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Verhandlungen des Reichstages. - Berlin, 1911
Bd.: 263. 1911
Signatur: 4 J.publ.g. 1142 y,A-263

ID: 00003329
261 /317
... Einer der Herren Vorredner hat bemerkt, wenn man bei den Pocken impft, solle man doch bei anderen übertragbaren Krankheiten auch impfen. Wenn man es nur (8) könnte, meine Herren. Man kann es leider nicht. Wir haben die Versuche gemacht; die Bakteriologie steckt keineswegs mehr in den Windeln, wie der Herr Abgeordnete Hahn es annimmt, sondern ist weit vorgeschritten. Ich erinnere nur an die Diphtherie, die wir, dank der Großtat von Behring, jetzt mit solchem Erfolg mittels des Heilserums behandeln, daß die jährliche Sterblichkeit an Diphtherie in Preußen seit 1894 von 60000 auf 8000 zurückgegangen ist. (Hört! hört! — Sehr richtig!) Aber so groß die Heilwirkung des Diphtherieserums auch ist, seine Schutzwirkung ist mit derjenigen der Schutzpockenimpfung nicht zu vergleichen, weil sie in vierzehn Tagen schon wieder vorüber zu sein pflegt. Wir kennen keine übertragbare Krankheit, bei der die Wirkung der Impfung so lange anhält, wie das bet den Pocken der Fall ist. Bei einigen anderen Bakterienkrankheiten — ich nenne zum Beispiel Cholera, Pest und Typhus — haben die Versuche zur Gewinnung eines sicheren Schutzimpfungs-Verfahrens bis jetzt noch zu keinem befriedigenden Ergebnis geführt. Wie glücklich wären wir, wenn wir unsere Arzte, unser Pflegepersonal und alle, die mit Kranken sich befassen müssen, gegen Pest und Cholera wirksam impfen könnten! Wie glücklich wären wir, wenn wir unsere Kinder gegen Genickstarre, Scharlach usw. durch Impfung schützen könnten! Das ist leider nicht der Fall. ...

262 /317
... (8) Meine Herren, Edward Jenner machte zunächst eingehende Beobachtungen und ging erst im Jahre 1796 dazu über, einen achtjährigen Knaben, mit Namen Phtpps, zu impfen mit einem Impfstoff, den er einer Kuhpocke von der Hand des Melkmädchens Sarah Nelney entnahm. Ich möchte die Ehre dieser Sarah Nelney retten, die von Jmpfgegnern als syphilitisch bezeichnet worden ist. (Heiterkeit.) Es ist nämlich eine Abbildung der Hand der Sarah Nelney erhalten, auf welcher die Pocke dargestellt ist, von der Jenner geimpft hat; aus diesem Bilde geht unzweifelhaft hervor, daß hier von Syphilis keine Rede gewesen ist. Jmpfgegner haben behauptet, da Sarah Nelney syphilitisch gewesen wäre, müsse die gesamte Kuhpockenlymphe in der ganzen Welt, die doch von ihr herstamme, mit Syphilisgift durchtränkt sein. Ich meine, eine solche Behauptung kann man nur als Wahnsinn bezeichnen. (Sehr richtig! links.) Meine Herren, es ist interessant, daß sich gleich nach Entdeckung der Schutzpockentmpfung durch Jenner die Jmpfgegnerschaft geltend machte. Ich habe hier ein schönes Werk von Holländer, welches ich Ihrem Studium empfehle; es ist nicht nur medizinisch, sondern auch humoristisch: „Die Karrikatur und Satire in der Medizin. In diesem Buch befindet sich die Wiedergabe eines farbigen Bildes, welches Jenner darstellt mit Personen, die er geimpft hat, und die Jmpfgegner von damals stellten darauf dar, wie gefährlich die Impfung mit Kuhpocken wäre. ...

263 /317
... Endlich liegt die Schweiz, wie Sie wissen, zwischen Ländern, welche nicht ordentlich impfen, Frankreich, Italien, und es besteht dort eine lebhafte Freizügigkeit, sodaß vielfach Menschen hin- und wegziehen und sich der Impfung entziehen. Eine objektive Beurtung der Frage ist zurzeit noch sehr schwierig. Es ist aber in hohem Grade zu befürchten, daß, nachdem in den letzten Jahren der Prozentsatz der Kinder, welche geimpft worden find, von Jahr zu Jahr abnimmt, dann, wenn einmal die Pocken eingeschleppt worden find, eine große und schwere Epidemie in der Schweiz entsteht. Das ist der springende Punkt, auf den es ankommt. (Sehr richtig!) Wir dürfen uns nicht so sklavisch an die Statistik halten, wie es Professor Adolf Vogt in Bem getan hat, (sehr wahr!) sondern müssen alle Verhältnisse berücksichtigen. (Zuruf: England!) ...

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... Wenn wir uns nicht schützen, indem wir uns impfen lassen, kommen wir durch diese Einschleppungen fortwährend in die Gefahr von Pockeneptdemtcn. Im Jahre 1904 hatten wir eine solche Epidemie in Bochum. (s)1 (Sehr richtig!) Damit Sie aber nicht glauben, daß ich, wie Dr. Btlfinger sagt. Sie einschüchtern will durch vage Angaben, will ich Ihnen genaue Zahlen mitteilen. In den Jahren 1901 bis 1908 haben wir im Deutschen Reiche folgende Erkrankungen (Todesfälle) an Pocken gehabt: im Jahre 1901: 375 (56), 1902: 114 (15), 1903: 172(20), 1904: 189 (25), 1905: 212 (30), 1906 : 256 (47), 1907 : 345 (63) und 1908: 434 (65). Was schließen Sie daraus? Daß die Zahlen der Erkrankungen und Todesfälle an Pocken bei uns in den letzten Jahren zuzunehmen beginnen! (Zuruf in der Mitte: Trotz der Impfung!) — Ich werde Ihnen gleich den Grund dafür sagen! — Unter diesen Erkrankten befanden sich Ausländer im Jahre 1901: 86, 1902: 34, 1903: 30, 1904: 54, 1905: 113, 1906 : 66, 1907: 121 (hört! hört!) und im Jahre 1908: 153. Die Zahl der pockenkranken Ausländer steigt also bei uns von Jahr zu Jahr! (Lebhaftes Hört! hört!) In jedem Frühjahr, im März und April, wenn der Einzug der Ausländer bei uns anfängt — wir erhalten von jedem Pockenfall telegraphische Meldung —, bekommen wir jeden Tag zwei, drei, vier Telegramme, in denen Pockenfälle gemeldet werden. Das ist eine eminente Gefahr, der wir fortwährend ausgesetzt sind, und der wir nur dadurch begegnen, daß wir den Impfschutz unserer Bevölkerung aufrecht erhalten. ...
... Sowie irgendwo die (v) Pocken auftreten, unterziehen wir auf Grund des Seuchengesetzes alle noch nicht oder nicht mehr ordentlich geimpften Personen der Zwangsimpfung; denn im Seuchengesetz von 1905 ist Gott sei Dank bestimmt, daß die Bestimmungen über Zwangsimpfungen aufrecht erhalten bleiben; nach § 55 des preußischen Regulativs bei ansteckenden Krankheiten haben wir das Recht, beim Auftreten einer Pockenepidemie jedermann zwangsweise impfen zu lassen, und das Recht wollen wir uns nicht nehmen lassen. (Zustimmung.) Und nun noch eine scherzhafte Beobachtung, meine Herren: alle Jmpsgegner verschwinden, wenn eine Pockenepidemie droht. (Heiterkeit.) Dann drängt sich alles dazu, sich impfen zu lassen; es ist eine Freude. Als wir im Jahre 1904 eine Pockenepidemie in Bochum hatten, haben sich über 55 000 Personen in acht Tagen impfen lassen. Darunter waren auch viele Jmpsgegner. Schade ist nur, daß die Impfungen beim Ausbruch einer Epidemie häufig zu spät kommen, weil der Impfschutz nicht sofort nach der Impfung eintritt. Das ist ein weiterer Grund für den Impfzwang, weil die Neigung, sich freiwillig impfen zu lassen, häufig erst eintritt, wenn die Gefahr der Erkrankung droht. (Zuruf: England!) Jetzt komme ich zu England, da ich mich nun zur sogenannten Gewtffensklausel wenden möchte. Ich sagte bereits, daß 1853 in England und Wales die Impfung und 1898 die Gewiffensklausel eingeführt worden ist. In Schottland und Irland ist sie nicht eingeführt. ...

265 /317
... Nun bekam der Vater einen Auftrag von der Polizei, das Kind impfen zu lassen oder den Nachweis zu führen, daß das ohne Gefahr für Leben oder Gesundheit nicht möglich ist: er kümmert sich nicht darum und tut, als hätte er nichts bekommen. Darauf wird ihm ein neuer Termin für die Impfung gesetzt bei Androhung von Strafe; er kümmert sich wieder nicht darum. Schließlich, nachdem inzwischen acht Monate vergangen sind, läßt die Polizei das Kind dem Jmpfarzt zuführen. Und nun schreit der Vater über Vergewaltigung! Der Herr Minister hat die Herren Regierungspräsidenten und Oberpräsidenten zum Bericht darüber aufgefordert, in welchem Umfange solche Zwangstmpfungen erforderlich waren. Daraus hat sich ergeben, daß in manchen Gegenden die Jmpfwilligkeit der Bevölkerung nichts zu wünschen übrig läßt. In ganzen Provinzen sind gesetzwidrige Entziehungen von der Impfung so gut wie gar nicht vorgekommen und brauchte ein Zwang zur Impfung überhaupt nicht ausgeübt zu werden. In anderen Bezirken aber — und das (O) sind diejenigen, wo die Hauptimpfzwanggegner ihren Sitz hahen — sind die Fälle der Entziehungen so zahlreich, daß man fast von einer Gefahr für die Allgemeinheit sprechen kann. Im ganzen hat sich in Deutschland in den Jahren von 1901 bis 1907 durchschnittlich nicht ganz 1 Prozent der Kinder, weil sie nicht aufzufinden waren, der Impfung entzogen; aus anderen Gründen sind entzogen worden im Jahre 1901 1,99 Prozent; das stieg bis zum Jahre 1907 auf 2,14 Prozent. ...

266 /317
... Wir haben Beweise dafür, daß Eltern, welche ihre Kinder impfen lassen, von gewisser Sette dazu veranlaßt werden, die Impfstellen sofort nach der Impfung abzuwischen; wir wissen, daß viele Mütter sie mit Wasser, Milch, ja sogar mit Urin abwaschen, mit Tüchern, die, da sie sie in der Tasche gehabt haben, von zweifelhafter Sauberkeit, voll Tuberkelbazillen find. Durch diese Behandlung der kleinen, frischen Jmpfwundeu werden die Kinder in hohem Grade gefährdet. Leute, welche die Bevölkerung in dieser Weise irreführen und die Gesundheit der Bevölkerung gefährden, handeln sicherlich unrecht. Ich will Ihnen etwas mitteilen, was ich der Felkezeitung — Herr Pastor Felke ist Ihnen gewiß bekannt — entnehme. In Nr. 8 vom 1. August 1908 ist ein Vortrag von vr. xlül. Mayns abgedruckt, betitelt: „Impfschutz, Schmutz und Trutz, in dem es heißt: Zum Schluß möchte ich Ihnen, meine verehrten Damen, noch ganz besonders ans Herz legen, sofort nach der Impfung, genau so wie der Arzt es vor derselben macht, nur um Scherereien zu vermeiden, möglichst unauffällig, mit einem mit Weingeist oder Schwefeläther getränkten Watteoder Leinentuch die Impfstellen abzureiben. Diese Schutzmaßregel verbietet kein Gesetz und hat auch kein Jmpfarzt das Recht, solche zu verbieten. Wollen Sie aber noch „das Pünktchen aufs i cv) machen, so legen Sie sofort nach der Heimkehr aus dem Jmpflokal Wafferkompressen oder auch unser bewährtes Felkepflaster auf. Daß durch derartige Hantierungen Jmpfschädigungen zustande kommen, wird Sie nicht wundernehmen. ...

267 /317
... Heute impft man ausschließlich mit animalischer Lymphe, die durch Impfen junger Rinder in staatlichen Anstalten gewonnen wird. Wir haben im Deutschen Reich zurzeit 21 Jmpfanstalten, welche zum größten Teil in jüngster Zeit neu errichtet oder umgebaut worden, mit allen Einrichtungen der modernen Antisepsis ausgestattet und mit einem ausreichenden Etat ausgestattet sind, und an deren Spitze Männer stehen, die sich seit Jahren mit der Pocken- und Jmpffrage beschäftigen. Die Lymphe wird nach Ablauf von durchschnittlich 4 Tagen abgenommen, nicht, wie auf der Abbildung des Herrn Wegener fälschlich angegeben, wenn die Pocken vereitert sind, sich zersetztes Blut oder gar Leichensekrete gebildet haben, sondern wenn die Pocken auf der Höhe der Entwicklung sind; das Material wird in sterilisierten Gefäßen mit sterilisierten Instrumenten verarbeitet, mit Glyzerinwasser versetzt und in sterilisierte Glastuben gefüllt. Es wird, damit es wirksam bleibt, kühl aufbewahrt und dann zu öffentlichen Impfungen un-(Ä entgeltlich abgegeben. Meine Herren, es ist behauptet worden, daß in dieser Lymphe außerordentlich große Mengen krankheitserregender Bakterien seien. Das ist nicht richtig. Ich selbst habe eine Zeitlang jede Lymphe, die in der Jmpfanstalt in Hannover hergestellt worden ist, bakteriologisch untersucht und gefunden, daß die frische Lymphe allerdings sehr reich an Bakterien ist, daß diese aber in kurzer Zeit abnehmen, weil sie durch das Glyzerin abgetötet werden, uud daß die Lymphe in vier Wochen so gut wie keimfrei ist. Niemals habe ich krankheitserregende Bakterien darin gefunden. Zu denselben Resultaten ist Professor Frosch im Institut für Infektionskrankheiten gekommen. Herr vr. ...






Verhandlungen des Reichstages. - Berlin, 1911
Bd.: 266. 1911
Signatur: 4 J.publ.g. 1142 y,A-266

ID: 00003332
268 /317
... Er sagte da: Ich habe, soweit meine Geschäfte es mir gestatteten, die uns zugegangene Literatur studiert, auch mit Ärzten, die ich habe fassen können, mich darüber unterhalten und habe da die Überzeugung gewonnen, daß nicht allein eine Reihe allopathischer, sondern daß ganze Klaffen von anderen Ärzten, die Homöopathie insbesondere, ganz entschieden gegen diesen Impfzwang sind, und ich halte es nahezu für eine Gewissenstortur, unter solchen Umständen bet so bestrittener Sache jeden zwingen zu wollen, sein Kind und sich selbst gegen den Rat des täglichen Arztes impfen zu lassen, respektive sich selbst zu impfen. Meine Herren, wie die Dinge sich entwickelt haben, steht außerdem die Tatsache fest, daß sich die offizielle Wissenschaft in der Beurteilung der Jmpfschäden schwer getäuscht und in verhängnisvolle Widersprüche verwickelt hat. Mein Kollege Dr. Pfeiffer hat, glaube ich, schon darauf hingewiesen, daß die Voraussetzungen, unter denen der Reichstag seinerzeit dem Jmpfgesetz zugestimmt hat, selbst nicht mehr vorhanden sind. Die Königlich Medizinische Deputation hatte auf eine Anfrage aus den Reihen der Abgeordneten hin seinerzeit die bestimmte Erklärung abgegeben, daß gesundheit-Reichstag. 12. Legisl-P. II. Session. 1909/1911. liche Nachteile von der Durchführung des Gesetzes (0) selbstverständlich nicht zu erwarten seien. Das war die Voraussetzung, unter der der Reichstag diesem Jmpfgesetz seine Zustimmung gegeben hat. Wie liefen nun die Dinge? Unmittelbar nach der Durchführung des Gesetzes zeigten sich die furchtbarsten Jmpfschäden, und Geheimrat Kirchner war ja so objektiv, einen Teil dieser Jmpfschäden, namentlich soweit die Übertragung von Syphilis in Betracht kommt, zuzugeben. ...

269 /317
... Es ist ein unbestreitbares, unabänderliches Menschenrecht eines jeden, sich impfen zu lassen — und in diese Freiheit will ich nicht eingegriffen wissen —; aber ein gleiches Recht und eine gleiche Freiheit fordern diejenigen, die von der wissenschaftlichen Durchschlagskraft der vorgebrachten Argumente nicht überzeugt sind. Sie dürfen nicht gezwungen werden, sich einem Impfzwangs zu unterwerfen, der nach ihrer festen Überzeugung die furchtbarsten Schädigungen der Volksgesundheit im Gefolge hat. Dazu kommt die Ungeklärtheit der Rechtslage: auch diese hat Herr Gehetmrat Kirchner nicht aus der Welt zu schaffen vermocht. Ich bitte deshalb, der Reichstag möge sich auf den Standpunkt stellen, daß eine Kommission einberufen werde, an der sich Jmpffreunde und Jmpfgegner beteiligen. Wenn Herr Geheimrat Kirchner allerdings die impfgegnertschen Arzte einfach mit der Behauptung abtut, sie verständen nichts, dann mag er das Urteil denen überlassen, die letzten Endes über die vorgebrachten Gutachten in diesem hohen Hause zu entscheiden haben. Ich meine, die einseitige offizielle medizinische Wissenschaft, die von Staats wegen unterstützt und propagiert wird, hat nicht das Recht, sich als alleinige Autorität in diesen Fragen aufzuspielen, und es ist höchste Zeit, daß endlich den schmcrzbewegten Rufen aus den Reihen des Volkes Rechnung getragen und eine Änderung des bestehenden Impfzwangs durchgeführt wird. (Bravo! in der Mitte.) Vizepräsident Dr. Spahn (Bonn): Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Pfeiffer.1 (i) vr. Pfeiffer, Abgeordneter: Meine Herren, in dieser Jmpfdebatte ergreife ich notgedrungen zur Abwehr zum zweiten Male das Wort. ...

270 /317
... und haben es impfen lassen. Das Kind, was sie suchten, war abwesend. Es entspann sich ein Kampf zwischen uns und den Polizisten, wir kämpften Fuß an Fuß, den Polizisten rann der Schweiß über die Stirne. Wir wurden gestoßen, geschlagen; mir wurden die Kleider am Leibe zerrissen. Meine Frau bekam einen besonderen Stoß in die Brust; da ein Polizist mich schlug, sprang meine Frau dazwischen und rief: Sie brauchen meinen Mann nicht zu schlagen! Sie hat sich mit Schmerzen lange dadurch herumgetragen; am 7. September 1910 ist sie mir in der Blüte ihres Lebens im Alter von 31 Jahren gestorben (hört! hört!) ...

271 /317
... Es gibt eine ganze Anzahl Staatsbürger, sogar Beamte, die im freiwillig gesuchten Ruhestand leben in der Schweiz, und zwar bloß deshalb dort, um ihre Kinder nicht impfen lassen zu müssen. Es ist doch sehr traurig, wenn man sich mit kühler Stirn hier hinstellt und über das Wohl und Wehe so vieler Familien einfach zur Tagesordnung übergeht, weil man seine Anschauung über das, was einmal in einer schwachen Stunde Gesetz geworden ist, nicht einer Revision unterziehen will. Da muß man doch hier einmal deutlich zum Ausdruck bringen, was wir verlangen. Wir können fordern, daß von seiten der Regierung uns hier nicht ein starres Nein entgegengesetzt wird, sondern daß man einer milderen Auffassung zugänglich ist. Mit dieser Gesinnung der Verbündeten Regierungen und des Medizinalkollegiums, und wie die Herren heißen mögen, die, getragen von dem Standpunkte ihrer Autorität, dort herrschen, muß früher oder später gebrochen werden. (Bravo! in der Mitte.) Man muß doch von dem Grundsatz ausgehen, daß die Gesundheit und die nationale Wohlfahrt an höchster und erster Stelle stehen müssen; man muß sich dort von dem Gedanken beherrschen lassen, daß man kein Recht hat, mit unerlaubten Gewaltmitteln vorzugehen, um so weniger L) das Recht hat, als die Auffassungen der Gerichte, die dazu bestimmt sind, das Recht auszulegen, sehr weit auseinandergehen. Es ist ein Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf am 1. Dezember 1906 ergangen. In der Begründung dieses Urteils steht: § 14 Abs. 2 schafft ein wesentliches Unterlassnngsdelikt. Da die Kinderimpfungen nur einmal vorgenommen werden, kann sie begrifflich auch nur einmal unterlassen werden. ... ...
... Dort hat ein Herr Wilhelm Ludowici Jahre hindurch seine Kinder nicht impfen lassen, aus bestimmten Gründen, weil ein Bruder von ihm an der Impfung zu Grunde gegangen ist. Wiederholt ist der Herr bestraft worden: er hat Geldstrafen im Betrage von 655 Mark entrichten müssen. Er ist auch weiterhin zu einer Haftstrafe von zwei Tagen verurteilt worden, die ihm auf dem Gnadenwege erlassen worden ist. Es ist aber von seiten des Obersten Landesgerichts München am 2. September 1905 im Gegensatz zu dem Oberlandesgericht Düsseldorf konstatiert worden, daß bei der Bestrafung wegen Übertretung des Jmpfgesetzes die Revision unzulässig sei und verworfen werden müsse, in der Erwägung, daß von dem Beschwerdeführer zur Begründung der Revision gellend gemacht wird, ... die Verurteilung verstoße daher gegen den Grundsatz: »« bis in icksin. Es ist also auf der einen Seite konstatiert, daß der Grundsatz: ns bis in icksiu, nicht gelte; auf der anderen Seite ist konstatiert, es sei nur ein fortgesetztes Vergehen vorliegend, (6) also nur eine einmalige Bestrafung möglich. (Hört! hört!) Ich habe diese Ausführungen vorgetragen mit Rücksicht auf den Antrag Dr. Müller (Meiningen), der auch eine Prüfung des Rechtsgrundsatzes in seiner Resolution verlangt hat. Auch das Oberlandesgericht Hamm hat erklärt, daß mehrfache Bestrafung zulässig sei, im September 1908. Dann hat der Ferienstrafsenat erklärt, daß nur eine Strafe zulässig sei. Dann weiter ist in Dortmund eine mehrfache Verurteilung und Bestrafung zu konstatieren. ...

272 /317
... Ich will mich nicht ins Detail verlieren, weise aber auch darauf hin, daß Herr Geheimrat Kirchner neulich über unzweckmäßige und sogar gefährliche Manipulationen, die den Eltern unmittelbar nach dem Impfen empfohlen wurden, wichtige Angaben machte. Zu den Mißständen gehörte es, wenn ein Jmpfarzt zu viel Impflinge hat, wenn die Mütter mit den Kindern zu weite Wege zu machen haben, wenn die Impfung in eine ungünstige Jahreszeit verlegt ist und anderes mehr. Das dadurch auch Schädigungen entstehen können, ist ganz klar. Es wäre also zu wünschen, daß in dieser Beziehung große Aufmerksamkeit geübt und im Anschlüsse an die Erfahrungen, die man sammelt oder schon gesammelt hat, bald geeignete Abhilfe geschaffen werde. Ich schließe mich ganz den Herrn Vorrednern an bezüglich der bestehenden rechtlichen Unklarheiten. Auch diese — das ist ganz klar — müssen beseitigt werden, damit (6) Ruhe im Volke eintritt, damit nicht immer neue Schwierigkeiten auch von dieser nicht zur eigentlichen Jmpffrage gehörigen Seite entstehen. Nun folgendes. Es ist davon die Rede gewesen, daß der Vertreter der Negierung von „verbrecherischem Treiben gewisser Jmpfgegner gesprochen hat. Soweit ich mich erinnere — ich kann mich irren —, bezog sich das nur auf gewisse Manipulationen, die unmittelbar nach der Impfung vorzunehmen die Eltern von den Jmpfgegnern aufgefordert wurden, Manipulationen, die doch nur heimlich an der wunden Impfstelle ausgeführt werden können, und welche, mit schmutzigen Fingern oder Tüchern bewerkstelligt, natürlich eine Gefahr bilden. Im übrigen wird sich wahrscheinlich der Herr Vertreter der Negierung selber dazu äußern können. ...
... Zunächst wird behauptet, das Impfen hülfe nicht. Dem steht die offizielle Medizin entgegen. Wenn wir hier Naturheilkundige, die wir durchaus nicht verachten, in scheinbar großer Zahl gegen die zünftige Medizin auftreten sehen, so dürfen wir nicht vergessen, daß die zünftige Medizin im Deutschen Reiche aus etwa 30 000 Ärzten, glaube ich, dargestellt wird, die doch alle im Durchschnitt denselben gesunden Menschenverstand haben, wie Angehörigen anderen Berufe, die dieselbe Gewissenhaftigkeit haben, dieselbe.Logik und ein durch Studium und natürliche Begabung geschärftes Auge für Beobachtung von Menschen und Naturgesetzen. Diese stehen nun geschlossen vor Ihnen, stehen geschlossen auf der Seite der Impfung und darunter alle Universitäten, alle höheren Grade von Ärzten usw. Das ist kein absolutes Argument. Im einzelnen kann auch die zünftige Medizin einmal wertvolle Erfahrungen zu spät anerkennen — das kann passieren —, ferner auch einmal vielleicht Behandlungsarten und Methoden etwas zu spät verlassen. Aber der (v) Streit um unsere Frage geht ja schon jahrzehntelang und spielt sich in allen Kulturländern ab, und nach dem Gesetz der großen Zahl darf man doch sagen, daß das geschlossene Auftreten sozialer Fachleute für die Beibehaltung der Impfung in fast allen Kulturstaaten den Jmpfgegnern und uns doch mindestens zu denken gibt, besonders wenn mau einen Blick auf die geradezu verhängnisvolle Statistik jener Länder wirst, in denen der Impfzwang nicht existiert. (Sehr richtig!) Nun kommt man häufig mit England. Vergessen Sie eines nicht. ...

273 /317
... Die ärmere Bevölkerung in den Vorstädten und auf dem Lande, wo das Impfen oft weniger glatt und bequem abgehtz als wenn im Ttergartenviertel der Herr Sanitätsrat sich in einen Salon bemüht, um den Liebling zu impfen. Die ärmere Bevölkerung wird diejenige sein, bei der eine gewaltige Kindersterblichkeit die Folge der Gewissensklausel sein wird. Deswegen dürfen wir hier den Standpunkt der persönlichen Freiheit der Entschließung doch nicht ohne weiteres über alle übrigen Erwägungen stellen. Aus diesen Gründen bin ich persönlich gegen die Einführung (o) der Gewissensklausel. Nun sagt man, die Impfung schade. Ganz sicher kann sie das gelegentlich. Ich habe nicht die Ehre, hier als Mediziner sprechen zu können. Ich kann nur sagen, cs gibt auf der Welt Schattenseiten überall. „Ärzten ist gefährlich. Auch die Mutter von Kindern sein, ist mitunter für diese gefährlich, und Vater sein ebenso, (große Heiterkeit) Lehrer sein, ist gefährlich und höchst verantwortlich, auch beim Militär Vorgesetzter sein, ist gefährlich; es kann eben überall einmal etwas Unglückliches und Unerwünschtes passieren. Also „Ärzten ist gefährlich, und cs ist klar, daß es allerhand llbelstände auch beim Impfen gegeben hat, die sich nachweisen lassen. Nun noch ein Wort über die Photographien, die hier verteilt wurden. Vielen sah man cs an, daß sie retouchiert waren; vielen muß man es nachsagen, daß sie Momente eines schließlich ganz normalen Verlaufes darstellen, in dem vielleicht acht Tage später die ganzen heftigen Erscheinungen sehr harmlos geworden sind. ...
... Es gibt ja nach dem Impfen bei gewissen Kindern große Schwellungen, die nach acht Tagen auf Nimmerwiedersehen verschwunden sind. Wenn dann ein Impfling das Unglück hat, in einer Familie zu leben, wo z. B. eine ansteckende Hautkrankheit herrscht, wie z. B. die Rose und anderes, und er bringt mit den Fingern den Anstcckungsstoff an die Impfstelle, so kann es freilich ebenso bei der Impfung zu Grunde gehen xost lloc, und proper do«, — wie ein Kind, daß sich beim Turnen einen Holzsplitter unter den Fingernagel getrieben und daun am Starrkrampf stirbt. Zum Schlüsse noch der Hinweis, daß die Pocken noch viel mehr schaden als die Impfung. Zahllose selbständige unterrichtete Leute, die mit Pockenkranken in Berührung kommen und für sich selbst zu sorgen haben Mittwoch den 3. Mai 1911. und ihr Gewissen konsultieren, wie Krankenpflegerinnen, (oi Arzte, Missionare, lassen sich impfen, wenn sie die freie Wahl haben. Und dies nicht nur gegen die Pocken, sondern auch gegen andere Krankheiten, obwohl gegenmanchedie betreffende Impfung nicht so günstig wirkt wie gerade bei den Pocken. Das ist auch ein Argument, auf das man hinweisen muß, und das als regelmäßige Erscheinung einen jeden von uns mindestens zweifelhaft machen kann, ob eine agitatorische Bekämpfung des Jmpfens eine Berechtigung hat. Uns sind heutzutage die eigentlichen Schrecken der Pocken unbekannt, und ich würde auch niemanden raten, sich dieselben ungeimpfterweise irgendwo anzusehen, — mit der einzigen Ausnahme, die ich mir vorhin erlaubt habe, vorzuschlagen. ...

274 /317
... Da Frau Döhler es noch nicht impfen lassen wollte, so wurde ihr angezeigt, daß sie in Strafe verfalle. Darauf brachte sie ihr gesundes Kind zur Impfung. Zwei Tage danach erkrankte dasselbe, dH1 magerte in wenigen Tagen bis auf Haut und Knochen ab und mußte am fünften oder sechsten Tage nach unsäglichen Schmerzen sterben. Was ergab die amtliche Erhebung? Die Eltern hatten gegen die Impfung keinen Widerspruch erhoben, das Kind war nach Aussage der Eltern niemals krank gewesen und lebte damals noch in voller Gesundheit. (Heiterkeit.) Ja, meine Herren, da hört doch die Gemütlichkeit auf! Wenn derartiges verbreitet wird, wem soll man da noch glauben! Wir bekommen regelmäßig den „Jmpfgegner zugeschickt, wir geben uns die größte Mühe, die Behörden in Bewegung zu setzen, damit sie jeden darin mitgeteilten Fall einer Jmpfschädigung aufklären, und wenn das Ergebnis so beschämend ist, muß man da nicht den Glauben an die Wahrhaftigkeit der Menschheit verlieren? Die große Menge des Publikums und die armen Mütter aber, die das alles für bare Münze nehmen, werden aufs tiefste beunruhigt und mit Angst und Schrecken von der Impfung erfüllt, die doch in Wahrheit eine harmlose Sache ist. Und nun Herr Wegener in Frankfurt. Herr Wegener ist einer von denen, die den Rat gegeben haben, mich meines Amtes zu entsetzen. Herr Wegener hat auch behauptet, daß Herr Regierungsassessor v. Bitter gesagt habe, die Polizei werde die Eltern, die ihre Kinder nicht impfen lassen wollten, in Ketten legen lassen. Nun, wir haben uns sehr genau erkundigt, Herr v. ...

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... Unser deutsches Volk ist nicht entnervt, obwohl wir nun schon seit sehr langer Zeit impfen, und es wird dadurch auch in Zukunft nicht entnervt werden. Und glauben Sie nicht, daß die Impfung so viele oder so erhebliche Schäden nach sich zieht, wie von impfgegnerischer Seite behauptet wird! Eins aber kann man sagen: die verbündeten Regierungen sind unausgesetzt auf das eifrigste bemüht, sowohl die Lymphe als die Ausstattung der Lymphanstalten sowie das Jmpfgeschäft und die Ausbildung der Arzte fortwährend zu prüfen, ob sie auch allen Anforderungen entsprechen, und sie immerzu zu verbessern, soweit dies nach menschlichen Kräften nur irgend möglich ist. Es ist ja kein Ding auf der Welt vollkommen, auch die Schutzimpfung nicht. Wenn Sie aber deswegen, weil eine kleine Anzahl von Personen ohne Schuld der Lymphe und der Jmpfärzte im Anschluß an die Impfung erkrankt, die ganze Schutzpockenimpfung und das Jmpfgesetz beseitigen, unser deutsches Volk des enormen Schutzes, den es dadurch gegen die Pocken genießt, berauben und es dadurch ermöglichen wollen, daß damit die Zeit, in der wir große Pockenepidemien hatten, wieder zurückkehrt, so wäre dies im Interesse der Volksgesundheit auf das tiefste zu beklagen. Noch eins! Es ist behauptet worden, daß unter den Jmpfgegnern auch so viele Arzte sind. Es existiert allerdings ein Verein iwpfgegnerischer Arzte, an dessen Spitze Herr Bilfinger steht. Ihm gehören aber, soweit ich weiß, kaum 200 Arzte an, während es in Deutschland über 31 000 Arzte gibt. ...

276 /317
... Aus diesem Grunde verwerfe ich alle die Anträge, die darauf abzielen, wegen des Gewissenszwanges jemandem zu gestatten, sein Kind nicht impfen zu lasten. Die Herren sagen immer: ja, warum denn eigentlich? wenn einer Freude an der Impfung hat, so soll er sich impfen lassen; es passiert ihm ja dann gar nichts, wenn andere Kinder nicht geimpft werden; denn er, der geimpft ist, kann ja nicht angesteckt werden! Ich glaube, daß in dieser Argumentation doch ein übersehen der staatlichen Pflichten liegt. Gewiß, wir Jmpffreunde sind bei einer Pockenepidemie ziemlich außer Gefahr; würde heute eine Pockenepidemie entstehen, so würde ich mich wahrscheinlich wieder impfen lasten, genau so, wie ich es vor einer Reihe von Jahren getan habe. Aber soll eigentlich ein Staat ruhig zusehen, wenn eine große Anzahl Kinder in Gefahr gebracht werden, an Pocken zu erkranken? Soll der Staat es erlauben, daß auf diese Weise ein kostbares Menschenmaterial geschädigt wird und möglicherweise verloren geht, daß auf diese Weise das edelste Vermögen, welches ein Staat überhaupt hat, vermindert wird? Das kann kein Staat tun! (Sehr richtig!) Aus diesem Grunde ist die Gewiffensklausel falsch. Nicht darauf kommt es an, daß durch ihre Einführung die Geimpften geringe Gefahr laufen; allein maßgebend für die Beurteilung ist das Staatsintereffe, und das Staatsintereffe verbietet die Einführung einer solchen Gewissens- «Ä klausel! Ein großer Teil meiner politischen Freunde wird mit mir gegen alle Anträge stimmen; ich habe die feste Überzeugung, daß es ein großes Unglück wäre, wenn wir auch nur einen kleinen Schritt den Jmpfgegnern entgegenkommen würden. ...






Verhandlungen des Reichstages. - Berlin, 1911
Bd.: 271. 1911
Signatur: 4 J.publ.g. 1142 y,A-271

ID: 00003338
277 /317
... Er konnte daher im Laufe des Monats März nur rund 1600 Personen impfen. Der betreffende Arzt hat nach Ablauf des Berichtsjahres im Mangu-Bezirk seine Jmpftätigkeit mit wechselndem Erfolge weitergeführt. Die Genickstarre, .welche seit mehreren Jahren während der Trockenzeit regelmäßig in den beiden Hinterlandbezirken Mangu-Jendi und Sokode-Bassari ausbrach und eine größere Anzahl von Opfern forderte, ist in diesem Jahre außerordentlich mild aufgetreten. Aus dem Bezirk Mangu-Jendi ist kein Fall von Genickstarre gemeldet worden. Im Bezirk Sokode-Bassari trat sie nur in der Landschaft Adjala auf, wo ihr ungefähr 10 Leute erlagen. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß die in der letzten Trockenzeit gefallenen höheren Regenmengen diese günstige Erscheinung zur Folge hatten. Drei tödlich endende Fälle von Genickstarre kamen bei den beim Bau der Bahn Lome—Atakpame beschäftigten Arbeitern vor, welche aus dem Hinterlands stammten. Besondere Aufmerksamkeit erfordert das im Bezirk Misahöhe und im Bezirk Kete-Kratschi festgestellte Vorkommen der Schlafkrankheit. Schon 1903 war bekannt geworden, daß in Tapa und in Buem Fälle von Schlafkrankheit aufgetreten waren. Nacheinander wurden damals zwei Regierungsärzte zur Untersuchung der Krankheit nach dem Seuchenherd entsandt. Die noch vorgefundenen Schlafkranken wurden isoliert, starben aber, da ein geeignetes Heilmittel damals noch nicht gefunden war. Man glaubte die Seuche als erloschen ansehen zu können. Soweit sich feststellen ließ, sind ihr 1896—1904 ungefähr 120 Leute erlegen. Später erneut aufgetauchte Gerüchte über Wiederauftreten der Krankheit haben sich nicht bestätigt. Wahrscheinlich wurde aber die Krankheit von den Eingeborenen absichtlich verheimlicht, vermutlich wegen der ihnen unsympathischen Isolierung der Kranken. ...






Verhandlungen des Reichstages. - Berlin, 1911
Bd.: 277. 1911
Signatur: 4 J.publ.g. 1142 y,A-277

ID: 00003344
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... Frühzeitig ging man sogar dazu über, und zwar zuerst in China, die Kinder durch Einreibung mit Pockeneiter zu impfen, ein Verfahren, das in Hindostan weiter ausgebaut und zu Anfang des 18. Jahrhunderts nach Konstantinopel gebracht wurde. Hier lernte es die Gemahlin des damaligen englischen Gesandten kennen und brachte es nach London, von wo es sich im Laufe des 18. Jahrhunderts über ganz Europa verbreitete. Dieses Verfahren, die sogenannte Inokulation, hatte in einer großen Reihe von Fällen den gewünschten Erfolg. Die Inokulierten erkrankten an richtigen Pocken, die jedoch in der Regel nach verhältnismäßig schwerem Verlauf in Genesung endeten und die so behandelten Personen vor einer abermaligen Erkrankung schützten. Allein in keineswegs allen Fällen war der Verlauf so günstig, vielmehr wurden schon frühzeitig nach der Inokulation sehr schwere Erkrankungen und selbst Todesfälle beobachtet, die sich zuweilen auf 2 bis 3 Prozent der Inokulierten beliefen. Auch fanden Übertragungen der Pocken von Inokulierten auf gesunde Personen und Verschleppungen der Pocken auf weite Entfernungen hin statt, so daß man sich sehr bald dazu entschließen mußte, das Verfahren der Inokulation gesetzlich zu verbieten. Zu einem erfolgreicheren Verfahren der Schutzpockenimpfung führte die Beobachtung, daß die Pocken nicht nur bei Menschen, sondern auch bei gewissen Haustieren vorkommen. Dies ist bei den Schafen, Ziegen, Pferden und Rindern der Fall. Aber nur die Kuhpocke hat eine gewisse Verwandtschaft mit den menschlichen Pocken, und eine Übertragung des Kuhpockengiftes auf den Menschen erzeugt bei diesem eine leichte rein örtlich bleibende Erkrankung, welche ihn vor Erkrankung an den menschlichen Blattern schützt. ...

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... Früher wurde die Impfung in der Weise ausgeführt, daß an jedem Orte, in jeder Jmpfkampagne zuerst immer nur wenige Kinder geimpft und aus deren Impfpusteln Lymphproben entnommen wurden, um damit die übrigen Kinder zu impfen. Diese Impfung von Arm zu Arm erregte vielfach Anstoß. Bei der Anwendung dieser humanisierten oder Menschenlymphe zog sich das Jmpfgeschäft sehr lange hin, es war für die Kinder, von denen Lymphe abgenommen wurde, unbequem. Auch wurde behauptet, daß, wenn die Lymphe von nicht gesunden Kindern stammte, die Übertragung von schweren Krankheiten, namentlich von Syphilis und Tuberkulose, möglich wäre. Daß dies bezüglich der Tuberkulose der Fall wäre, hat freilich nicht bewiesen werden können. Syphilis ist allerdings durch die Impfung mit humanisierter Lymphe übertragen worden, wenn auch in einer verschwindend kleinen Anzahl von Fällen. Bis zum Jahre 1880 betrug die Zahl der mit Syphilis durch die Impfung infizierten Personen in allen Kulturstaaten Europas zusammen 750 und in Deutschland seit Einführung des Jmpfgesetzes bis 1900 insgesamt 19. Berücksichtigt man, daß jährlich allein in Deutschland über eine MillionJmPfungen stattfinden, so müssen jeneZahlen als verschwindend gering bezeichnet werden und können um so weniger ins Gewicht fallen, als sämtliche Erkrankungen in Genesung geendigt haben. Trotzdem sind sämtliche Staaten Deutschlands zur Ausschaltung der humanisierten Lymphe und zur ausschließlichen Impfung mit Kuhpockenlymphe übergegangen. ...

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... Der Impfschutz, dessen sich Deutschland erfreut, würde bald genug aufhören, wenn auch nur ein Bruchteil der Bevölkerung von der Befugnis, seine Kinder nicht impfen lassen zu müssen, Gebrauch machte. Dann würde die Zahl der für die Pocken empfänglichen Personen wieder von Jahr zu Jahr zunehmen, und an Stoff für eine Pockenepidemie würde es nicht fehlen. Ich kann daher die hohe Kommission nicht dringend genug bitten, über die Petitionen der Impfzwanggegner zur Tagesordnung übergehen zu wollen. Der Kommissar des Kaiserlichen Gesundheitsamts, Regierungsrat vr. Breger, erklärte darauf: „Die zur Beratung vorliegenden impfgegnerischen Petitionen wiederholen im allgemeinen dieselben Einwände gegen das Jmpfgesetz vom 8. April 1874, die schon in früheren Jahren in dieser Kommission Gegenstand der Erörterung waren. Nur in einem Punkte hat sich eine Schwenkung vollzogen, nämlich insofern, als diesmal die Angriffe weniger die völlige Aufhebung des Jmpfgesetzes bezwecken, vielmehr die Einführung der englischen Gewissensklausel beantragt wird. Diese in England im Jahre 1898 eingeführte gesetzliche Bestimmung) besagt, daß Eltern oder Pfleger eines Kindes wegen Jmpfverweigerung nicht strafbar sind, wenn sie innerhalb der ersten vier Monate nach dessen Geburt vor der zuständigen Behörde die Erklärung abgeben, daß sie nach ihrem Glauben und Gewissen die Befürchtung hegen, die Impfung könnte der Gesundheit des Kindes nachteilig sein, und wenn sie innerhalb der nächsten sieben Tage eine behördliche Bescheinigung dieser Gewissensbedenken dem zuständigen Jmpfarzte einreichen. Da es jedermann freisteht, eine Erklärung der gedachten Art abzugeben, so bedeutet die Einführung einer solchen Gewissensklausel tatsächlich die Abschaffung des Impfzwanges. ...


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