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Verhandlungen des Reichstages. - Berlin, 1874
Bd.: 31. 1874
Signatur: 4 J.publ.g. 1142 yb,A-31

ID: 00018367
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... Zch will blos beispielsweise auf den Krieg hinweisen, den die Blutabzapfer mit ihren Antagonisten jahrelang geführt haben; wenn schon die Aerzte unter sich sich nicht einigen, so könnten sehr große Mißverhältnisse entstehen; die gegenwärtige Debatte über das Impfen weist schon auf solche Gefahr hin; denn jedenfalls war es ein Irrthum, wenn zuvor gesagt worden ist, die ärztlichen Autoritäten ständen allesammt auf der Seite derjenigen, welche die Impfung oder gar die doppelte Impfung erzwingen wollen. §6! (Abgeordneter Dr. Zinn:1 6!) (Heiterkeit.) Zch glaube, daß ich bei dem tz 6 bin, nämlich bei dem Amendement, welches zu dem § 6 gestellt ist, wovon die Herren, die eben laut wurden, wahrscheinlich keine Notiz genommen haben. Zch bin also im Allgemeinen für die Badeanstalten. Sollte ein Reichs-Gesundheitsamt wirklich errichtet werden, so würde dies der unschädlichste Gegenstand, vielleicht der nützlichste sein, mit welchem dieses Amt sich beschäftigen könnte. Darum möchte ich den Herren denn auch den Vorschlag machen, einstweilen von ihrem Amendement abzustehen und dasselbe etwa später dem Reichs-Gesundheitsamt zu unterbreiten. Vor der Hand, glaube ich, könnte für die öffentliche Gesundheitspflege schon in noch wirksamerer Weise durch die bloße Polizeiintervention gewirkt werden, wenn man z. B. gegen das immer mehr um sich greifende Miethskasernenthum mit Kellerwohnungen einschritte, wenn die Polizei es verböte, daß solche Kellerwohnungen fast unter allen Häusern, wie solches hier in Berlin der Fall ist, angebracht werden. Zch glaube, nach dieser Seite hin auf dem Gebiete der Wohnungsfrage würde den ärmeren Klassen noch wirksamer geholfen werden können, als durch die Errichtung von Badeanstalten. ...

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... Es hat sich aber nicht als günstig herausgestellt, unmittelbar von der Kuh, wenn sie an den Pocken erkrankt ist, weiter zu impfen. Es hat sich vielmehr am vortheilhaftesten gezeigt, daß man die Kühe impft von den Menschenpocken selbst, d. h. von den Kuhpocken eines Menschen, so daß man also auf diese Weise die Pocken auch bei den Kühen willkürlich hervorrufen und von dieser so hervorgerufenen Pocke dann den Impfstoff abnehmen kann. Diese Methode bietet mehrere große Vortheile. Zuerst hat man den großen Vortheil, daß man mit äußeren Einrichtungen eine angemessene Quantität von sicherem, gutem, durchaus unverdächtigen Impfstoff erzeugen kann, der den weiteren Vortheil darbietet, daß man bei der Weiterimpfung nicht ausschließlich auf das Abimpfen vom Arm angewiesen ist, weil man in größeren Quantitäten den Impfstoff haben kann, Verhandlungen des Deutschen Reichstages. und hat drittens den Vortheil, daß diese Retrovaccine, wie sie genannt wird, den Schutz sehr gut bewirkt und daß die Reizungen, welche an der Impfstelle zuweilen entstehen, wenn unmittelbar mit der Kuhlymphe geimpft wird, nicht erzeugt werden, weil dieser neue Stoff dem menschlichen Körper augenscheinlich dadurch verwandter geworden ist, daß er vom Menschen genommen und auf die Kuh übertragen wurde. Wir sind nun der Meinung, daß die Landesregierungen solche und ähnliche Anstalten neben den eigentlichen großen Impfstellen entweder allein oder in Verbindung mit ihnen einrichten sollen, und glauben, daß, wenn das Reich ein solches Gesetz giebt, das Reich auch wenigstens die Bestimmung zu treffen hat, in welcher Anzahl solche Anstalten da sein müssen. ...

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... Nach meinen Erfahrungen, die ich früher als Verwaltungsbeamter gemacht habe, habe ich gefunden, daß es noch in Deutschland zur Zeit, namentlich in denjenigen Ländern, wo der Impfzwang besteht und gut geordnet ist, so vielfach an guter Lymphe fehlt, daß daran ein sehr großer Mangel besteht; und hat der Staat, wenn er den Bürgern die Verpflichtung aüferlegt, sich impfen zu lassen, seinerseits auch die Verpflichtung, die Möglichkeit, daß das in vollkommen sicherer und genügender Weise geschehe, zu gewähren. (Zustimmung.) Zch glaube daher, dieser Paragraph ist eine unbedingte Nothwendigkeit, durch das bisher bereits vorhandene Bedürfniß als nothwendig bewiesen und in Zukunft bei dem ausgedehnten Impfzwangs noch viel nothwendiger, als bisher. Zch kann daher den Antrag selbst nur dringend empfehlen und möchte nur, daß die Herren von der freien Kommission sich ...

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... Zch habe erst in diesen Tagen einen Brief von einem Kollegen, von einem amtlichen Arzt, von einem Physikus erhalten, der mir mittheilt, daß in seinem Kreise — der Kreis ist hier ganz in der Nähe — ein Arzt sich der Neigung hingegeben hatte, mit diesen in ärztlichen Kreisen sehr außerordentlichen Meinungen sich im Publikum zu bewegen und gegen das Impfen zu agitiren. Als aber im letzten Zahre die Krankheit in seinem H.eimatsorte selbst ausbrach, hat er sich denn doch entschlossen — oder vielleicht auch nur seine Frau —, sämmtliche Kinder vacciniren und revacciniren zu lassen, der größeren Sicherheit wegen. Meine Herren, diese Erfahrung war für uns immerhin bestimmend genug, um zu wünschen, daß die betreffenden Individuen dem Jmpfarzt vorgeführt werden, und selbst zu wünschen, daß bei diesen Vorführungen, wenn es nothwendig erscheint, auch ein Zwang angewandt werden kann, wie bei anderen Gelegenheiten, bei Zeugenaussagen u. s. w. Wir waren der Meinung, daß bei sehr vielen von denjenigen, die renitent gewesen sind, die freundliche und ernste Zusprache des Zmpfarztes, bei dem ja an sich nicht vorauszusetzen ist, daß er ein Geschäft machen will, genügen wird, um diesen Widerstand zu brechen. Daß von einer zwangsweisen Impfung nach unserer Meinung nicht die Rede war, habe ich schon erklärt. Nun gestehe ich zu, daß unser Amendement hier nicht ganz glücklich gefaßt ist, weil immerhin darin noch der Gedanke gefunden werden könnte, daß eine zwangsweise Impfung stattfinden solle. ...

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... Es kommt ja häufig auch jetzt schon vor, daß, wenn Pockenepidemien ausbrechen, die Leute aus natürlicher Angst sich impfen lassen. Da ist nun, wie ich gehört und zum Theil selbst erlebt habe, häufig der Fall vorgekommen, daß solche Personen unmittelbar, nachdem sie geimpft waren, oder rasch nachher, die Pocken im heftigsten Grade bekamen unter ganz bedenklichen Erscheinungen und auch häufig daran starben. Diese Erscheinung wurde damals von vielen Seiten so erklärt, daß gesagt wurde: ja, diese Leute sind schon angesteckt gewesen, als sie geimpft wurden. Wenn ein bereits Angesteckter — und das kann er selbst nicht wissen — im Anfange geimpft wird, so wird die Krankheit viel gefährlicher und kann leicht tödtlich werden. Wenn aber eins Epidemie bereits ausgebrochen ist, dann ist Zeder, der sich impfen läßt, dieser Gefahr ausgesetzt, und es scheint mir sehr bedenklich, einen Menschen zu dergleichen Zwingen zu wollen. Wenn man die Epidemien vorhersehen und einen solchen Impfzwang vor dem Ausbruch derselben anordnen könnte, so könnte man sich vielleicht eher von dem Gesichtspunkte der Gefährlichkeit aus mit einer solchen Maßregel versöhnen; aber hier soll ja erst eine solche Anordnung überhaupt gestattet sein, wenn die Epidemie bereits in vollem Gange ist, und dann weiß Keiner, wenn er zum Zmpfarzt geht, ob er nicht schon angesteckt ist. Zch halte das also auch für eine sehr bedenkliche und mißliche Maßregel an und für sich, und ich kenne viele Personen, die aus diesem Grunde bei der in meiner Vaterstadt vor einiger Zeit herrschenden Epidemie sich nicht impfen lassen wollten. ...
... Soll man nun auf die Gefahr hin, daß hier und da bei einzelnen Erwachsenen, die sich nicht impfen lassen wollen, die Vorurtheile dagegen haben, einer angesteckt wird und vielleicht auch stirbt, eine Gesetzesbestimmung einführen, welche für viele Menschen etwas äußerst Verletzendes hat und die Mißstimmung, welche schon in vielen Kreisen gegen manche Einrichtung des Reiches herrscht, noch vermehren würde? Soll man zu den feindlichen Parteien, die wir leider schon gegen unsere Institutionen im Reiche haben, zu der klerikalen, zu der socialen Partei, uns noch eine Pockenopposition schaffen? Das, meine Herren, scheint mir doch zu weit zu gehen. Sodann scheint mir auch darin eine Härte zu liegen, daß bei dem in tz 14 vorgesehenen Falle ohne Unterschied Zeder geimpft werden soll. Wenn nun vorsorgliche Leute drei oder sechs Monate vor Ausbruch einer Epidemie sich haben impfen lassen, weil vielleicht an anderen Orten die Pocken aufgetreten waren, so sollen nun diese Leute sich nochmals impfen lassen, wenn auch an ihrem Wohnorte eine Epidemie ausbricht! Auch hierin hätten Milderungen eingeführt werden können ; aber ich enthalte mich, Amendements zu stellen, weil ich den ganzen Paragraphen für verwerflich erachte, und ich glaube, daß das Schicksal des ganzen Gesetzes leicht von der Annahme oder Ablehnung dieses Paragraphen abhängen könnte. So viel wenigstens glaube ich, daß Mancher, der sich wenn auch mit schwerem Herzen für die zwangsweise Impfung der Minderjährigen entschieden hat, sich schwerlich mit dem tz 14 einverstanden erklären wird. Präsident: Zur Geschäftsordnung ertheile ich das Wort dem Herrn Abgeordneten Reimer. ...

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... große Mehrzahl kann durch das Impfen gleich beim Beginn der Epidemie vollkommen geschützt werden. Dann wollen wir ja durch unser gegenwärtiges Gesetz dafür sorgen, daß die Massenimpfungen während einer Epidemie nicht mehr in der bisherigen unvollständigen und sorglosen Weise vorgenommen werden. Faktisch besteht in manchen Ländern dieser Zwang während des Herrschens von Blatternepidemien, und die Zahl derjenigen, die sich weigern, sich wieder impfen zu lassen während einer Epidemie, ist sehr klein. Ich kann Ihnen anführen, daß z. B. in Stuttgart zur Zeit der Blatternepidemie grade die Zmpfgegner sich massenweise bei dem Impfarzt gestellt haben, um sich revacciniren zu lassen-Ich empfehle Ihnen diesen Paragraphen mit dem Amendement des Herrn Abgeordneten Lasker dringend zur Annahme. Dieser Paragraph ist eine nothwendige Konsequenz des tz 1, und Sie würden in der That durch seine Ablehnung die Wirkung des Gesetzes wesentlich schwächen; Sie würden eine Halbheit schaffen. Präsident: Der Herr Abgeordnete Dr. Reichensperger (Crefeld) hat das Wort. Abgeordneter Dr. Reichensperger (Crefeld): Meine Herren, der gegenwärtige Paragraph scheint mir so recht zu zeigen, daß die Herren Mediciner, welche für den Impfzwang eingenommen sind, einen sehr schwankenden Boden unter den Füßen haben, — ja, daß sie es selbst zugestehen müssen, was die Hauptsache ist. Der Paragraph setzt voraus, daß Vaccination und Revaccination stattgefunden hat; nichtsdestoweniger aber kommt er zu der weiteren Annahme, daß trotz alles Wiederimpfens doch die Blatternkrankheit eintreten kann, weshalb denn neuerdings geimpft und zwangsweise geimpft werden muß. ...
... Wenn ich deutsch verstehe, so steht doch ganz einfach hier, daß, sobald eine Blatternkrankheit sich offenbart, alle früheren Impfungen unbeachtet gelassen werden können, daß die Behörde berechtigt ist, abermals impfen zu lassen, und zwar zwangsweise. Das kann doch keinem Zweifel unterliegen. Ebensowenig kann es meines Erachtens einem Zweifel unterliegen, daß die Herren, welche diesen Satz befürworten, ihrerseits von der Ansicht ausgehen, daß alles Impfen und Wiederimpfen am Ende doch nur einen sehr problematischen Erfolg hat. Das ist es, was ich behauptet habe, trotz alles Kopfschüttelns auf jener Seite. Ich muß jetzt absehen von dem Rückschlüsse, zu welchem der gegenwärtige Paragraph auf den tz 1 berechtigt; er zeigt, wie gesagt, einfach, daß der tz 1 auf einem sehr unsichern Boden ruht. Ich frage dann aber weiter, was soll soll hier der Satz heißen: „ein Theil derselben kann zur Revaccination verurteilt werden? Welcher Theil derselben? Bleibt es der Behörde überlassen, zusagen, blos die Dienstmädchen, blos die Arbeiter, blos die Leute in den niedrigsten Klassen der Einkommensteuer, blos die Verheiratheten oder die Unverheirateten sollen geimpft werden? Man muß doch, wie mir scheint, etwas Bestimmtes dabei denken können, wenn ein Gesetzesparagraph einen Ausdruck gebraucht; ich meinestheils bin aber vollkommen außer Stande, mit dem Ausdrucke: „ein Theil derselben eine bestimmte Vorstellung zu verbinden. Welcher Willkür, meine Herren, eröffnen Sie durch solche Sätze Thür und Thor! (Sehr richtig!) ...

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... 259 sich auch leichter in angemessener Art von einem Arzte, der ihr Vertrauen besitzt, impfen lassen. Zn der Mehrzahl der Fälle wird daher zweifelsohne die Gesängnißstrafe eintreten. Aber, meine Herren, wenn zuvor der Herr Abgeordnete Löwe darauf hingewiesen hat, daß wir für solche, die nicht Zeugniß abgeben wollen, schon Gefängnißstrafe haben, so weise ich meinerseits darauf hin, daß nach der Ansicht gar Vieler dieses schon ein Mißbrauch ist, daß es eine Art Folter ist, die man anwendet, die Folter des 19. Jahrhunderts, daß überhaupt darüber noch große Meinungsverschiedenheit herrscht, ob derartige Zwangsmittel, daß man Leute, die glauben, ein Zeugniß nicht ablegen zu können oder zu sollen, in das Gefängniß aus unbestimmte Zeit einsperrt, mit den allgemeinen strafrechtlichen Prinzipien und den kriminalistischen Anschauungen der Gegenwart sich vertragen. Nun aber auch noch diejenigen einsperren zu wollen, welche die Ueberzeugung hegen, daß ihnen das Impfen schade oder doch jedenfalls nichts nutze, das scheint mir noch unendlich weiter gegangen zu sein, als in dem Falle, von welchem ich eben geredet habe. Meine Herren, ich will schließen, ich habe schon so viel über die Sache gesprochen und möchte nicht länger Ihre Geduld in Anspruch nehmen. Zch glaube, daß Sie sehr gut daran thun werden, wenn Sie den Paragraphen — mit dem Laskerschen Amendement oder ohne dasselbe — einfach ablehnen. Wenn der Paragraph fällt, so mag allerdings die Wirkung des tz 1 bis zu einem gewissen Grade amortisirt sein; das gebe ich zu; aber es bleiben uns ja noch künftige Reichstage. ...
... Ich glaube, daß diejenigen, von denen in der vorigen Sitzung durch den Herrn Abgeordneten Reimer verlangt wurde, sie müßten sich nach Erlaß dieses Gesetzes dann zuerst selbst impfen respektive revacciniren lassen, schon heute in der Lage wären, den Impf- und Revaccinationsfchein vorzulegen. Die Schilderung, die der Herr Abgeordnete von Crefeld gemacht hat in Bezug auf die Schwierigkeit der Technik des Jmpfens, kann eigentlich doch nur bei denen, die noch nie gesehen haben, wie überhaupt geimpft wird, ein kleines Gruseln Hervorrufen; diejenigen aber, die das Verfahren kennen, werden seine Ausführungen nur als eine unmotivirte Uebertreibung betrachten. Ich schließe mich dem Herrn Abgeordnetm Löwe an und empfehle Ihnen die Annahme des Paragraphen mit dem Amendement Lasker. Lassen Sie sich nicht, nachdem Sie sich im Prinzip mit dem Gesetz einverstanden erklärt haben, nachträglich durch solche Einreden, wie die vorhin vorgetragenen, zu einer sehr üblen Inkonsequenz bewegen. . Präsident: Der Herr Abgeordnete Dr. Lasker hat das Wort. ...

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... Zch bitte mir nicht die Beschuldigung zur Last zu legen, die so mißverstanden werden könnte, als ob von der liberalen Partei der Arbeiter ins Gefängniß geschleppt würde, weil er sich nicht impfen lassen will. Präsident: Der Herr Abgeordnete Dr. Reichensperger (Crefeld) hat das Wort. Abgeordneter Dr. Reichensperger (Crefeld): Der Herr Abgeordnete Lasker hat sich auf die Sachverständigen, welche wir das Vergnügen haben in unserer Mitte zu sehen, berufen, und er beruhigt sich vollkommen dadurch, daß diese Herren Sachverständigen mit dem Inhalte des vorliegenden Paragraphen zufrieden sind. Zch freue mich mit ihm, daß wir diese Herren in unserer Mitte besitzen; aber was den Impfzwang betrifft, so ist es, glaube ich, ein bloßer Zufall, daß wir gerade Herren dieser medicinischen Meinung unter uns haben. - Es giebt eine ganze Menge von Aerzten, und zwar von angesehenen Aerzten, die gerade der entgegengesetzten Ansicht wie die Herren Löwe und Zinn sind. Wenn diese hier säßen, würde der Herr Abgeordnete Lasker wohl mit Berufung auf deren Sachverständigkeit der entgegengesetzten Ansicht sein, sich bei dem Ausspruch dieser Sachverständigen beruhigen und frischweg gegen den Paragraphen stimmen. Das ist nun seine Sache. Zch unterlasse es, dem Herrn Abgeordneten Lasker Lehren darüber zu geben, wie er sich hier zu verhalten hat. Der Herr Abgeordnete Lasker scheint sich in dieser Beziehung für den einzigen Sachverständigen zu halten, (sehr richtig! im Centrum) der uns zu sagen habe, in welchem Tone, in welcher Weise, nach welcher Richtung hin wir uns zu äußern haben. ...

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... „Fahrlässig ist der im Strafgesetzbuch bestimmte, festgestellte Ausdruck, Die „Regeln der Kunst —1 darüber könnte sich auch noch ein Mal eine Diskussion entspinnen, aber „fahrlässig — sowohl in Bezug auf das Individuum, das geimpft wird, ob es auch gesund ist, als in Bezug auf die Stelle, von drr die Lymphe genommen wird, ob die Lymphe auch als gut zu betrachten ist, als in Beziehung daraus, wie das Impfen vollzogen wird. I Das Wort „Fahrlässigkeit deckt mit aller Bestimmtheit die Punkte, die Sie dabei im Auge haben müssen. Zch schlage Zhnen deshalb vor, den von uns mit dem Worte „fahrlässig veränderten Paragraphen anzunehmen. Präsident: Der Herr Abgeordnete Dr. Merkle hat das Wort. Abgeordneter Dr. Merkle: Meine Herren, gestatten Sie mir einige Bemerkungen! Die Majorität dieses Hauses hat sich für den Impfzwang, beziehungsweise für den Wiederimpfzwang entschieden; es ist daher die Frage am Orte, was für ein Schutzmittel wir für das Volk gegen die Gefahren haben, welche aus dem Impfzwang und aus dem Wiederimpfzwang hervorgehen könnten. Durch den vorliegenden ß 19 soll nun das Volk gegen diese Gefahren geschützt werden. Ach billige diesen Zweck und finde ihn als einen guten Zweck; denn, wenn die Aerzte sogar und die entschiedensten Freunde des Impfzwanges zugeben müssen, daß bei dem Impfzwangs — und zwar sehr leicht — Umstände vorkommen können, welche das Impfen für das Leben schädlich machen, so ist es am Orte, daß auch Schutzmittel gegen solche Gefahren besorgt sind. ...

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... Wenn Jemand überzeugt ist, daß das Impfen der Gesundheit nachtheilig sei, mit welchem Rechte kann ich den durch ein Zwangsgesetz angehen, daß er sich dennoch solle impfen lassen? (Widerspruch.) Meine Herren, erlauben Sie mir, noch ein anderes Moment anzuführen. Ich meine den Grad des Zwanges, den das vorliegende Gesetz geltend macht. Man will einen Zwang in dem Sinne, daß unfehlbar entschieden werden soll, ob in dem und dem zweifelhaften Falle die Impfung räthlich oder nachtheilig sei, und das soll endgültig und ausschließlich von dem zuständigen Jmpfarzte im Namen des Staates geschehen, wenn auch Eltern und Hausarzt noch so bedenklich sind. Welch eine Bürgschaft aber giebt den Eltern des impfpflichtigen Kindes dieser Einzelne, daß er nicht fehlt, daß nicht zuletzt die Impfung das Leben und die Gesundheit des Kindes benachtheiligt? Meine Herren, der Leib gehört nicht dem Staate, (Unruhe.) das ist meine Ueberzeugung! — Und, daß ich die Hauptsache noch betone, so weit geht der Zwang, daß er sogar in das Unglaubliche sich verliert. Meine Herren, es ist bemerkt worden, daß einer aus unserer Mitte sich schon zehnmal habe impfen lassen. ...
... Meine Herren, ich würde also von diesem Standpunkte aus auch gewiß für alle diejenigen Maßregeln stimmen (wenn die Majorität der Sachverständigen sich entschieden für das Impfen ausspricht), welche darauf hinzielen, daß man seitens des Staates alles Mögliche thue, um der Wissenschaft Gelegenheit zu geben, ihre Zwecke zu verfolgen und das Impfen möglichst in alle Kreise zu verbreiten. Aber meine Herren, der Wissenschaft, die ihre Wahrheit durch Strafgesetze vertheidigen muß, der Wissenschaft nützen Sie durch Strafgesetze nicht! (Bravo! rechts und im Centrum.) 48* ...

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... Die Gründe richten sich einmal dagegen, daß die Statistik, mit der bewaffnet man die Wohlthat des Zmpfens nachweise, keine Bedeutung habe, entweder weil sie überhaupt bestritten wird, oder weil andere Gründe als das Impfen dahin gewirkt haben, die wohlthätigen Erscheinungen hervorzurufen, welche wir dem Impfen zuschreiben; der andere Grund ist der, daß Krankheiten mittelst des Zmpfens übertragen werden. Meine Herren, was die große Frage betrifft, ob nun wirklich das Impfen die Folge gehabt hat, daß die Sterblichkeit an dieser Krankheit so bedeutend abgenommen hat, so muß ich gestehen, daß ich auch heute noch bei dem Worte bleiben muß, das mir der Herr Kollege Reichensperger übel gedeutet hat: sie entzieht sich nach meiner Auffassung der Diskussion. Denn ich kann dieser großen Thatsache, d. h. dieser außerordentlichen Abnahme der Sterblichkeit an dieser Krankheit überhaupt und der üblen Folgen, die diese Krankheit hinterläßt, keine andere Bedeutung geben, als daß sie eine Folge des Zmpfens ist, weil die Regelmäßigkeit, mit der diese Folgen sich gezeigt, wie die lange Zeit, welche diese Statistik umfaßt, dafür spricht.1 Dazu kommt, daß diese Krankheit nicht1 erloschen ist, wie1 die Gegner annehmen, .sondern daß, wo sie in solchen Kreisen auftritt, in denen sie viele Ungeimpfte findet, sie mit derselben Heftigkeit, mit derselben Tätlichkeit und Verderblichkeit in ihren Folgen auch heute noch wieder ausgetreten ist, die sie im vorigen Jahrhundert gezeigt hat. Das gerade, meine Herren, ist der Grund gewesen, daß in vielen Kreisen sich die Meinungen geändert haben. ...
... Wir werden ja immer noch viele Individuen in der Gesellschaft zurückbehalten, die, weil die Schutzkraft der Vaccination oder Revaccination erloschen ist, bevor sie sich wieder impfen lassen, von der Ansteckung ergriffen werden können. Denn daß die Bäume nicht in den Himmel mit diesem Gesetz wachsen, das zeigt Ihnen dieses Gesetz selbst. Von einem absoluten Zwang der Impfung ist schon gar nicht mehr die Rede, denn der Zwang, wie er nach den Veränderungen der zweiten Lesung erscheint, ist, wenn Sie so wollen, nichts weiter als eine Steuer, die auf das Nichtimpfen gelegt ist; es sind blos Geldstrafen, die von dem Richter je ...

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... Za, meine Herren, die Thatsache ist richtig, aber die Folgerung gegen das Impfen ist doch falsch. Die Hauptsterblichkeit liegt in dem ersten Zahre, in welchem bei der zarten Konstitution alle Krankheiten leichter einen verderblichen Ausgang nehmen. Deshalb wollen wir eben dis ersten Lebensjahre gegen diese Krankheit schützen, um so eine so große Gefahr von den armen Kleinen abzuwenden, da wir das in diesem Falle vermögen. Wenn wir viele Leben erhalten können dadurch, daß wir verhindern, daß die zarten Kinder dieses Lebensalters von der Krankheit ergriffen werden, so leisten wir der Gesellschaft einen großen Dienst. Die Erfahrung zeigt aber auch, daß auch die Vorwürfe über die Sterblichkeit der Revaccinirten im späteren Lebensalter nicht ganz so begründet sind, als sie erscheinen. Gerade die Erfahrungen in München und in Dresden haben es bewiesen mittelst sorgfältiger Beobachtung der verschiedenen Fälle, daß, wenn bei einem Revaccinirten der Tod eintritt, er meistens erst bei einer Folgekrankheit eintritt. Er tritt nicht sofort in der Höhe der Krankheit, bei dem Ausbruch oder in dem sogenannten Eiterungsfieber ein/ sondern er erfolgt, weil der Pockenkranke zugleich Anlage zur Tuberkulose oder sonst etwas gehabt hat, eine Anlage, die sich nach dieser Krankheit dann schnell entwickelt. Nun, meine Herren, kommen wir zur Uebertragung von anderen Krankheitsstoffen. ...
... Zch erinnere Sie nun zuvörderst, meine Herren, an das, worauf ich mir schon früher erlaubt habe Sie aufmerksam zu machen, ohne in wissenschaftliche Streitereien einzugehen, nämlich, daß selbst, wenn man alle Fälle dieser angeblichen Uebertragung der Syphilis durch das Impfen zugesteht, die angeführt werden, und zwar von den schlimmsten Gegnern angeführt werden, doch noch nicht auf die Millionen der bestimmt und unzweifelhaft gut verlaufenen Zmpffälle ein einziger solcher Fall kommt. Wir haben in Württemberg, wo die Agitation gegen das Zmpfen am stärksten ist, in einer Reihe von Zähren bei mehreren Millionen von Impfungen auch nicht einen einzigen Fall anführen hören, der eine solche Uebertragung der Syphilis auch nur behauptete, geschweige nachwiese, und, meine Herren, Württemberg ist in dieser Beziehung besonders wichtig, denn dort hat ein Mann, der gerade in diesen Tagen gestorben ist, gelebt und agitirt, so daß man ihn wohl als den Vater der ganzen Antiimpsbewegung bezeichnen kann, und hat dabei einen solchen Eifer, eine solche Rührigkeit entwickelt in der Ermittelung von angeblich schlimmen Folgen des Zmpfens, daß ich von meinem Standpunkte aus nur sagen kann, einen Eifer, „einer besseren Sache würdig. Dieser Mann, Dr. Nittinger, hat trotz alledem doch nicht einen einzigen Fall von Uebertragung der Syphilis in Württemberg, in Stuttgart, wo er praktisirt hat, in der ganzen Reihe von Zähren, in welcher er diese Agitation betrieben hat, nachweisen können. ...

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... Zch glaube, man kann hier ganz gut eine gewisse Grenze ziehen, und kann es bei einem gewissen Alter den einzelnen Individuen überlassen, ob sie sich impfen lassen wollen oder nicht. Denken Sie sich, meine Herren, in Berlin bräche eine Pockenepidemie aus und der ganze Reichstag sollte geimpft werden — vom Aeltesten bis zum Jüngsten! Das würde ich nicht passend finden; da muß man doch eine gewisse Grenze ziehen. Zch proponire als solche das Alter von 30 Zähren. Es liegt zwar darin immer noch eine gewisse Willkür; man könnte ebenso gut ein Alter von 25 oder 20 Zähren als Grenze nehmen; dagegen würde ich auch nichts haben. Aber so, wie sie jetzt lautet, können Sie die Bestimmung nicht stehen lassen, und deshalb bitte ich Sie, mein Amendement anzunehmen. Präsident: Es ist ein Unteramendement zu dem Amendement von Unruh eingereicht worden, und zwar von den Herren Abgeordneten Rickert und Dr. Bamberger; ich ersuche, dasselbe zu verlesen. Schriftführer Abgeordneter Freiherr von Unruhe-Bomsi: Unterantrag zu dem Antrage von Unruh (Magdeburg): in demselben statt „30Jahren zu setzen: „20 Zähren. Präsident: Zch ersuche diejenigen Herren aufzustehen, welche dieses Unteramendement unterstützen wollen. (Geschieht.) Die Unterstützung reicht aus. Zch ertheile nunmehr das Wort dem Herrn Abgeordneten Dr. Reichensperger (Creseld). Abgeordneter Dr. Reichensperger (Creseld):1 Meine Herren, Sie werden sich erinnern, daß dieser Paragraph bei namentlicher Abstimmung nur mit sehr geringer Majorität angenommen worden ist. ...

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... Zinn, schon zehnmal an sich die Operation haben vornehmen lassen, noch einmal antreten müssen, um sich impfen zu lassen, obgleich doch schon die Androhung, welche der tz 14 enthält, zu erkennen giebt, daß diese neue Operation sie ebenso wenig schützen würde, wie die zehn vorangegangenen sie zu schützen geeignet sind, denn sonst brauchte man sie doch wahrlich nicht noch einmal vorzuführen, wenn sie schon zwei-, drei-, viermal oder noch öfter geimpft worden sind. Meine Herren, das Ungeheuerliche dieser Bestimmung haben, wie gesagt, schon zwei Herren hervorgehoben; wenn Sie aber noch etwas näher zusehen, so werden Sie noch mehr als einen Stein des Anstoßes in diesem Paragraphen finden. Herr von Unruh hat schon darauf aufmerksam gemacht, wer hier die zuständige Behörde ist, es ist der Kreisphysikus, und er hat uns weiter gesagt, daß die Kreisphysici nicht immer das Zutrauen selbst der Mediziner in Anspruch nehmen können, geschweige denn derjenigen, die keine Mediziner sind. Eine solche einzeln stehende Person soll also befugt sein, eine ganze Einwohnerschaft operiren zu lassen, gewissermaßen einen Bann über eine Gemeinde zu legen. Ja, meine Herren, wenn der Herr Abgeordnete von Unruh es sür sehr bedenklich gehalten hat, in Berlin auch den ganzen Reichstag zur Jmpfstätte herbeiziehen zu lassen, sobald die hiesigen Sanitätsbehörden von Berlin der Ansicht sind, daß hier eine Blatternepidemie ausgebrochen ist, so meine ich, meine Herren, dürfen wir nicht so egoistisch sein, daß wir, die wir alle über 30 Jahre oder doch über 20 Jahre alt sind, ein solches Privilegium in Anspruch nehmen. ...

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... Zch Habs auch gar nichts dagegen zu erinnern, wenn Sie die sorgsamsten Maßregeln treffen, um das Impfen zu ermöglichen, aber auf das Allerentschiedenste bin ich dagegen, daß man den Eltern Zwang anthue, gegen ihre Ueberzeugung ihre Kinder impfen zu lassen, und noch mehr, daß man die Erwachsenen in dieser Weise zwinge. Es hat nun der Herr Präsident des Reichskanzler-Amtes Ahnen von der Annahme der Amendements abgerathen, weil sie in der zwölften Stunde eingebracht sind. Das scheint mir kein schlagendes Argument zu sein, das würde höchstens einen Grund dafür bieten, daß der Herr Präsident erklärt, er wäre nicht in der Lage sich darüber zu äußern, denn er habe die Sache noch nicht mit dem Bundesrathe erwägen können, aber ein Grund sie zu verwerfen, der liegt darin für uns meines Dafürhaltens durchaus nicht. Es ist dann Bezug genommen worden auf die Bestimmungen des preußischen Regulativs vom Zahre 1835, welches ewentuell eine Zwangsimpfung in Aussicht stellt, und der Herr Präsident des Reichskanzler-Amtes hat uns gesagt, gegenüber einem Gesetze, was seit nun nahezu 40 Zähren existire, möchten wir unsere Bedenken doch schwinden lassen. Es entsteht aber die Frage, wie es mit der Handhabung dieses Gesetzes aussieht. Wenn die Sache nun so liegt, daß während der 40 Zahre das Gesetz zwar in der Gesetzsammlung gestanden hat, aber trotzdem nicht zur Ausführung gekommen ist, wie dann? Zn meinem Wohnorte, der höchstens 100 Wohnhäuser zählt, war im vorigen Sommer die Blatternkrankheit in nicht weniger als 11 Häusern. ...
... Die Behörde hat Vorsorge getroffen, daß das Impfen erleichtert war, aber es ist keinem Menschen eingefallen, trotz des Regulativs von 1835, irgendwie Zwang auszuüben. Von den Einwohnern hat der Eine gesagt: ich lasse mich impfen, und ein Anderer hat wieder gesagt: fällt mir nicht ein, es hilft ja doch nichts; und so ist es meines Wissens überall, mir ist wenigstens kein Beispiel bekannt, wo eine Zwangsimpfung stattgefunden hätte; dagegen weiß ich sehr wohl, daß man von oben herunter in Beziehung auf das Impfen im Allgemeinen Reskripte erlassen hat, die möglichst daraus ausgingen, die Leute glauben zu machen, sie wären gezwungen, die Kinder impfen zu lassen, indem angeordnet wird, sie sollen ein-, zwei-, dreimal vorgeladen werden zum Zmpsen, wenn sie es aber trotzdem ablehnen, so solle man sie gehen lassen; also ein wirkliches Zwangsrecht ist in der Beziehung nicht in Anspruch genommen worden. Wenn so die Praxis sich gestellt hat, dann, meine ich, ist das der glänzendste Beleg gegen die Nothwendigkeit dieses Gesetzes, und wenn gegen die Nothwendigkeit, dann ganz gewiß auch gegen die Zweckmäßigkeit. Sie werden doch in der Vorliebe, die allerdings viele Parteien, die in diesem Hause vertreten sind, zeigen für Zwangseinrichtungen, nicht so weit gehen, daß Sie auch da, wo Sie selbst nicht eine dringende Nothwendigkeit erkennen, ...

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... Es wurden Anfangs diejenigen, die sich weigerten, dem Arzte zur Zmpfung vorgeführt, — allerdings nur das erste Mal, denn nachher war es nicht nothwendig; es ließen sich alle impfen und nach vierzehn Tagen ließ die Krankheit nach und in der dritten Woche kam kein einziger Erkrankungsfall mehr vor. (Hört, hört! links.) Zch bin bereit, dem Herrn Vorredner, dem ich ja befreundet zu sein die Ehre habe, die Akten zu verschaffen und vorzulegen, wenn er mir nicht glaubt. Zch bemerke aber, daß damals von der Blatternkrankheit auch Leute, die älter als 30 Zahre waren, ergriffen wurden (hört! hört!) und daß deshalb auch die Zwangsimpfung gegen ältere Leute als 30 Zahre ausgeführt wurde, weil, wie ja der Herr Präsident des Reichskanzler-Amtes Ihnen vorgelesen hat, es in der Bestimmung heißt: „gegen die der Ansteckung fähigen Personen. ...

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... Und ich halte es nahezu für eine Art Gewissenstortur, unter solchen Umständen, bei so bestrittener Sache, Jeden zwingen zu wollen, sein Kind und sich selbst gegen den Rath des täglichen Arztes impfen zu lassen, resp. sich selbst zu impfen. (Bravo! Sehr richtig! im Centrum.) Zch bin der Ansicht, daß die Bundesregierungen bei solcher Lage der Sache, bei dem Zwiespalt der Ansichten hier im Hause in der That gar nicht in der Lage sind, einen solchen Zwang einzuführen, und ich habe erwartet, daß, als der Z 14 abgelehnt wurde, die Regierungen erklären würden, jetzt ziehen wir das Gesetz zurück. Zch spreche es für meine Abstimmung offen aus, (Ruf rechts: grade aus!) ich habe gegen den tz 14 gestimmt, weil ich durch die Verwerfung des tz 14 Hülfe erwartete. Es ist eine gewohnte Erfahrung, daß die Leute aufmerksamer werden, wenn die zur Erörterung stehenden Bestimmungen sie selbst in das eigene Fleisch treffen, das war hier so recht der Fall. Darum wollte der Eine durch Einschiebung von 30 Zähren sich emancipiren, ein Anderer vielleicht einen Freund durch Einschiebung von 20 Zähren, und endlich ist es so gekommen, wie ich gedacht: der tz 14 wurde ganz verworfen. Damit ist eine Inkonsequenz in das Gesetz gekommen, die ganz intolerabel ist, darüber ist kein Zweifel. Wenn man den Impfzwang überhaupt will, muß man auch die Revaccination haben wollen — (natürlich! links) darüber kann kein Zweifel sein. Weil ich aber den Impfzwang überhaupt nicht will, habe ich angesetzt an dem Punkte, wo ich die Herren verwundbar erachte. (Heiterkeit.) ...
... Was mich persönlich betrifft, so bin ich — das sage ich ganz offen — bereit, wenn eine Epidemie ausbricht, mich nochmals impfen zu lasten, (hört!) obwohl ich wiederholt geimpft worden bin, — aber vorausgesetzt, daß ich gute Lymphe mit Sicherheit habe. Diese Sicherheit kann mir Keiner geben, und wenn mir soeben mein Nachbar sagt: „wie wollen Sie das erfahren? so antworte ich : gerade weil ich es nicht erfahren kann, will ich Niemanden zwingen, daß er sich impfen läßt mit einer Lymphe, von der er nicht weiß, was sie wirkt. Es ist mir gerade gestern ein Blatt aus Hamburg mitgetheilt, worin über einen Fall gesprochen wird, der, wenn er begründet ist, ganz erschrecklich wäre, und ich kann davon ausgehen, er sei begründet, da er in einem öffentlichen Blatte besprochen wird. (Heiterkeit.) so* ...






Verhandlungen des Reichstages. - Berlin, 1874
Bd.: 33. 1874
Signatur: 4 J.publ.g. 1142 yb,A-33

ID: 00018374
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... Gehören einem Jmpfbezirke (8 6) Ortschaften an, deren Entfernung von der Impfstelle über zehn Kilometer beträgt, so hat die Impfstelle den Einwohnern derselben im Laufe der gesetzlichen Jmpfzeit in diesen Ortschaften selbst oder an anderen, den letzteren näher belegenen Orten eine hinreichende Gelegenheit zum Impfen zu bieten. ...

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... ß 7-Gehören einem Zmpfbezirke (8 6) Ortschaften an, deren Entfernung von der Impfstelle über zehn Kilometer beträgt, so hat die Impfstelle den Einwohnern derselben im Laufe der gesetzlichen Zmpfzeit in diesen Ortschaften selbst oder an anderen den letzteren näher belegenen Orten eine hinreichende Gelegenheit zum Impfen zu bieten. § 8. Zeder Impfstelle wird vor Beginn der Zmpfzeit eine Liste der nach § 1, Ziffer 1 der Impfung unterliegenden Kinder ihres Bezirkes von der zuständigen Behörde mitgetheilt. Die Impfstelle vermerkt in der Liste, ob die Impfung mit oder ohne Erfolg vollzogen oder ob und weshalb sie ganz oder vorläufig unterblieben ist. Ueber die auf Grund des § 1, Ziffer 2 zur Impfung gelangenden Kinder haben die Impfstellen eine Liste anzulegen und in gleichartiger Weife auszufüllen. Nach dem Schluffe der Zmpfzeit sind die Listen der Behörde einzusenden. Die Einrichtung der Listen wird durch den Bundesrath festgestellt. § 9. Außerhalb der Impfstellen Impfungen vorzunehmen, find Aerzte ausschließlich befugt. Sie haben über die ausgeführten Impfungen in der für dieZmpsst eilen vorgeschriebenen Form (Z 8) Listen zu fühund dieselben am Jahresschluß der zuständigen Behörde vorzulegen. Die Impfstellen sind verpflichtet, auf Verlangen Impfstoff, soweit ihr entbehrlicher Vorrath reicht, an Aerzte unentgeltlich abzugeben.1 8 10. Ueber jede Impfung wird nach Feststellung ihrer Wirkung (8 5) von dem Arzte ein Impfschein ausgestellt. ...

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... Gehören einem Jmpsbezirke (8 6) Ortschaften an, deren Entfernung von der Impfstelle über zehn Kilometer beträgt, so hat die Impfstelle den Einwohnern derselben im Laufe der gesetzlichen Jmpfzeit in diesen Ortschaften selbst oder an anderen den letzteren näher belegenen Orten eine hinreichende Gelegenheit zum Impfen zu bieten. 8 8. Jeder Impfstelle wird vor Beginn der Jmpfzeit eine Liste der nach § 1, Ziffer 1 der Impfung unterliegenden Kinder ihres Bezirkes von der zuständigen Behörde mitgetheilt. Die Impfstelle vermerkt in der Liste, ob die Impfung mit oder ohne Erfolg vollzogen oder ob und weßhalb sie ganz oder vorläufig unterblieben ist. Ueber die auf Grund des 8 1, Ziffer 2 zur Impfung gelangenden Kinder haben die Impfstellen eine Liste anzulegen und in gleichartiger Weise auszufüllen. Nach dem Schluffe der Jmpfzeit sind die Listen der Behörde einzusenden. Die Einrichtung der Listen wird durch den Bundesrath festgestellt. Aktenstücke zu den Verhandlungen des Deutschen Reichstages 1874. 8 1 Der Impfung mit Schutzpocken soll unterzogen werden: 1)1 jedes Kind vor dem Ablaufe des auf sein Geburtsjahr folgenden Kalenderjahres, sofern es nicht nach ärztlichem Zeugniß (8 10) die natürlichen Blattern überstanden hat; 2)1 jeder Zögling einer öffentlichen Lehranstalt oder einer Privatschule, mit Ausnahme der Sonntagsund Abendschulen, innerhalb des Jahres, in welchem der Zögling das zwölfte Lebensjahr zurücklegt, sofern er nicht nach ärztlichem Zeugniß in den letzten fünf Jahren die natürlichen Blattern überstanden hat oder mit Erfolg geimpft worden ist. ...


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