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Verhandlungen des Reichstages. - Berlin, 1876
Bd.: 38. 1875/76
Signatur: 4 J.publ.g. 1142 yb,A-38

ID: 00018380
41 /317
... Ohne Impfzwang hat man in Elsaß-Lothringen schon längst erhalten, was man durch den Impfzwang erzielen will: die Elsaß-Lothringer sind alle in den Kindesjahren geimpft worden, und wenn Gefahr zugegen war, so haben sich auch die Erwachsenen freiwillig impfen lassen. Wir meinen nun, daß unter solchen Umständen die Verwaltung mit ihren Zwangsmaßregeln etwas schonend vorgehen sollte, und daß man die besten Gefühle der Familienväter nicht verletzen sollte. Nach meiner Ansicht sollte die Zwangsschule nicht dazu gebraucht werden, die Zwangsimpfung durchzuführen; vor allem aber bin ich der Meinung, daß der Sonntag nicht regelmäßig der. Tag der Zwangsimpfung sein sollte unter Androhung der vom Gesetz ausgesprochenen Strafe, wie es z. B. zu Mülhausen, wo ich wohne, im verflossenen Oktober drei Sonntage nacheinander grade zur Zeit des öffentlichen Gottesdienstes für Hunderte von Kindern geschehen ist. (Hört! hört!) Die Familienväter waren darüber sehr entrüstet, und sie stellten sich natürlich die Frage, ob man mit der Lymphe des Straßburger Instituts auch ihren Kindern die Verachtung der Kirche einimpfen wolle. Präsident: Es ist Niemand weiter zum Worte gemeldet; ich schließe die Generaldiskussion. Wir treten in die Spezialberathung ein. Ich eröffne die Diskussion über den Text des Gesetzes, — über die Einleitung und Ueberschrift des Gesetzes. — Es wünscht Niemand das Wort; ich schließe die Diskussion und konstatire die Annahme des Textes des Gesetzes und der Einleitung und Ueberschrift auch in dritter Berathung. Wir können demnach sofort über das Ganze des Gesetzes abstimmen. 13 ...

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... und zweitens: wirkt mit Erfolg gegen die Lungenseuche das Impfen? Ohne eine Statistik lassen sich diese Fragen absolut nicht beantworten. Mir sind erst in den letzten Tagen von einem Holländer statistische Daten — es scheint also auch in Holland ein derartiges statistisches Amt zu bestehen — zugegangen, in denen über die geimpften und nichtgeimpften Rinder Beobachtungen seit 25 Zähren zahlenmäßig nachgewiesen sind. An der Hand derartiger Zahlen kann die Wissenschaft und das Publikum über diese Frage zu Gericht sitzen. Ein besonderer Grund aber, der mich bestimmt, heute noch einmal von dieser Stelle aus den hohen Bundesrath an eine wichtige Angelegenheit zu erinnern, ist der, daß, wenn wir ein Viehseuchengesetz bekommen, dasselbe auch geeignete Organe zu seiner Ausführung gebraucht, namentlich in sehr vielen Fällen die beamteten Thierärzte, denen z. B. das preußische Gesetz sehr große Machtbefugniß einräumt. Meine Herren, wenn ich aber beamtete Thierärzte gebrauche, dann muß ich zu deren Ausbildung und Befähigung mehr thun, als das Reich, na? mentlich in der Instruktion des Bundesraths vom 25. September 1869, gethan hat. Früher hatten wir den Kampf mit dem Militärdepartement, das hemmte in der Ausbildung, und in Folge dessen wurden die Zivilaspiranten höher befähigt, wie die des Militärs. Meine Herren, wir sehen in diesem Augenblicke, wo die Militärverwaltung in anderen Händen sich befindet, den umgekehrten Fall im deutschen Reiche. Die Militärverwaltung ist uns in Bezug auf die Ausbildung der Roßärzte, die doch nur eine Spezialität der Thierärzte sind, um einen Pas vorausgeeilt. ...






Verhandlungen des Reichstages. - Berlin, 1876
Bd.: 39. 1875/76
Signatur: 4 J.publ.g. 1142 yb,A-39

ID: 00018381
43 /317
... Zch erkenne vollkommen im voraus an, — Herr Thilenius braucht mir das nicht erst hernach zu beweisen, — daß ich ein Bönhase auf diesem Gebiete bin, daß ich persönlich kein wissenschaftliches Urtheil darüber habe, ob das Impfen an sich heilsam oder nicht heilsam ist. Zch trete blos dagegen auf, daß man das Geimpftwerden durch polizeilichen, staatlichen Zwang herbeiführt. Das ist mein Standpunkt, meine Herren, und ich glaube, daß dieser Standpunkt, wenn Sie unbefangen die Dinge, wie sie einmal liegen, ins Auge fassen, Ihnen als ein gerechtfertigter erscheinen muß. Meine Herren, ich will nur, wie gesagt, die Hauptmomente, welche für meine Auffassung sprechen, Ihnen vorzuführen mir erlauben. Erstens steht für mich aus allen den Mittheilungen, welche ich erhalten und möglichst genau angesehen habe, so viel fest, daß eine große Zahl von Ansteckungsfällen in Folge der Impfung vorgekommen sind. Es kann nicht bestritten werden, daß schon durch das Impfen selbst jedenfalls eine Krankheit erzeugt wird, denn die unbefangenen Aerzte, die nicht Partei genommen haben, ja sogar die Aerzte, welche für das Zwangsimpfen sind, geben zu, daß eine Krankheit eingeimpft würde, jedoch in einem sehr geringen Maße, damit nicht später einmal die Pockenkrankheit in ihrer schlimmsten Gestalt hervortritt. Daß der Mensch krankhaft affizirt wird, ja affizirt werden muß, wenn er geimpft wird, ist in der That unbestreitbar; es muß ja eine gewisse Abnormität im menschlichen Körper sich zeigen, sonst sagt man, die Impfung habe nicht angeschlagen. Das kann nicht bestritten werden. ...
... Sodann hat man weiter bei den Thieren die Erfahrung gemacht, wie das Impfen, namentlich bei den Schafen, von den allerbedenklichsten Folgen war. Man hat früher die Schafe mit Schafpockengift geimpft; es war eine allgemein verbreitete Meinung, daß solches nicht minder heilsam sei, als das Impfen der Menschen. Man ist von dieser Ansicht nicht blos zurückgekommen, sondern, wie Sie wissen, hat ein preußisches Gesetz in dieser Beziehung sogar spezielle Vorkehr gegen das Impfen mit Schafpocken getroffen. Es hat zu den bekannten Erklärungen zwischen dem Herrn Professor Virchow und anderen geführt, woraus dann wieder ein Znzedenzpunkt in dieser endlosen Zmpfdebatte sich ergab. Die Erklärung des Herrn Professor Virchow ist kurz, und ich glaube wenigstens eine noch kürzere Stelle daraus mittheilen zu können. Herr Virchow hat unter dem 4. November 1875 erklärt: Durch Impfen mit Schaspocken erzeugt man wirkliche Schafpocken, welche die Ansteckung fortsetzen. Bei Menschen impft man bekanntlich mit der Lymphe von Kuhpocken, welche nicht im gewöhnlichen Sinne anstecken und auch keine Menschenpocken hervorbringen. Im vorigen Jahrhundert freilich, — so sagt Herr Virchow: vor Einführung der Kuhpockenimpfung, impfte man auch bei Menschen vielfach mit Menschenpockenlymphe und unterhielt dadurch, wie jetzt bei den Schafpocken, die Seuche. Sie sehen, meine Herren, daß Herr Professor Virchow, der sich schließlich nicht in dem von den Zmpfgegnern erwarteten Sinne erklärte, selbst sagt: „im vorigen Jahrhundert war man der Ansicht. Nun, meine Herren, in diesem Jahrhundert ist man eben anderer Ansicht. Wer bürgt nun für das Eine, wer bürgt für das Andere? ...

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... Wenn das Reich mit Gewalt impfen lassen will, dann soll das Reich auch bezahlen, was es anordnet.— Aber nein! wie gewöhnlich, damit das große Reichsbudget nicht allzugroß erscheint, werden diese Dinge auf die kleinen Budgets wieder abgewälzt, und ich kann versichern, daß, wenigstens an gewissen Orten, die Herren Aerzte große Anforderungen machen; es besteht darüber keine Taxe, und so müssen dann die Gemeinden sich mit den Aerzten einigen und ihnen mitunter recht hohe Honorare zahlen. Wohin aber ist ein Rekurs gegen ein Honorar zu nehmen, wenn dasselbe exorbitant ist? Eine angenehme Mission für einen Arzt ist das Massenimpfen nicht, und wo finden Sie ganz zuverlässige, erprobte Aerzte, die ja meist vollauf beschäftigt sind, welche sich gern zu dieser so zu sagen rein mechanischen Prozedur hergeben? — Doch, wie gesagt, das ist nur ein Nebenpunkt, und ich könnte derartige Nebenpunkte noch gar manche hier berühren und anführen, die mir suppeditirt worden sind; allein ich verzichte darauf, um nicht allzu weitläufig zu werden, obgleich ich weiß, wie schon im Eingang bemerkt, daß ich für diese hochwichtige Materie im Grunde viel zu wenig Zeit hier in Anspruch genommen habe, und daß mir dies draußen zur Last gelegt werden wird. Meine Herren, ich bitte Sie demnach, angesichts der Momente, welche ich Ihnen nur in den allergrößten Zügen vorgeführt habe und vorführen konnte, dem Antrage statt zu geben, daß die fraglichen Petitionen dem Reichskanzleramte überwiesen werden. ...






Verhandlungen des Reichstages. - Berlin, 1877
Bd.: 45. 1877
Signatur: 4 J.publ.g. 1142 yb,A-45

ID: 00018388
45 /317
... Meine Herren, über das Impfen, ob es wohlthätig oder nicht wohlthätig für die Menschheit ist, darüber werde ich nicht sprechen, das lasse ich vollkommen dahingestellt, aber daß der Zwang, der geübt wird, nicht zu billigen ist, davon, wie gesagt, bin ich jetzt mehr als jemals früher überzeugt. Die Zusendungen, welche ich bekommen habe — ich glaube, der Herr Referent wird auch seinerseits darin mir beistimmen können — sind so überaus zahlreich von Aerzten der verschiedensten Art unterstützt, von Zeitschriften aus den verschiedensten Ländern, meine Herren, daß man die Bewegung gegen den den Impfzwang unmöglich ignoriren kann. Zch weiß sehr wohl, daß diese große Zahl von Aerzten, welche sich dagegen ausgesprochen haben, von den anderen Aerzten, welche für die Zwangsimpfung sind, theils als Homöopathen, theils als Naturheilkünstler, theils unter anderen Rubriken perhorreszirt werden, aber seien Sie überzeugt, meine Herren, diese Gegner des Impfzwangs lassen ihrerseits auch an denjenigen Aerzten, die den Impfzwang vertheidigen, in dieser Beziehung kein gutes Haar; (sehr richtig!) ...

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... Dann, meine Herren, wird im Bericht der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß durch die fortgesetzte Kontrole durch die verschiedenartigsten Maßregeln, die getroffen werden könnten, mehr und mehr die mit dem Impfen verbundene Gefahr abnehmen werde. Aber, meine Herren, bedenken Sie: die Kontrolen sind an sich schon sehr lästig und sowie ich von Aerzten erfahren habe, im allgemeinen schlechthin nicht durchzuführen. Man könne nicht auf dem Land, nicht an allen Orten kontroliren, ob der betreffende Arzt seine Schuldigkeit thut. Eine massenhafte Kontrolirung läßt sich nicht durchführen. Es muß immer dem einzelnen Arzt überlassen bleiben, welche Lymphe er gebraucht, wie er impft, wie er den Zustand der Kinder oder der zu Revakzinirenden beurtheilt, eine besondere Ueberwachung läßt sich da der Natur der Sache nach nicht üben. Aber, meine Herren, diese Kontrole ist auch noch deswegen überaus schwer, weil das Impfen Aerzten aller Art überlassen bleibt, denn es ist ja nicht blos ein Arzt, der das zu thun hat, sondern es sind gar viele Aerzte damit befaßt, und bleibt es einem Jeden überlassen, zu thun, was er für nothwendig erachtet. Dann aber ist Mit dieser Kontrole auch noch ein anderer bedeutender Uebelstand verbunden. Die Zeugnisse, welche die Aerzte abzuschicken haben, werden der Polizei übergeben, sind also meist so zu sagen, öffentliches Geheimniß. Nun ist aber zu meiner großen Verwunderung, wenigstens in Preußen — ich habe mich davon persönlich überzeugt — sogar den Aerzten aufgegeben, in ihren Berichten zu bemerken, durch Initialen, zum Beispiel durch die Initiale S. ...

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... Wenn nun hier eine wissenschaftliche Frage vorliegt, wenn das Impfen eine reine Medizinalangelegenheit ist, dann hätte man auch diese Materie nicht in die Gesetzgebung hineintragen und, mit einem Worte, keinen Impfzwang einführen sollen. Es gibt ja Leute, die an sich nicht absolute Gegner des Zmpfens sind, die sich aber mit ganzer Entschiedenheit gegen den Impfzwang kehren, und zu denen gehöre gerade auch ich. Da man nun von den Herren Medizinern sehr leicht so sn xassont abgefertigt werden kann als nichts wissender Laie, der in solchen Fragen eigentlich schweigen soll, will ich gar nicht hineingreifen in jene große Broschüren- und Büchersammlung, die bereits gegen den Impfzwang das Licht der Welt erblickt hat; ich werde hier blos ein paar Autoritäten, weil es nun doch schon einmal Autoritäten sein müssen, wenn man sich nicht von vornherein abgethan sehen will, zitiren, die sich in Bezug auf die Zmpffrage in bemerkenswerther Weise aussprechen. Es ist da der Professor Hebra, der z. B. sagt: Nicht in jedem Falle verlaufen die durch die Impfung gesetzten Effloreszenzen in der angegebenen regelmäßigen Art und Weise, sondern wir finden, ähnlich wie beim Blatternprozeß selbst, auch hier zahlreiche Anomalien und zwar sowohl solche, die sich entweder auf die Effloreszenzen allein beziehen und demnach örtliche Anomalien der Vakzine darstellen, als auch eine zweite Reihe von Erscheinungen, welche als Reaktionserscheinungen des in die Blutmasse aufge nommenen Ansteckungsstoffs zu betrachten sind. Das ist der Ausspruch eines Mannes, den man gewiß nicht so ganz ohne weiteres abthun kann. ...

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... überimpfen könne, es ist in dem Bericht sogar gesagt, daß es unter Umständen gerathen sein könnte, bei dem epidemischen Vorkommen gewisser Krankheiten überhaupt nicht zu impfen. Die Frage liegt also derart, daß man nicht ohne weiteres mit einer Antwort bei der Hand sein sollte, welche die Beseitigung des Impfzwangs absolut negirt ; man sollte mindestens dem Rathe des Herrn Abgeordneten Reichensperger folgen und diese Petition dem Reichskanzleramt mit der Aufforderung überweisen, Erhebungen anzustellen. Zch habezwarkeine Ursache, großes Vertrauen in das Reichskanzleramt zu setzen, ich glaube vielmehr, daß sich dort solche Petitionen sehr leicht in den Papierkorb verirren können; auch bin ich überzeugt, daß die bisher von dieser Seite ausgegangenen Erhebungen nicht von großem Werth sind, und daß eine Enquete bezüglich des Impfwesens vorläufig noch zu keinem besonders brauchbaren Resultat führen könnte, um so weniger, als die meisten der Herren Aerzte momentan Zmpffreunde sind und daher doch mehr oder weniger ein Interesse haben, nicht gerade das anzuführen, was gegen die Zwangsimpfung spricht; aber wenn in dieser Beziehung einiges gethan werden soll, — und es kann etwas geschehen — so muß die Reichsregierung das Reichsgesundheitsamt damit betrauen. Freilich ist es Vorbedingung, daß das Reichsgesundheitsamt etwas mehr sei, als eins Illusion; heutzutage schwebt es in der Luft. ...
... Wenn mir solchermaßen die Zmpffreunde den absolut unanfechtbaren Nachweis liefern, daß das Impfen durchaus nützlich ist, daß dadurch nicht allein der Pockenkrankheit vorgebeugt werden kann, sondern daß auch andere Krankheiten nicht übertragen werden können, dann stehe ich auch nicht an, für den Impfzwang einzutreten. Denn ich bin der Meinung, daß allerdings ein gewisser Zwang eintreten muß, sobald es sich herausstellt, daß eine Sache absolut gut ist, und daß, wenn der Einzelne sich nicht darnach richtet, die Gesammtheit dadurch geschädigt werden kann. Ich glaube indessen, daß eine gründliche Abhilfe solcher Schäden, wie die Pockenkrankheit ist, überhaupt nicht durch solche Palliativmittelchen herbeigeführt werden kann. Der Schaden liegt viel tiefer. Die epidemischen und besonders die sogenannten äußerlichen Krankheiten hängen aufs engste mit den sozialen Verhältnissen im allgemeinen zusammen. Die schlechtgelegenen Arbeiterquartiere, die kleinen Wohnungen, die schlecht ventilirten Stuben und Werkstätten des Proletariats sind die Herde vieler Krankheiten und auch der Herd der Pockenkrankheit; und so lange da nicht gründlich geholfen wird, so lang werden wir die epidemischen Krankheiten weder mit noch ohne Impfzwang und was weiß ich, was Sie mit der Zeit noch alles einführen werden, nicht los werden. Es muß, wenn so fort gewirthschaftet wird, dahin kommen, daß man — freilich von seiten der Regierung nicht, aber von seiten des Volkes — an diese Fragen herantritt, nicht um Zmpfvorschristen zu machen, sondern um radikal aufzuräumen und die heutige Gesellschaft von Grund aus umzuformen. ...






Verhandlungen des Reichstages. - Berlin, 1877
Bd.: 46. 1877
Signatur: 4 J.publ.g. 1142 yb,A-46

ID: 00018390
49 /317
... Daß durch das Impfen, wie selbstverständlich, eine entsprechende rationelle Behandlung der Pockenkrankheit nicht überflüssig gemacht werde, bedürfe gar keiner Erwähnung. Uebrigens sei Referent weit entfernt, diese Agitation gegen das Jmpfgesetz gering zu achten. Er halte im Gegentheil dafür, man müsse mit allen Mitteln der Wissenschaft ihr entgegentreten, da sie schon jetzt nur zu viel Unruhe in gewissen Kreisen der Bevölkerung hervorgerufen habe. Man möge sich nur die Lage einer Mutter denken, die ihr Kind zur Impfung zu bringen gezwungen sei, und doch in ihrem Herzen sich mit Befürchtungen trage, es könne dem Kind damit unauslöschlicher Schaden an Gesundheit und Leben geschehen. Gerade dieser Wirkung der Agitation müsse auf das Entschiedenste durch entsprechende Belehrung und vor allen Dingen durch praktische Gegenbeweise entgegengetreten werden. Ein sehr praktisches Mittel in dieser Richtung habe neuerlich in der Schweiz, wo auch die Jmpfagitation, wie die Petenten behaupten, in großem Umfange wach gerufen worden sei, der ärztliche Verein der schweizer Aerzte ergriffen, indem er eine Abstimmung unter den Aerzten mittelst Postkarten veranlaßte und folgende Fragen vorlegte: 1.1 Sind Sie nach Ihren Erfahrungen der Ansicht, daß eine erfolgreich ausgeführte Vaccination vor (Bericht der, Kommission für Petitionen.)1 499 echten Pocken oder wenigstens vor den schweren Folgen derselben auf eine längere Reihe von Zähren schützt? 2.1 Werden Sie daher die Impfung gesunder Kinder empfehlen? 3.1 Werden Sie auch die Revaccination empfehlen? 4.1 Sind Sie für Aufrechterhaltung der obligatorischen Impfung? Vier Wochen später, am 12. Zanuar d. Z., wurde mit der Annahme der Antworten abgeschlossen. ...

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... Aehnlich spricht sich ein zweites Mitglied nicht gegen das Impfen, wohl aber gegen den Impfzwang aus, da auch ihm die Nothwendigkeit derselben eine mindestens offene Frage sei. Von anderer gegnerischer Seite wird eingewandt, man habe hauptsächlich die Lymphe zu fürchten, die nicht mit der nöthigen Sorgfalt und in vollkommen guter Qualität beschafft werde. So sei eine dem Redner sehr nahe stehende erwachsene Person mit von einem notorisch skrophulösen Kinde entnommener Lymphe geimpft und wie ärztlich konstatirt, noch jetzt an skrophulösen Erscheinungen siech und elend. Solchen Erfahrungen gegenüber müsse man den Impfzwang verwerfen. Die in Bayern mit dem Impfzwang gemachten Erfahrungen, erwidert hierauf ein Mitglied, sprechen unbedingt für den Impfzwang; auch sei dort der anfänglich große Widerstand gegen die Maßregel immer mehr im Schwinden. Ebenso hätten ihm seine eigenen Erfahrungen im Elsaß, wo während und nach dem Kriege die französische ungeimpfte Bevölkerung der Seuche zu Hunderten erlag, die geimpften deutschen Soldaten nahezu intakt blieben, den Nutzen des Impfzwangs aufs Bestimmteste erwiesen. Jedenfalls liege durchaus kein Grund vor, auf eine Aenderung des Gesetzes einzugehen. Hiernach einigt sich die Kommission mit überwiegender Majorität zu dem Vorschlag: der Reichstag wolle beschließen: über die Petitionen Journal II. Nr. 100. 116. 176. 264. 274. 306. 307. 315. 323. 458. 465. 472. 473. 562. 570 und 657. zur Tagesordnung überzugehen. Berlin, den 27. April 1877. Die Kommission für Petitionen. Albrecht (Osterode), Vorsitzender. Dr. Thilenius, Berichterstatter. Bauer. Dieffenbach. Eisenlohr. Edler. Franssen. Feustel. v,. Frank. Grütering. v. Goßler. Dr. xbit. Frhr. v. ...






Verhandlungen des Reichstages. - Berlin, 1878
Bd.: 48. 1878
Signatur: 4 J.publ.g. 1142 yb,A-48

ID: 00018395
51 /317
... Meine Herren, wenn man, um jemanden zu zwingen, sich impfen zu lassen, ihn vorher in das Bett eines Pockenkranken legt, so ist doch das ein Mittel, was in der That zu den sonderbarsten gehört, die wohl gedacht werden können. Jede Gemeinde steht dem Standpunkt gegenüber, den die preußische Regierung eingenommen hat, vollständig schutzund wehrlos da, wenn man den Versuch macht, sie zu zwingen zu Dingen, die nach dem gegenwärtigen Stand dieser Frage absolut nicht nothwendig erscheinen. Ach will nur darauf aufmerksam machen, daß auch die wissenschaftliche Deputation von den: Standpunkt ausgeht, daß Kanalwässer in ihrer schädlichen Wirkung sich vollständig gleichstehen, mögen nun Fäcalien eingeleitet werden, oder nicht. Das ist der Grundsatz, den die wissenschaftliche Deputation ausdrücklich aussprach. Es ist infolge dessen nicht allein jede Stadt, die kanalisirt hat, sondern überhaupt jede Stadt, aus der Abwässer in ein Flußbett gerathen können und wirklich gerathen, in der Gefahr, daß die preußische Regierung sie zwingt, die allerruinösesten Einrichtungen zu treffen, um der eingebildeten Gefahr vorzubeugen, die aus dem Einlassen dieser Wässer in die Flüsse entstehen kann. Es ist da eben der administrativen Willkür ein Spielraum eröffnet, der absolut unzulässig ist und zwar auf Grundlage von Ausführungen, meine Herren, von denen ich Ahnen nur zwei Beispiele geben will. Am sogenannten wissenschaftlichen Gutachten der wissenschaftlichen Deputation, was erlassen wurde, , als die Stadt Frankfurt in die Lage kam, sich in dieser Angelegenheit an die Staatsregierung zu wenden, ist z. B. ...






Verhandlungen des Reichstages. - Berlin, 1878
Bd.: 50. 1878
Signatur: 4 J.publ.g. 1142 yb,A-50

ID: 00018397
52 /317
... habe sich durch die in Lebus vorgekommenen Fälle von Zmpfschädigungen durch Uebertragung vorr Syphilis auf 26 schulpflichtige Mädchen durch die Revaennation zur Vorsicht beim Impfen zu mahnen veranlaßt gesehen. Ferner behaupten die Petenten, in Tzschetzschnow wären von 81 geimpften Kindern 34 zum Theil schwer nach der Impfung erkrankt und 9 gestorben. Alle diese Fälle kämen aber nach der Behauptung der Petenten nicht zur amtlichen Feststellung, weil die Bezirksärzte stets Richter in eigener Sache seien und nur diese ein Gutachten abzugeben hätten. Welchen Segen die Impfung dem Volk bringe, gehe daraus hervor, daß ein „hochachtbarer und „uneigennütziger Arzt in einer Stadt von 20 000 Einwohnern und deren Umgebung in 1^/s Jahren 150 Fälle von Jmpfschädigungen gesammelt habe, sowie ferner aus den übrigen, in dem dritten „Hilferuf aus Chemnitz mitgetheilten Fällen. Die Petenten sind der Ueberzeugung, daß von 100 Jmpfschädigungen kaum eine öffentlich bekannt werde, vielmehr die Krankheiten und Todesfälle in Folge der Impfung dem Publikum zum größten Theil verschwiegen blieben. Das unnatürliche Verhältniß, daß ein Stand über seine eigenen Erwerbsquellen bestimmen dürfe, basire lediglich darauf, daß die Presse nur mit großer Vorsicht diskutiren dürfe, indem die eine Schmälerung ihres Einkommens fürchtenden Aerzte Unglücksfälle todtschwiegen oder unter anderem Namen verdeckten. Sogar größere Zeitungen wiesen Artikel über die Jmpffrage und impfgegnerische Annoncen und Korrespondenzen zurück, um nicht mit den Hausärzten und anderen Aerzten in Kollision zu kommen. ...

53 /317
... Es wird niemand leugnen wollen, daß, mag auch die Zahl der wirklichen Zmpfschädigungen im Vergleich zu der Zahl der Impfungen immer eine verschwindend kleine bleiben, unter solchen Umständen namentlich in den großen Städten und deren nächster Umgebung das Impfen seine sehr ernsten Seiten hat und die allergrößte Vorsorge nicht allein der Aerzte, sondern auch der Staatsbehörden erheischt. Sei auch damit, hebt der Referent wiederholt hervor, gegen den Nutzen der Schutzpockenimpfung und die Nothwendigkeit des Impfzwangs nichts bewiesen, so frage sich dennoch, ob der Stgat im Stande sei, seinerseits die zur möglichen Sicherung erforderlichen Maßregeln zu treffen. Referent^will diese Frage unbedingt bejahen. Einestheils könne, wie das obige Beispiel zur Evidenz zeige, der vorsichtige Arzt Unheil vermeiden, und anderntheils habe in neuerer Zeit das Impfen mit bis jetzt als durchaus unschädlich erprobter animalischer Lymphe durch Benutzung von Fersen zur Erzeugung derselben eine solche Ausbildung erlangt, daß der allgemeinen Durchführung dieser Art der Impfung selbst ohne allzu erhebliche Kosten nichts im Wege stehe. Der erwähnte Oberimpfarzt Dr. Voigt in Hamburg habe, wie aus dem oben zitirten Bericht hervorgehe, die Impfung mit Kälberlymphe mit vollständig befriedigendem Erfolg in jener Stadt durchgeführt, und in Dresden sei der dortige Jmpfarzt Dr. Chalybäus im Begriff, das Gleiche auszuführen. Zn Berlin habe sich seit Zähren das Privatinstitut des Dr. ...

54 /317
... In der hierauf folgenden Debatte bemerkt zunächst der Korreferent der Kommission: Er sei nicht gegen das prophylaktische Impfen, wohl aber aus politischen Gründen entschiedener Gegner des Impfzwangs. Wenn er demungeachtet dem Votum des Referenten zustimmen werde, so geschehe das, weil er einerseits den Referenten für objektiv und unparteiisch genug halte, daß derselbe, im Fall er die Petitionen für begründet erachte, selbst einen Antrag auf Berücksichtigung der Petitionen stellen werde. Andrerseits sei aus den von dem Referenten gestellten Anträgen zu erkennen, daß der Inhalt der Petitionen des Eindrucks nicht verfehlt habe, obgleich die Art und Weise, wie die Jmpfgegner die Sache behandelten, durchaus nicht dazu angethan erscheine, die günstige Meinung der Jmpffreunde zu erschüttern. Fanatismus mache immer einen ungünstigen Eindruck und müsse hier zu Gunsten der Impfung stimmen. Namentlich sei der Petition des Dr. Wendrikowski, eines alten erfahrenen Arztes, zu Gunsten des Impfzwangs ebenso große Sachlichkeit als überzeugende Kraft nachzurühmen. Der Absicht, einen Antrag einzubringen, dahin gehend. Die Kommission wolle beschließen: die Petitionen dem Reichskanzler zu überweisen mit dem Ersuchen, eine gründliche Prüfung der einschläglichen Verhältnisse und Thatsachen zu veranlassen; entsagt Korreferent nach Anhörung der oben mitgetheilten Anträge des Referenten. Nach Eröffnung der Diskussion ergriff zunächst der Vertreter des Gesundheitsamtes, Geheimer Regierungsrath Dr. ...

55 /317
... Das Gesundheitsamt ist daher der Ueberzeugung, daß wohl zur Vorbeugung gesundheitsschädlicher Uebertragungen beim Impfen der möglichst wirksame Weg mit Aufgebot aller Mittel aufgesucht werden sollte, daß dagegen zu einer Infragestellung der wesentlichsten Grundlagen unseres Jmpfgesetzes durchaus kein hinreichendes Motiv vorliege. Der Vortragende bittet daher im Interesse der öffentlichen Gesundheitspflege dringend, alle auf eine Abschaffung der obligatorischen Impfung abzielenden Anträge abzulehnen. Als Ueberreicher einiger Petionen gegen den Impfzwang weist Abg. Reichensperger in längerer Rede auf seine bei den Verhandlungen der Jmpffrage im Reichstage eingenommene Stellung hin, in die er durch die Beschwerden der Gegner, mit welchen er überfluthet wurde, gedrängt worden sei. Früher hätten die Jmpffreunde im Reichstag der Impfung die Gefährlichkeit schlechtweg abgesprochen, jetzt sei man wenigstens insofern zu besserer Einsicht gekommen, als man doch mehr als früher die Jmpfschädigungen aufmerksam verfolge. Der Redner erwähüt, daß zwei ihm bekannte Persönlichkeiten von einem seitens eines angesehenen Arztes für gesund erklärten Stammimpfling durch einen Chirurgen geimpft worden und nach der Impfung an Erscheinungen - einer spezifischen Krankheit ernstlich erkrankt und heute noch nicht völlig wieder gesund seien. Derselbe Wundarzt, welcher noch 35 Andere von jenem Stammimpfling impfte, wurde gerichtlich wegen Jmpfschädigung verurtheilt. Eine große Menge der vorkommenden Jmpfschädigungen würden nicht konstatirt, zumal es für die Mütter schwer sei, es zu sagen, wenn ihr Kind etwa syphilitisch infizirt worden. Dem Jmpffanatismus stehe jetzt der Antiimpffanatismus gegenüber und greife derselbe namentlich in England so sehr um sich, daß selbst eigene Journale gegründet worden seien zum Zwecke der Agitation. ...






Verhandlungen des Reichstages. - Berlin, 1879
Bd.: 57. 1879
Signatur: 4 J.publ.g. 1142 yb,A-57

ID: 00018406
56 /317
... Theodor Poppe, Kaufmann in Artern, glaubt durch das Verbot des Schafimpfens sei das Impfen als mörderisch erwiesen und eine Missethat könne dadurch nicht zur Wohlthat werden, daß man sie vom Schaf auf den Menschen übertrage. Außer vielen schrecklichen Uebeln werde durch das Impfen die Milcharmuth unter den Menschenmüttern gefördert und damit der Kindersegen zu einer Quelle schwerer Opfer und unwissentlicher Gesundheitsschädigungen; das Sakrament der Ehe werde zu einem Wehestand für die Eheleute und zur Mördergrube für die Gesundheit der Kinder. Die Familien und die deutsche Nation siechten durch den Impfzwang langsam aber sicher dahin, sie verseuche immer mehr, der Reichstag möge deshalb Erbarmen haben und den der Nation durch den Impfzwang zugefügten Leiden Einhalt gebieten. II. 1090. Freiherr Wilhelm Krenig von Solingshofen und Aug. Zoepperitz, Vorstand und resp. Sekretär der Hahnemannia in Stuttgart, bestreiten die günstige Wirkung des Zennerschen Verfahrens nicht, wenden sich aber gegen den Impfzwang und die durch denselben herbeigeführten Schädigungen durch Verwendung schlechter Lymphe. Die Schädigungen seien bei der jetzigen Impfweise deshalb besonders groß, weil ächte Kuhpockenlymphe nicht in genügender Menge zu beschaffen und die Aerzte die verschiedenen am Kuheuter auftretenden Ausschläge nicht genügend zu unterscheiden wüßten, wie dies ein Gutachten des Direktors der Thierarzneischule in Stuttgart, Or. v. Rueff, schlagend darlege. So habe auch, behaupten die Petenten Or. Wied emann, der Centralimpfarzt in Stuttgart, sogenannte Spitzpocken am Kuheuter für ächte haltend, zur Lymphentnahme benutzt, und dadurch schweren Schaden angerichtet. ...

57 /317
... Durch das Gesetz gezwungen, mußte er dennoch zwei Kinder impfen lassen und das eine derselben, ein angeblich ganz gesunder 2V2 jähriger Knabe sei der Art — Näheres wird nicht angegeben — an seiner Gesundheit geschädigt worden, daß die Aerzte erklärten, er könne niemals Soldat werden. Unter diesen Umständen glaubt Petent die Revaccination verweigern zu müssen und bittet, da er die verhängten gerichtlichen Strafen nicht mehr erschwingen könne, den Impfzwang ganz zu beseitigen. U. 1324. Der Photograph Belitskr» und 162 Genoffen in Nordhausen werfen dem Berichterstatter der Kommission vor, er habe in verflossener Session zwar eine lange Abhandlung geliefert, aber darin, statt die Gründe der Gegner zu widerlegen, sich nur auf Nebendinge eingelaffen. Ohne andere, als die in den Petitionen des Herrn Belitsky wiederkehrende Argumente vorzubringen, wird auf die bekannte Broschüre des Herrn G. F. Kolb in München verwiesen, welche dem Referenten gleichfalls vorwirft, daß der vorjährige Bericht eine gründliche Prüfung der impfgegnerischen Motive unterlassen habe. Referent glaubt das Urtheil über den Namens der Kommission erstatteten und von ihr genehmigten Bericht, lediglich dieser überlassen zu dürfen II. 1406 und 1408. Ernst Michel, Vorstand des Antiimpfvereins in Spitzenkunersdorf und Robert Reimann, Vorstand des gleichnamigen Vereins zu Olbersdorf, welcher 290 Mitglieder zählt, haben sich darauf beschränkt, ihre Bitte um Aufhebung des Impfzwanges ohne Anführung neuer Gesichtspunkte zu wiederholen. II. 1407. Zn gleicher Weise erbittet der Kaufmann Gustav Schulz in Hamburg die Außerkraftsetzung der KZ. 4, 12, 13 und 14 des Jmpfgesetzes vom 8. ...
... Es sei diese Prüfung um so nothwendiger, um zu erkennen, in wie weit die Unterzeichnerinnen volles Verständniß von dem Inhalt dieses Elaborates gehabt haben mögen, als sie ihre Unterschrift für eine Agitation hergaben, die mindestens grenzenlose Beunruhigung in den Herzen dieser Mütter Hervorrufen müsse, wenn sie sich genöthigt sähen, ihre Kinder impfen zu lassen. Die Petitionen lauten wie folgt: Wir unterzeichnete deutsche Frauen und Mütter richten, als die natürlichen Anwälte der kleinen Kinder, an den hohen deutschen Reichstag die folgende Bitte: I.1 es möge der hohe Reichstag die von dem Reichsgesundheitsamte in Aussicht gestellte sogen. Reform des Zmpfzwangwesens, nämlich die Einführung des Zwangsimpfens direkt von Kuh und Kalb, an Stelle des bisherigen Zmpfens von Arm zu Arm, unter allen Umständen von den wahrhaftig ganz pockenunschuldigen Säuglingen abwenden; II.1 es möge dem Reichstage gefallen — in Erwägung der in Nachfolgendem entwickelten Gründe nebst Belägen — das Reichsimpfgesetz vom 8. April 1874 aufzuheben, und er möge III.1 an Stelle des Impfzwanges — nach Vorgang der neuen deutschen Viehseuchenordnung gegen das Impfen der Schafe —, ein strenges Verbot jeglichenZmpfens zum Gesetz machen. Unsere Gründe: 1. Grund: Die Annahme, auf welche das Zmpfgesetz fußt, als ob in den Pockenseuchejahren 1869/73 die Säuglinge durch ihr Ungeimpftsein das ganze Pockenelend verschuldet und die Pocken unter die geimpften Erwachsenen verbreitet hätten, ist eine aus der Luft gegriffene Verläumdung, die selbst des Scheinbeweises ermangelt. ...

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... Wir sind darauf gefaßt, daß die Zmpfer, welche bekanntlich für Alles, selbst für das Kleinste, was auch nur scheinbar für das Impfen spricht, sehr leicht- und abergläubisch, dagegen für die augenscheinlichsten Beweise, welche gegen das Impfen sprechen, eben so skeptisch und ungläubig sind — einwenden, ein ursächlicher Zusammenhang jenes statistisch allerdings festgestellten Parallelismus von Häufigkeit der Milchpocken-Zmpfung und Häufigkeit des Milchdrüsenschwundes sei wissenschaftlich nicht bewiesen. Als ob für Geimpftsein und Pockenschutz ein besserer, geschweige ein ursächlicher Parallelismus nachgewiesen wäre! Und doch hat man die ganz willkürliche Annahme eines solchen Parallelismus zum Fundament des Zmpfzwanggesetzes genommen, während das constätirte, erschreckliche Zusammengehen von Euterpockenimpfung und Milchdrüsen-(Sechster Bericht der Petitionskommission.) schwund noch immer todtgeschwiegen und von der Hand gewiesen wird. 3. Grund: Zede Mutter kennt, wenn auch nicht immer von den eigenen, so doch von anderen Kindern Schreckensszenen genug, wo auf das Zmpfen der Kleinen unmittelbar ein auffallendes Kränkeln und manchmal sogar ein tödtliches Hinsiechen derselben gefolgt war. Aus der Riesenliteratur solcher, nachweisbar von den Zmpfpusteln ausgehenden, unberechenbar folgenschweren Körperschädigungen führen wir nur einen der allerneuesten Zmpfvergiftungsskandale an: Zn der Zeitschrift „Der praktische Arzt Nr. 11 1878 steht zu lesen: „Eine Epidemie von Zmpf-Spät-Erysipelas. vr. H. . ., Armen- und Zmpfarzt zu Kalk. Bei 30 am 15. Mai geimpften Impflingen sind die Bläschen in Verschwärung übergegangen. Bei der Hälfte dieser Impflinge entstand vom 9. Tage ab Erysipel (Rothlauf), welches bei der Minderzahl sich über den ganzen Körper erstreckte, bei einigen sogar den ganzen Körper mit großen Blasen bedeckte. ...
... Die konstatirten Uebertragungen bestimmter schmutziger Krankheiten durch das Impfen erwähnen wir hier blos vorübergehend. Wir unterzeichnete Frauen waren ja von je her überzeugt, daß die Zmpfceremonie nicht nur eine eben so zwecklose wie sinnlose Spielerei, sondern — wie der Geh. Ober-Medizinal-Rath Prof. Dr. R. Virchow sagt — „auch eine an sich schädliche, volkswirthschaftlich unzulässige Maßregel sei. Unsere heutigen Beweisvorlagen bestätigen diese unsere Annahme und den Ausspruch Virchows von Neuem. Wir beklagen es gewiß tief, daß, um für unsere Bitte um Beseitigung einer Maßregel, welche den Stempel des Wunderglaubens an der Stirne trägt. Gehör zu finden, der wissenschaftliche Nachweis der Sinnlosigkeit dieser Maßregel allein nicht genügt, sondern daß wir Frauen außerdem genöthigt sind, vor den Gesetzgebern, vor 397 aufgeklärten Männern auch noch die große Verderblichkeit, das „An sich Schädliche (Virchow) der Impfung ausführlich zu beweisen. — Die oben aufgeführten drei Gründe sind für uns Frauen durchschlagend genug, ja jeder einzelne dieser Gründe ist ausreichend, um unsere Bitte zu rechtfertigen, der hohe Reichstag möge die schuldlosen Säuglinge von dem abergläubischen Vorwurfe, ein ...

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... Wir beschränken uns daher auch auf die obigen drei Gründe und überlasten es Anderen, in ihren Petitionen vielleicht gewichtigere, geschichtliche und statistische Gründe gegen das Impfen vorzubringen. Wir deutsche Frauen und Mütter haben jetzt bereits sechs Jahre lang zugeschaut, wie im deutschen Reichstage die Herren Volksvertreter nie Zeit gewinnen konnten, die Maffenpetitionen, welche erst um Verhinderung und hernach um Abschaffung des Jmpfzwanggesetzes einkamen, zu erledigen, unbekümmert um die zahllosen armen Kleinen, deren Gesundheit unterdessen dem Jmpfgesetz weiter zum Opfer fiel. Wir haben uns zu dem heutigen Schritte einer ausführlichen Frauenpetition endlich erst dann entschlossen, nachdem wir aus den alljährlichen Berichten der Petitions-Kommisstonen und der Plenarverhandlungen die Ueberzeugung gewonnen hatten, daß die maßgebenden Herren im Reichstage unter keinen Umständen gewillt waren, eine eingehende Prüfung der in den bisherigen Männerpeiitionen vorgelegten Beweisstücke in der Petitions-Kommission aufkommen zu lasten. Für den Fall, daß der hohe deutsche Reichstag uns deutschen Frauen und unserer Petition die nämliche Behandlung sollte zu Theil werden lasten, mit welcher er bisher fast jährlich über die Mastenpetitionen der impfgegnerischen Männerwelt zur Tagesordnung überging, versichern wir schon heute, daß wir alljährlich wie heute in immer verstärkter Anzahl vor den hohen Reichstag von Neuem hintreten werden mit der nämlichen Bitte: Die armen Säuglinge von dem sie unschuldig treffenden Ausnahmegesetze des Impfzwanges zu erlösen. ...

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... daselbst und fuhr von hier nach Grabnick, um die zu 3 Uhr Nachmittags bestellten Kinder dieses Jmpfbezirkes zu impfen. Hier traf er nach Aussage der Betheiligten nicht zu der festgesetzten Stunde, um 3 Uhr, sondern um 5^ Uhr, also 2^/z Stunden später ein, soll auf die anwesenden Leute viel gescholten und sie unfreundlich behandelt haben, vielleicht um etwaigen Vorwürfen über seine Verspätung zu begegnen. Das Geschäft soll sehr eilig abgemacht sein, und viele Frauen behaupten, Dr. D. habe einige Kinder so tief gestochen, daß das Blut an den Armen herabgefloffen und das Hemde von Blut getränkt gewesen sei. Am 26. Juni hielt er in Grabnick die Revision ab, und fuhr nach Beendigung derselben nach dem Kirchdorfe Claußen, um den dort angesetzten Impftermin abzuhalten. Am 9. Juli liefen beim Kreisphysikus und bald darauf auch bei der Königlichen Staatsanwaltschaft in Lyck Anzeigen ein, daß in Folge der öffentlichen Impfung am 19. Juni im Jmpfbezirke Grabnick mehrere Impflinge gestorben seien. 218 ...


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