... Die ärmere Bevölkerung in den Vorstädten und auf dem Lande, wo das Impfen oft weniger glatt und bequem abgehtz als wenn im Ttergartenviertel der Herr Sanitätsrat sich in einen Salon bemüht, um den Liebling zu impfen. Die ärmere Bevölkerung wird diejenige sein, bei der eine gewaltige Kindersterblichkeit die Folge der Gewissensklausel sein wird. Deswegen dürfen wir hier den Standpunkt der persönlichen Freiheit der Entschließung doch nicht ohne weiteres über alle übrigen Erwägungen stellen. Aus diesen Gründen bin ich persönlich gegen die Einführung (o) der Gewissensklausel. Nun sagt man, die Impfung schade. Ganz sicher kann sie das gelegentlich. Ich habe nicht die Ehre, hier als Mediziner sprechen zu können. Ich kann nur sagen, cs gibt auf der Welt Schattenseiten überall. „Ärzten ist gefährlich. Auch die Mutter von Kindern sein, ist mitunter für diese gefährlich, und Vater sein ebenso, (große Heiterkeit) Lehrer sein, ist gefährlich und höchst verantwortlich, auch beim Militär Vorgesetzter sein, ist gefährlich; es kann eben überall einmal etwas Unglückliches und Unerwünschtes passieren. Also „Ärzten ist gefährlich, und cs ist klar, daß es allerhand llbelstände auch beim Impfen gegeben hat, die sich nachweisen lassen. Nun noch ein Wort über die Photographien, die hier verteilt wurden. Vielen sah man cs an, daß sie retouchiert waren; vielen muß man es nachsagen, daß sie Momente eines schließlich ganz normalen Verlaufes darstellen, in dem vielleicht acht Tage später die ganzen heftigen Erscheinungen sehr harmlos geworden sind. ... ... Es gibt ja nach dem Impfen bei gewissen Kindern große Schwellungen, die nach acht Tagen auf Nimmerwiedersehen verschwunden sind. Wenn dann ein Impfling das Unglück hat, in einer Familie zu leben, wo z. B. eine ansteckende Hautkrankheit herrscht, wie z. B. die Rose und anderes, und er bringt mit den Fingern den Anstcckungsstoff an die Impfstelle, so kann es freilich ebenso bei der Impfung zu Grunde gehen xost lloc, und proper do«, — wie ein Kind, daß sich beim Turnen einen Holzsplitter unter den Fingernagel getrieben und daun am Starrkrampf stirbt. Zum Schlüsse noch der Hinweis, daß die Pocken noch viel mehr schaden als die Impfung. Zahllose selbständige unterrichtete Leute, die mit Pockenkranken in Berührung kommen und für sich selbst zu sorgen haben Mittwoch den 3. Mai 1911. und ihr Gewissen konsultieren, wie Krankenpflegerinnen, (oi Arzte, Missionare, lassen sich impfen, wenn sie die freie Wahl haben. Und dies nicht nur gegen die Pocken, sondern auch gegen andere Krankheiten, obwohl gegenmanchedie betreffende Impfung nicht so günstig wirkt wie gerade bei den Pocken. Das ist auch ein Argument, auf das man hinweisen muß, und das als regelmäßige Erscheinung einen jeden von uns mindestens zweifelhaft machen kann, ob eine agitatorische Bekämpfung des Jmpfens eine Berechtigung hat. Uns sind heutzutage die eigentlichen Schrecken der Pocken unbekannt, und ich würde auch niemanden raten, sich dieselben ungeimpfterweise irgendwo anzusehen, — mit der einzigen Ausnahme, die ich mir vorhin erlaubt habe, vorzuschlagen. ...
| Abb. der Originalseite (Image-Nr.: bsb00003332_00406) |