war. Dabei ist doch gewiß merkwürdig, daß bei dieser kleinen Epidemie nur ganz einzelne ungeimpfte Kinder erkrankt, dagegen die große Zahl der übrigen ungeimpften Kinder und alle ungeimpften Erwachsenen nicht erkrankt sind. Wäre Zhre Theorie richtig, so hätten doch gerade diejenigen, die nach dieser Theorie ungeschützt sind, das heißt hier in Höchst die Kinder von 0 bis 1 Zahr, vorwiegend erkranken müssen. Das ist aber auch nach dieser Statistik des Herrn Dr. Senft, die dem Reichstage in der Petitionskommission vorgetragen ist, gar nicht der Fall; es sind im Gegentheil gerade die Geimpften erkrankt. Herr Dr. von Scheel: Zch wollte mir erlauben, an die gestrige Debatte noch anzuknüpfen. ...

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... Böing hat sich ferner insbesondere auf eine Kritik der bayerischen Zmpfstatistik eingelassen und hat gefunden, daß in Bayern jährlich auf 1 000 Impflinge 36 Restanten kommen: er rechnet dann aus, daß in Bayern unter diesen Verhältnissen zur Zeit der Epidemie 200 000 Ungeimpfte existiren mußten, und daß, wenn man nun das Verhältniß der erkrankten Geimpften und Ungeimpfte» berechnet, dieses Verhältniß mit dem der überhaupt vorhandenen Geimpften und Ungeimpsten übereinstimmt. Dieses Beispiel stellt Herr Dr. Böing als einen Beweis gegen den Nutzen der Impfung so hoch, daß er sagt: wenn ihm das widerlegt würde, dann wolle er die Berechtigung des Zmpfgesetzes anerkennen. Nun, wenn dies sein Ernst ist, dann glaube ich, werden wir bald die Freude haben, ihn als Verfechter des Zmpfgesetzes begrüßen zu können. Es zeigt sich gerade an diesem Beispiel, wie schwach es mit einer derartigen Statistik bestellt ist. Zeder, der selbst Zmpfarzt gewesen ist, weiß, daß, wenn eine Anzahl Restanten in einem Zahre bleibt, sie in der Regel im nächsten Zahre nachgeimpft werden. Außerdem besteht ein Theil der Restanten aus den wegen Krankheit oder allgemeiner Schwäche zurückgestellten Kindern, von denen eine Anzahl stirbt. Der Rest bleibt also keineswegs fortwährend unverändert und kann nicht einfach summirt werden. Zn Bayern wird es sich mit den Zmpfrestanten ganz ebenso verhalten; vielleicht giebt uns Herr Ober-Medizinalrath von Kerschensteiner darüber noch spezielle Auskunft. ...
... Zunächst wurde gesagt, daß andere Faktoren zu wenig berücksichtigt seien; die Pockenmortalität sei abhängig zum Theil von dem ganzen Karakter der Epidemie, von der ärztlichen Behandlung, von dem sozialen Elend, von dein gestern auch schon die Rede gewesen ist, und welches meiner Ansicht nach in der Bedeutung, welche ihm von den Herren Zmpfgegnern gestern gegeben wurde, vollständig widerlegt ist, aber immer von Neuem wieder ins Feld geführt wird. Nach meiner Meinung sind gerade bei dieser Mortalitätsstatistik alle in Betracht kommenden Faktoren berücksichtigt. Wenn der Zustand der Bevölkerung in Preußen vor dem Zahre 1874 mit demjenigen nach dem Zahre 1874 verglichen wird, dann sind alle übrigen Faktoren dieselben geblieben; nur der Zmpfzustand hat sich geändert und wenn von diesem Zeitpunkte ab die Pockensterblichkeit auf ein Minimum sinkt und auch andauernd verbleibt, dann können wir das einzig und allein der Wirkung des Zmpfgesetzes zuschreiben. Es ist allerdings noch zu berücksichtigen, daß der Abfall der Pockensterblichkeit in den Zähren 1874, 1875 und vielleicht auch noch 1876 nicht ganz allein der Impfung zuzuschreiben ist. Das ist auch nie geschehen; in der Erklärung zu den Tabellen ist es ganz klar und deutlich ausgesprochen, daß das Abnehmen der Mortalität in diesen Zähren höchst wahrscheinlich zum Theile der unmittelbar vorausgegangenen großen Epidemie zugeschrieben werden muß. ...

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... Die Mortalität sinkt nach dieser großen Epidemie in Oesterreich ebenfalls erheblich und geht bis zum Zahre 1878 bis auf ungefähr 5,z auf 100 000 Einwohner zurück. Zn Preußen dagegen ist sie in Folge der gleichzeitigen Wirkung des Zmpfgesetzes noch viel weiter Heruntergegangen, nämlich bis auf 0,34 im Zahre 1877. Während sie nun aber in Preußen sich dauernd niedrig gehalten hat und bis zum Zahre 1881 nur auf ungefähr 3,k gestiegen ist, hat sie in Oesterreich im Zahre 1880 bereits wieder eine Höhe von 64 und im Zahre 1881 von 78,g, also mehr als das Zwanzigfache der preußischen Pockensterblichkeit erreicht. Der Einfluß der Epidemie, welche in Oesterreich um fast 2 Zahre später auftrat als in Preußen, ist in Oesterreich schon längst wieder verschwunden, und die Pockensterblichkeit ist dort schon wieder eben so hoch gestiegen wie früher, während sie in Preußen dauernd niedrig geblieben ist. Dafür giebt es nach meiner Ansicht, da alle übrigen Faktoren unverändert geblieben sind, und nur ein einziger Faktor, nämlich der Zmpfzustand in Preußen eine Aenderung erfahren hat, keine andere Erklärung, als daß die Zwangsimpfung, d. h. also das Zmpfgesetz, in Preußen jene andauernd niedrige Pockensterblichkeit bewirkt hat. Ganz dasselbe gilt von den großen Städten. Herr vr. Böing hat nunmehr, wenn ich ihn recht verstanden habe, selbst zugegeben, daß in London die Pockenmortalität eine erheblich höhere ist als in Berlin; in Paris höher als in Hamburg; in Wien sogar bedeutend höher als in Breslau. Nun unterscheidet sich aber London von Berlin durch eine bedeutend günstigere allgemeine Mortalitätsziffer. ...
... Sehr oft waren diese Kinder so leicht erkrankt, daß sie kaum einen Tag im Bett zubringen mußten — wie auch Herr Medizinalrath Siegel solche Fälle gestern erwähnte — und gerade diese Kranken sind es, welche die Epidemie am meisten und schnellsten verschleppen. Dann ist aber bei dieser Frage besonders zu berücksichtigen, woraus immer von neuem hingewiesen werden muß, daß von den Herren Zmpfgegnern die Bezeichnung „geimpft durchaus nicht in der Weise gebraucht wird, wie sie1 gebraucht werden1 sollte.1 Die Geimpften1 sind durchaus1 nicht1 gleichwerthig in Bezug1 auf den Schutz gegen Pocken, um den es sich doch bei dieser Bezeichnung einzig und allein handelt. Diejenigen Menschen, welche schlecht geimpft sind, fungiren in den Listen auch als geimpft; für uns sind sie so gut wie gar nicht geimpft. Solche, welche vor mehr als zehn1 oder1 zwölf Zähren1 geimpft1 sind, werden in1 den Listen natürlich1 ebenfalls als1 geimpft1 aufgeführt; und1 doch können wir sie nicht mehr als sicher gegen die Pocken geschützt ansehen, weil wir wissen, daß sie wieder mehr oder weniger empfänglich für die Pocken geworden sind. Deswegen können wir auch alle diejenigen Beweisführungen, welche diese Unter- ...


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