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Verhandlungen des Reichstages. - Berlin, 1879
Bd.: 57. 1879
Signatur: 4 J.publ.g. 1142 yb,A-57

ID: 00018406
61 /317
... Er sog die Lymphe von dem Kinde, nachdem die Pocken mit der Lanzette geöffnet, vermittelst des Pinsels auf und benutzte einige Stunden darauf sowohl Lanzette als Pinsel zur Impfung in Grabnick, erstere zum Impfen, diesen um die Lanzette mit Lymphe zu armiren. An beiden Gegenständen haftete jedenfalls, am Pinsel noch mehr als an der Lanzette eine Quantität der unverdünnten Natsrio, pooeaus, die den Impflingen in Grabnick in so verhängnißvollem Maße einverleibt wurde. Durch das längere Impfen mit der Lanzette und das wiederholte Eintauchen des Pinsels in das Fläschchen, in welchem die schlechte Lymphe der Elise H. doch in verhältnißmäßig großer Verdünnung enthalten war, reinigte sich allmälig die Lanzette, reinigte sich auch der Pinsel von der den beiden Gegenständen noch anhaftenden Originallymphe des besagten Unglückskindes. So konnte es kommen, daß die Wirkungen derselben, entsprechend dem einverleibten Quantum sich abge-(Sechster Bericht der Petitionskommisfion.) schwächt in vielen einjährigen Impflingen zeigten und bei den 12 jährigen Impflingen, die nach jenen an die Reihe zum Zmpfen kamen, gar nicht mehr zur Erscheinung gelangten. Außer Acht lassen darf man allerdings hierbei nicht, daß kleine einjährige Impflinge durch ihre zartere, gefäßreiche Haut zur Aufsaugung und Aufnahme solcher Stoffe ungleich empfänglicher sind, als 12 jährige Impflinge. Hierzu kommt schließlich, daß das ganze Zmpfgeschäst in Grabnick wegen der argen Verspätung des Zmpfarztes um 2^/2 Stunden in großer Hast und Eile betrieben wurde, die weder ein Reinigen der Lanzette noch eine Sichtung der Kinder möglich machten. ...

62 /317
... Anlangend die mit dem Impfen verbundenen Gefahren für die Geimpften seien ihm dieselbe bekundende Vorkommnisse in großer Zahl, theils durch Druckschriften, theils durch sonstige Mittheilungen zur Kenntniß gekommen. Einen vollgütigen Beweis der Kausalität in dieser Hinsicht zu liefern, sei er, der Natur der Sache nach, nicht in der Lage; es scheine ihm indeß, daß die aktenmäßigen Mittheilungen des Herrn Regierungskommissars Finkelnburg über die schreckliche Katastrophe in Lyck, in Verbindung mit den, im vorigjährigen Berichte näher dargelegten Lebus-Nükauer Falle, schon vollkommen zureiche, um Besorgnisse ernstester Art zu begründen. Möchten die Gefahren auch nicht in der Sache liegen, die Personen der Jmpfärzte seien nun einmal von der Sache nicht zu trennen und in keiner Beziehung sei eine ausreichende Garantie für die Unschädlichkeit geboten. Dazu kämen noch anderweite, nicht leicht zu nehmende Beschwerden für die zu Impfenden und deren Mütter, wie z. B. das Reisen nach den oft weit entlegenen Jmpfstätten bei ungünstigem Wetter u. s. w. Der im vorigen Jahre schon einmal vom Referenten gestellte, im Reichstage zum Beschluß erhobene Antrag habe sich bis jetzt als erfolglos erwiesen und sei auch ein befriedigendes Ergebniß nicht zu erwarten. Dennoch hege er, der Redner, die entschiedene Ansicht, daß es angezeigt sei, den Impfzwang baldmöglichst zu beseitigen. Abg. Or. Rentz sch, welcher einige Petitionen aus seinem Wahlkreis überreicht hatte, bespricht die dort im Wachsen begriffene Beunruhigung wegen der Jmpfschädigungen und die darauf sich gründende Agitation gegen das ...






Verhandlungen des Reichstages. - Berlin, 1880
Bd.: 59. 1880
Signatur: 4 J.publ.g. 1142 yb,A-59

ID: 00018409
63 /317
... Nun unterliegt der Lungenseuche auch das Zugvieh, die Zugochsen, es wird also der ganze Betrieb der Wirthschaft, die Bestellung der Felder auf das empfindlichste gestört, sobald einmal die Lungenseuche ausgebrochen ist, und um dieser Störung der Wirthschaft und dem sehr bedeutenden Schaden, ja man kann fast sagen, dem Stillstand der Wirthschaft zu entgehen, sucht der Besitzer sich zu helfen dadurch, daß er die Thiere impfen läßt, um so nach kurzer Zeit, wenn auch mit einigem Verlust, über die Kalamität hinwegzukommen. Darauf nimmt die Regierungsvorlage keine Rücksicht, sie will die Impfung bei der Lungenseuche unter keinen Umständen polizeilich angeordnet wissen. Was entsteht daraus für ein Zustand? Entweder der Besitzer läßt für seine eigene Rechnung und Gefahr nach wie vor impfen; es wird dann ein Theil des Viehs nach wie vor verloren gehen, der Staat erspart aber die Kosten der Entschädigung für dasjenige Vieh, was nach der Impfung noch gestorben ist. Dieses Vieh stirbt für Rechnung des Besitzers und der Staat macht dabei ein sehr gutes Geschäft auf Kosten desselben, denn wenn eine Impfung nicht vorgenommen worden und voraussichtlich mindestens ebenso viel oder noch mehr Vieh getödtet worden wäre, so würde der Staat für alle diese Thiere Entschädigung zu zahlen haben. Oder der Besitzer verfährt anders und unterläßt, da für geimpftes Vieh keine Entschädigung gewährt wird, die Impfung. ...

64 /317
... Es war also, sowie nur jemand anzeigte bei der Kreispolizeibehörde, daß er impfen wollte, diese Impfung zulässig. Es ist diese Frage der sogenannten Schutzpockenimpfung bekanntlich eine der kontroversesten unter den Landwirthen gewesen. Man hat in einzelnen Theilen Deutschlands, namentlich in Mecklenburg, Pommern, Brandenburg, eben vielfach diese Schutzpockenimpfung angewendet, weil man dadurch, daß man die Lämmer impfte, dieselben sicherte gegen spätere Krankheitsfälle. Man lief dabei allerdings einen gewissen Schaden, indem regelmäßig /s Prozent der Heerde oder 1 Prozent der Lämmer verloren ging und auch einige weitere Unannehmlichkeiten damit verbunden waren, wie die Kosten der Impfung und die Beschränkung des Verkehrs für die Zeit nach der Impfung. Indessen hielt man diese Schutzpockenimpfung für wohlthätig, so lange als eben überall dieGefahr der Ansteckung eine sehr große war. Man glaubte in früherer Zeit übrigens in diesen Gegenden, daß diese Schafpocken originär entstanden. Zn neuerer Zeit hat aber die Wissenschaft ziemlich zweifellos festgestellt, daß die Schafpocken nicht oder wenigstens höchst ausnahmsweise originär entstehen, daß also die Krankheit, wo sie auftritt, nur durch Ansteckung erscheint, daß also diese Schutzpockenimpfung einen wahren Seuchenheerd bildet, von welchem aus die Krankheit immer auf benachbarte Gegenden übertragen wird. Man ist deßhalb immer allgemeiner der Ansicht geworden, daß es sich durchaus empfehle, diese sogenannte Schutzpockenimpfung vollständig zu verbieten. Das nähere ist in den Motiven der Regierungsvorlage ja sehr konzis und schlagend nachgewiesen. ...
... Innerhalb Preußen sind es aber gerade die Provinzen, in denen die Schutzpockenimpfung stattfindet, und da auch wieder tritt das Eigenthümliche hervor, daß gerade in den Monaten, wo die dortigen Schafbesitzer zu impfen pflegen, gerade auch die Schafpocken in anderen Heerden sich recht verbreiten. Es sind nun — ich darf das bei der Gelegenheit erwähnen — an den Reichstag eine Reihe von Petitionen gekommen, die sich entschieden dafür aussprechen, daß dieser Paragraph nicht angenommen werden möchte, und den Gegenden wenigstens, wo sie jetzt besteht, gelassen werden möchte, zum Schutze gegen die Schafpocken zu impfen. Diese Petitionen gehen aber aus von Einwohnern der Provinzen Brandenburg, Pommern und Mecklenburg. Dagegen liegen uns aber auch andere Petitionen vor, z. B. von Frankfurt a. M., und dann die Denkschrift des deutschen Landwirthschaftsraths, die sich ganz entschieden dafür aussprechen, daß diese Schutzpockenimpfung künftig ganz verboten werden möchte. Ich mache Sie besonders aufmerksam auf diese Denkschrift des deutschen Landwirthschastsraths, in dem ja bekanntlich alle landwirthschaftlichen Zentralvereine Deutschlands vertreten sind, die eben dringend wünscht, daß jetzt diese Schutzpockenimpfung für immer beseitigt werde. Man hat sich hier bei der ersten Lesung nun gegenüber dieser Vorschrift berufen auf die Bestimmung des preußischen Gesetzes, ich glaube, es geschah von dem Herrn Grafen Behr — und hat gemeint, daß, wenn man damals die Schutzpockenimpfung zugelassen habe, man wohl thäte, es auch jetzt zu thun. ...

65 /317
... Aber die Thierärzte, namentlich in Pommern, sind seit langer Zeit der Ueberzeugung, daß auch in Pommern die Seuche nur durch Ansteckung entsteht, sie haben seit langen Jahren an die Oberveterinärbehörde in Berlin berichtet, daß es ein radikales Mittel wäre, um die Seuche zu vertreiben, daß man allgemein das Impfen untersagt. Auch in Pommern, Brandenburg und Mecklenburg ist man keineswegs ausschließlich der Ansicht, daß die Schutzpockenimpfung gestattet werden sollte, sondern die Ansichten sind getheilt und wir haben in der Kommission eben von einem Herrn aus Pommern das Verbot der Schutzpockenimpfung vertheidigen hören. Zm preußischen Abgeordnetenhaus wurde von Professor Baumstark hervorgehoben, daß in Neuvorpommern nur 25 Prozent der Schafe geimpft würden, die übrigen 75 Prozent der Schafe also der Gefahr der Seuche durch diese Schutzpockenimpfung ausgesetzt würden. Zn der Regel sind es in diesen Landestheilen allerdings die Schafe der Bauern, die angesteckt werden, weil die Bauern nicht impfen, während die Besitzer der großen Stammheerden impfen. Die Besitzer dieser großen Stammheerden glauben nun, daß eine ungeheure Gefahr für sie daraus entstehe, wenn sie ihr „gutes Recht der Impfung aufgeben müssen. Es gibt aber sehr viele Theile Deutschlands, in denen es auch Stammheerden gibt, deren Besitzern es aber nicht einfällt, die Schutzpockenimpfung anzuwenden. So erwähne ich, daß in ganz Schlesien die Schutzpockenimpsung nicht stattfindet. ...

66 /317
... Zch weiß sehr wohl, daß ein Kausalnexus vorhanden ist zwischen den natürlichen Pocken und zwischen den geimpften, nämlich der: weil die natürlichen Pocken dort herrschen, wurde geimpft, die natürlichen Pocken waren das primäre und das Impfen das sekundäre. Zch kann Sie in dieser Beziehung auch mit einigem Material versehen; ich muß mich natürlich darin sehr einschränken. Es ist dasjenige Material, welches beweist, daß bei diesen Pockenausbrüchen in den Gegenden, wo geimpft wird, die Zeit des Ausbruchs der natürlichen Pocken und die Zeit der Impfung sich so zu einander verhält, daß durchaus kein konstantes Verhältniß vorliegt und ein Schluß im Sinne der Motive nicht gezogen werden kann. Ich werde in dieser Beziehung nur einen Fall hier vortragen, der mir zugegangen ist und der die Impfung auf einer großen Herrschaft in Posen betrifft. Dort haben während 22 Zahre Schutzimpfungen stattgefunden. Diese Herrschaft liegt in der Weise zersprengt, daß bäuerliche Gemeinden dazwischen liegen. Nun haben fünfmal während dieser 22 Zahre in diesen bäuerlichen Gemeinden, wo nicht geimpft wird, Pockenausbrüche stattgefunden, aber merkwürdigerweise fanden diese Pockenausbrüche in diesen fünf Malen stets 4 bis 8 Wochen vorher statt, ehe die Impfung stattgefunden hatte. Wenn also die natürlichen Pocken acht Wochen vorher ausbrechen, so können sie unmöglich als eine Folge angesehen werden. ...
... Seit dem Jahre 1806 hat die preußische Regierung empfohlen, die Pocken zu impfen, als das geeignetste Mittel gegen die Exiportie, heute kommt die Reichsregierung und sagt, das ist Unsinn, das dürft ihr nicht mehr, das war falsch. Die Statistik also, wie ich die Ehre gehabt habe den Herren vorzutragen, hat das nicht bewiesen, was sie beweisen sollte, nämlich den Klauselnexus. Zch habe im Gegentheil an einem einzelnen Fall bereits nachgewiesen, daß es umgekehrt ist. Nun, meine Herren, komme ich zu der wissenschaftlichen Seite. Zch will nur noch bemerken, daß wir eine Folge der Pockenimpfung bemerkt haben,, und das wird gewiß von keiner Seite bestritten werden, nämlich, daß die Pocken, — wie sie sich historisch entwickelt haben, ist ja jedem bekannt, — seitdem die Schutzimpfung der Lämmer stattgefunden hat, intensiv und extensiv abgenommen und nicht zugenommen haben. Das ist also eine historische Thatsache. Also es liegt auch da kein Bedürfniß vor. Wenn uns nun die Statistik nicht überzeugen kann, so kann es die Wissenschaft noch weniger und zwar aus dem Grunde, weil sie darüber streitet. Die Wissenschaft, die Sachverständigen, die Veterinärwissenschaft, die Aitiologie und die anderen Zweige einschlägiger Wissenschaft streiten darüber, erstens, ob überhaupt die natürlichen Pocken in unserer Gegend originär sich entwickeln oder ob sie nur durch Uebertragung entstehen, worüber ja der Herr Referent schon gesprochen hat; zweitens ob ein Unterschied ist zwischen der sogenannten wilden Lymphe und der sogenannten kultivirten Lymphe, das. ...

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... Mai Revision und eventuell zweites Impfen; es wiederholt sich dasselbe, also am 20. bis 22. Mai dritte Impfung. Da nun selbst bei der dritten Impfung sich Thiere zeigen, die in ihrer Pocke den Beweis wirksamer Impfung haben, die am 1. Mai geimpften aber am 13. Mai schon in der Abheilung begriffene Pocken zeigen, die doch ansteckend wären, so entsteht die Frage, wie geht es zu, daß die am 22. Mai geimpften Lämmer hier nie und zu keiner Zeit die natürlichen Pocken hatten, und ob denn wirklich die Schutzimpfung mit kultivirter Lymphe so gefährlich für ungeimpfte Heerden ist? Die Lämmer waren doch in dem Pockenkontagium Ohr an Ohr mit ihren schon in der Abheilung begriffenen Kollegen. Das sagt der eine; ein anderer, ein Thierarzt zeigt mir an: Auf einem Hofe hiesiger Gegend werden alljährlich den Lämmern die Schutzpocken gelegt im zeitigen Frühjahr; den nachgeborenen Lämmern werden die Pocken im Herbst gelegt. Wie geht es dann zu, daß unter diesen nachgeborenen Lämmern, die doch schon lebten als die Kollegen in der Abtheilung, nie die natürlichen Pocken ausbrachen? Meine Herren, ich habe Zhnen nur nachweisen wollen, daß weder die Statistik noch die Wissenschaft über diese Frage einig ist, und da glaube ich denn doch, ist es ein gefährlicher Schritt, daß man werthvolles Eigenthum vieler Privaten als vorpns vils für legislatorische Experimente benutzt — ich könnte sagen, daß man es opfert, denn ich bin der festen Ueberzeugung, daß vieles Eigenthum geopfert wird. Ich frage mich, was will man an die Stelle dieser bewährten Art der Selbstversicherung setzen? ...
... sie ist nicht da; Sie können nicht mit gut kultivirter Lymphe impfen, sondern müssen die der bösartigeren natürlichen Pocken nehmen. Andererseits aber setzt man die Landwirthe in die allergrößte Verlegenheit, und darauf möchte ich noch besonders aufmerksam machen: Wie denken Sie sich die Nothimpfung ausgeführt in den Fällen, wo sie meistens eintreten wird, nämlich im Sommer, wenn die Thiere auf der Weide sind, wenn da die Pocken ausbrechen, wo soll der Besitzer mit seiner Heerde hin? Solche Höfe gibt es wohl kaum, wo die Trift zur Weide nicht über Chausseen oder Landstraßen vorbeiführte, oder an fremden Aeckern. Futter hat der Mann nicht. Also ihm bleibt nichts anderes übrig, als die Schafe rechtzeitig abzuschlachten; sonst würde er die Schafe, die ihm die Pocken übrig taffen, durch Hunger verlieren. Es ist absolut unmöglich, Sperrmaßregeln bei der Nothimpfung durchzuführen. Zch will Sie nicht weiter mit Argumenten behelligen, ich möchte Zhnen nur den Rath geben, die beiden kleinen Monographien von Schuhmacher und Bohm, die den Herren zugegangen sind, gründlich zu stiünren. ...

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... Da finden Sie nun, meine Herren, daß in allen den Landestheilen, die die früher berechtigte Eigenthümlichkeit zur Zeit noch frequentiren, zu impfen, daß dort das Auftreten der Pockenepidemie am größten ist. Zn Ostpreußen, wo fast gar nicht geimpft wird, da sehen wir im Berichte, daß unter den gesammten Gehöften nur in 280 die Pocken auftreten; in Westpreußen wird bedeutend mehr geimpft, schon in 412 Gehöften, in Brandenburg in 189, in Pommern in 946, — (hört!) in Posen in 10 Gehöften, in Schlesien, wo gar nicht geimpft wird, in keinem einzigen Gehöfte, in Sachsen nur bei einem einzigen Gehöfte, in Hannover, wo auch nicht geimpft wird, in 13. Diese Daten, meine Herren, bestätigen wie in seltenen Fällen, die praktische Seite der Statistik, die Hand in Hand geht mit der Wissenschaft und Praxis, und Zahlen zu Tage gefördert hat, die Zeden überzeugen müssen. Hiernach kann ich das hohe Haus nur bitten: es möge der Praxis und Wissenschaft Gerechtigkeit widerfahren lassen und demzufolge das Amendement Flügge und Genossen ablehnen. (Bravo! rechts ) Präsident: Der Schluß der Diskussion ist beantragt von dem Herrn Abgeordneten Büxten. Diejenigen Herren, welche den Schlußantrag unterstützen wollen, bitte ich, sich zu erheben. (Geschieht.) Die Unterstützung reicht aus. Ich bitte nun diejenigen Herren, welche die Diskussion schließen wollen, sich zu erheben resp. stehen zu bleiben. (Geschieht.) Das ist die Mehrheit; die Diskussion ist geschlossen. Zu einer persönlichen Bemerkung hat das Wort der Herr Abgeordnete Flügge. ...






Verhandlungen des Reichstages. - Berlin, 1881
Bd.: 65. 1881
Signatur: 4 J.publ.g. 1142 yb,A-65

ID: 00018435
69 /317
... Wer an das Zmpfheil glaube, wer meine, die Impfung beeinträchtige die naturgemäße körperliche Entwickelung nicht und wirke nur einseitig auf die Pocken, der möge sein Kind impfen lassen so oft er wolle; für Denjenigen aber, dessen Ueberzeugung die gegentheilige, sei der Impfzwang eine nicht zu rechtfertigende Härte. Zn der Petition Zourn. II. Nr. 522 führt C. Diedrich in Hamburg aus: Nachdem bereits seit Jahren vergeblich die Aufhebung des Impfzwanges erstrebt worden sei, wären allmälig durch die immer weiter sich verbreitende Ueberzeugung der Schädlichkeit des Zmpfens Rechtszustände entstanden, die mit der Würde des Staatswesens nicht mehr vereinbar erschienen. Einestheils würden endlose Schreibereien veranlaßt durch die an die renitenten Zmpfpflichtigen gerichteten Mahnungen, anderntheils könne durch das Gesetz die Jmpfverweigerung nur durch Geldstrafe geahndet werden, wodurch dasselbe zu einer Steuer für die wohlhabenderen Zmpfgegner werde. Dies um so inehr, als ein Erkenntniß des Königlich sächsischen Oberappellationsgerichts durch die Anwendung des Grundsatzes „Non bis in iäsin, auch auf das Strafverfahren gegen die Zmpfverweigerung die Strafe nur einmal für zulässig erkläre. Nicht allenthalben aber urtheilen die Gerichte so juristisch sachgemäß, und es werde in seltenen Fällen auf ein richterliches Urtheil provozirt. Es entstehe dadurch eine Rechtsungleichheit, welche dringend daran mahne, entweder den bestehenden Impfzwang aufzuheben, oder ihn ...

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... Schütze das Impfen thatsächlich gegen die Pocken, dann könne Zeder sich selber helfen, schütze es aber nicht, dann sei der Zwang erst recht sinnlos, weil eben nichts dadurch erreicht werde. Gegenüber so notorischer Gefahr müsse allermindestens der Impfzwang durch Beseitigung des Gesetzes vom 8. April 1874 aufgehoben werden, worum der Petent den Reichstag bittet. Zourn. II. Nr. 660 und 2446. Der Rechtskonsulent Baumert aus Bunzlau rechtfertigt seine Bitte um sofortige Aufhebung des Impfzwangs dadurch, daß er ausführt: der Natur der Sache nach müsse der eingeführten Zwangsmaßregel gegenüber der Staat auch Garantie für deren Zweckdienlichkeit übernehmen. Könne er dies nicht, so werde die Maßregel zu einer Unrechtmäßigkeit. Diese letztere sei aber um so offenbarer, als nach dem eigenen Zugeständnis der Impfer die Pockenschutzfrage noch ungelöst und nicht einmal über das Stadium des Experimentirens hinausgekommen sei. Der frühere Referent Dr. Thilenius, der im Reichstag die beneidenswerthe Stellung einnehme, Antragsteller, Begutachter und Richter in einer Person zu sein, habe selber zugestehen müssen, daß die Richtigkeit der Zmpftheorie noch nicht bewiesen und eine brauchbare Statistik erst mit Hülfe des neuen Gesetzes gewonnen werden könne. Einem solchen Ausspruch gegenüber sei denn doch das Recht der Staatsbürger zu heilig, als daß man seine Person zu ärztlichen Versuchsproben zu Gunsten der Chimäre des Zmpfwunders hergeben solle. Ob berechtigt oder nicht, sei eine Zwangsmaßregel, die erst durch Erfolge ihre Zweckmäßigkeit beweisen müsse, unter allen Umständen verwerflich und ein juristisches Monstrum. ...
... Hieraus dürfe man indessen nicht schließen, daß das Volk sich in gleichem Verhältniß zu der Impfschutztheorie bekehrt habe, vielmehr sei der ärmere und unaufgeklärtere Theil nur der harten Geld- und Gefängnißstrafen überdrüssig geworden und lasse deshalb impfen. Aus eigener Erfahrung will Petent wissen, daß wenigstens in der Oberlausitz ein großer Theil der ländlichen Bevölkerung erst durch empfindliche Strafen zur Kenntniß des Gesetzes gelangt sei. ^ Noch jüngst seien von dem Schöffengericht in Zittau eine ganze Anzahl Familienväter wegen unterlassener Impfung der Kinder bestraft worden, obwohl sie nicht aus Renitenz, sondern lediglich aus Unkunde die Impfung unterlassen hätten, da sie zum Halten des Amtsblattes, worin die Impftermine für die Dörfer veröffentlicht wurden, zu arm seien. Zn diesem Fall um so härter, als früher vor der Einführung des direkten Impfzwanges auf den Dorfschaften die Impflinge von Gemeindeboten zu den Impfterminen einzeln, Haus für Haus, eingeladen zu werden pflegten. Es folgt nun eine Kritik des Verfahrens der Petitions-Kommission gegenüber den impfgegnerischen Petitionen. So wird hart getadelt, daß sie den sehr wohlbegründeten Antrag des Korreferenten ...

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... April 1874 ein neues Gesetz schaffen, kraft dessen ausdrücklich jegliches Impfen der Menschen, namentlich der Säuglinge, unter eben solchen Strafandrohungen verboten werde, unter welchen das Impfen der Schafe durch das neue Viehseuchengesetz vom Mai 1880 verpönt ist. Zourn. II. Nr. 40, bittet auch der Kaufmann H. Pyrlaeus aus Herrenhut um schleunige Aufhebung des Impfzwanges, ohne andere als die bekannten Gegengründe beizubringen: daß nur die Aerzte an dem Impfen pekuniär interessirt seien, daß der Beweis für denselben durch unparteiische, nicht aus Medizinalräthen und Jmpfärzten bestehende Beurtheiler statistischer Ermittelungen nicht geführt sei, daß ein wirklicher Pockenschutz durch die Impfung herbeigesührt werde. Die zum Theil amtlich konstatirten Fälle von Zmpfschädigungen häufen sich in erschreckender Weise. Ferner sei der Beweis nicht geführt, daß Fälle von Erkrankungen und Tod vorher gesunder Kinder durch die Impfung nicht existirten und auch eine Uebertragung anderer Krankheiten nicht stattfinden könne. Von der kriminalen Strafbarkeit der Einführung eines starken Giftes in den Körper werde beim Impfzwang zu Gunsten eines geldverdienenden Standes eine Ausnahme gemacht. Der gewissenhaften Statistik über die Zmpffrage sei man bisher aus dem Wege gegangen und habe an deren Stelle parteiische Gutachten der als Richter in eigener Sache urtheilenden Impfer gesetzt. Sie spreche nur für die Unwiderleglichkeit der Gründe der Zmpfgegner und dafür, daß der Impfzwang weder eine unbefangene Prüfung vertrage noch Berechtigung habe. Die Zmpfstatistik des Dr. ...

72 /317
... Wäre sie heilsam, so müßte sie Gesundheit und Lebensdauer befördern, der Rückschritt der Kulturvölker in sanitärer Beziehung stehe aber fest, und daran sei das Impfen mit schuld. Schließlich sagt Petent, alle Krankheiten, auch die Blattern, würden durch Vermeidung der krankmachenden Ursachen init Hülfe der Beobachtung der Gesundheitsgesetze vermieden. Er vergißt aber anzuführen, welcher Art diese Gesundheitsgesetze sind. Zourn. II. Nr. 2837. Auch Herr Oidtmann aus Linnich erscheint mit einer Petition auf dem Plan, welche in dem Triumphgeschrei gipfelt, daß der Medizinalrath Dr. Flinzer auf dem Aerztetag von 1879 in Eisenach die von dem Vertreter des Kaiserlichen Reichsgesundheitsamts gegenüber den impfgegnerischen Petitionen im Jahre 1878 als so überaus beweiskräftig gerühmte schwedische Pockenstatistik als gänzlich falsch bezeichnete und damit den Bann des langjährigen Irrthums der Schutzpockentheorie unter dem Beifall aller Anwesenden, darunter auch des Abgeordneten Dr. Thilenius, gebrochen habe. Diesen Sturz der Jmpfschutztheorie habe die medizinische Presse perfider Weise verschwiegen und es damit verschuldet, daß auch die Königliche Akademie der Medizin in Brüssel am 29. Januar 1881, hauptsächlich gestützt auf die Statistik der Pockensterblichkeit Schwedens, also auf ein Faktum, welches von den Aerztevereinen Deutschlands als falsches nachgewiesen und verworfen worden sei, sich für die Einführung des Impfzwanges ausgesprochen habe. Dasselbe Schauspiel wiederholt sich in Paris, wo am 7. Februar 1881 ein Kommissionsbericht, der sich auf von der deutschen Statistik längst als Irrthümer erwiesene Dinge stütze, eingebracht worden mit der Empfehlung des Impfzwangs. ...

73 /317
... Wenn nun, fährt Korreferent fort, dieser sein hoher Gönner und Freund dennoch für das Impfen sei, so komme dieses daher, weil derselbe an die Schutzkraft der Vaccination und Revaccination für 10 bis 12 Jahre glaube „und jene paar traurigen Syphilisfälle verschwindend klein werden im Verhältniß zu dem Maffenunglück einer Blatternepidemie; aber gerade dieser Glaube, den auch er, Korreferent, bis auf die letzten zwei Jahre noch getheilt habe, sei in ihm durch die in der letzten über ganz Europa hin gezogene Pockenepidemie der Jahre 1871/72 und die an Vaccinirten und Revaccinirten gleichmäßig angerichteten Verheerungen aufs Tiefste erschüttert worden. Das führe den Korreferenten zu den drei ersten Sätzen der zwei Gutachten der wissenschaftlichen Deputation für das Medizinalwesen. Daß die Jmpfgegner die Richtigkeit dieser drei Sätze bestreiten, ist selbstverständlich; aber auch die Jmpffreunde thun ihre Unhaltbarkeit dar. Sie führen durch Zahlen aus, daß die Mortalität in allen von der Pockenepidemie heimgesuchten Ländern seit Einführung der Vaccination nicht abgenommen, sondern eher zugenommen habe, sie geben ferner zwar einen Schutz der Vaccination und Revaccination zu, aber sie weichen bezüglich der Dauer des Schutzes außerordentlich stark von einander ab, verwerfen in ihrer Mehrheit durchweg die lange Dauer von 10 oder gar 12 Jahren und behaupten, man könne nicht oft genug impfen und wiederimpfen. Zudem gehen die Jmpfsreunde sehr auseinander in ihren Ansichten darüber, in welchem Falle mit Erfolg geimpft sei. Um nur eine Autorität aus der Zahl der Jmpffreunde der Kommission vorzuführen, erinnere Korreferent an Professor Dr. ...

74 /317
... Die aus diesen und anderen Schriftstücken gezogene Quintessenz faßt Korreferent schließlich in folgende Sätze zusammen: 1.1 Angenommen, das Impfen sei eine Wohlthat, so dürfen Wohlthaten nicht aufgedrungen werden. 2.1 Angenommen, die Vergiftung oder Durchseuchung des Blutes zum Zwecke der Entgiftung oder Bewahrung vor Ansteckung habe sehr häufig guten Erfolg; aber ein absolutes unfehlbares Mittel gegen die Pockenkrankheit sei die Impfung nicht. Der Staat garantirt weder für die Reinheit der Lymphe, noch weniger giebt er den Eltern, deren Kinder an der Gesundheit geschädigt werden, oder gar in Folge der Impfung sterben, die mindeste Entschädigung. Ein solcher Zwang aber ist ungerecht und unmoralisch. 3.1 Höchst ungerecht und unsittlich aber ist dieser Zwang Eltern gegenüber, welche das Impfen für eine der Gesundheit und dem Leben ihrer Kinder schädliche Maßregel halten. Der Staat zwingt diese Eltern, an ihren Kindern eine Operation vornehmen zu lassen, die in ihren Augen schädlich also vor ihrem Gewissen verwerflich ist. 4.1 Mit demselben Rechte, mit welchem der Staat sich herausnimmt, in die persönliche Freiheit und das Recht der Eltern einzugreifen im Kampfe gegen die Menschenpocken, könnte er Arzneimittel gegen Cholera, Dyphteritis, Typhus u. s. w. auf dem Zwangswege vorschreiben, und so die Eingriffe in die persönliche Freiheit unter dem Vorwände des allgemeinen Wohles willkürlich vermehren. Gesetzt, solche noch so sehr erprobte Heilmittel lassen die besten Erfolge hoffen, so käme doch auch hier wieder der Grundsatz zur Anwendung: Wohlthaten drängt man nicht auf. ...

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... Die erste dann wiedereinfallende Pockenepidemie werde sofort den traurigsten Nachweis liefern, was es heiße, nicht in genügender Weise impfen zu können. Für alles Elend, welches die wahren Blattern für die Menschen im Gefolge hätten, wie, abgesehen von den tödtlich verlaufenden Fällen, die schwere Entstellung des Gesichts, Erblindung, Gelenkvereiterung, Kehlkopserkrankungen, Lähmungen u. s. w. würden diejenigen die Verantwortung mitübernehmen, welche zur Zeit die Aufhebung des Impfzwanges herbeiführen. Daß auch Geimpfte erkrankten, werde von keinem vernünftigen Menschen bezweifelt, daß aber ihre Erkrankung an sich weit weniger tödtlich und unter allen Umständen ungleich weniger mit so schweren Nachkrankheiten verlaufe, das zu bestreiten, sei den Zmpfgegnern bisher noch nicht gelungen. Wenn Referent somit seine Ueberzeugung von der Nothwendigkeit des Impfzwangs vollkommen aufrecht erhalte, so könne er nur in jeder Richtung alle Maßnahmen befürworten, die dahin führten, die Zmpfung zu sichern und den nach allen Seiten unanfechtbaren Beweis für ihren Nutzen zu schaffen. Von diesem Gesichtspunkt aus habe er gegen den Antrag, welcher fernere statistische Erhebungen und eine möglichst erfolgreiche Beaufsichtigung der Thätigkeit der Aerzte herbeiführen wolle, absolut nichts einzuwenden und lege dem gegenüber auf seinen Antrag, über die Petitionen zur Tagesordnung überzugehen, kein Gewicht. — Der Korreferent führt sodann noch seinerseits aus: Der Referent habe behauptet: In allen den vorliegenden Petitionen komme absolut nichts Neues vor, es seien immer die alten Klagen, Verunglimpfungen, Vorwürfe und Redewendungen, folglich könne man über dieselben um so leichter zur Tagesordnung übergehen. ...
... Wer will, soll seine Kinder impfen lassen können, und wer es nicht will, den soll der Staat auch nicht dazu zwingen! — Bei der nun folgenden Abstimmung wird unter Ablehnung aller anderen Anträge von der Kommission beschlossen, dem Reichstag vorzuschlagen, er wolle beschließen, den Herrn Reichskanzler in Veranlassung der vorliegenden Petitionen zu ersuchen: 1.1 statistische Erhebungen über die Erfolge der Impfung und über deren Einwirkung bezüglich Verbreitung der Pockenkrankheit anstellen und fortsetzen zu wollen, 2.1 über die zweckmäßigste Form einer erfolgreichen Beaufsichtigung der Thätigkeit der Jmpfärzte Unter- ...






Verhandlungen des Reichstages. - Berlin, 1883
Bd.: 71. 1882/83
Signatur: 4 J.publ.g. 1142 yb,A-71

ID: 00018441
76 /317
... Tage zu impfen, wie das bei uns längst Vorschrift ist. Dann wird schon ein großer Theil der Fälle, welche so unglückliche Folgen nach sich gezogen haben, in Wegfall kommen. In gewissen anderen Fällen, welche auch in Deutschland vorgekommen sind, haben es die Aerzte an der nöthigen Sorgfalt fehlen lassen insofern, als sie sich von der Gesundheit der Stammimpflinge nicht hinlänglich überzeugt haben. Der Stammimpfling sollte übrigens mindestens sechs Monate alt sein, weil dann bei ihm in der Regel schon die deutlichen Spuren der elwa in dem Körper schlummernden Syphilis zum Vorschein gekommen sein werden. Nun muß ich noch darauf aufmerksam machen, daß, wenn diejenigen Versuche, welche gegenwärtig nicht nur in unserem Reichsgesundheitsamte, sondern in den weitesten ärztlichen Kreisen mit großer Ausdauer und Sorgfalt angestellt werden, die animalische Lymphe in die allgemeine Praxis einzuführen, zum Abschlüsse und zum glücklichen Ausgange geführt sein werden, dann von der Möglichkeit der Ueberimpfung der Syphilis nicht mehr die Rede sein kann. Bis jetzt stehen dieserVerallgemeinerung der Anwendung animalischer Lymphe noch gewisse technische Schwierigkeiten im Wege; indessen ist zu hoffen, daß sie bei den fortgesetzten Bemühungen der ärztlichen Kreise sowohl wie der Behörden und-Negierungen überwunden werden, und dann wird auch dieses Bedenken beseitigt sein. Was soll ich sagen, meine Herren, von den übrigen angeblich der Impfung zur Last fallenden Gefahren? was soll ich sagen davon, daß in Folge der Impfung heutzutage die Frauen nicht mehr Nahrung genug haben sollen, um ihre Kinder zu säugen? ...

77 /317
... Lassen Sie das Impfen fakultativ fortbestehen; aber, meine Herren, tasten Sie das Prinzip der persönlichen Freiheit nicht an, solange die Ermittlung der Wahrheit noch von anzustellenden Experimenten abhängig ist. Meine Herren, wahr ist, was in dieser Beziehung der Abgeordnete Taylor im englischen Parlament gesagt hat — mit Genehmigung des Herrn Präsidenten werde ich nur erlauben, diese Stelle vorzulesen. Er sagte in einer Rede, die er anno 80 im Parlament über den Impfzwang hielt. Folgendes: Je weniger der Staat sich in die häuslichen Angelegenheiten der verschiedenen Bruchtheile der Gesammtheit bezüglich ihrer Gewohnheiten, Sitten und Gebräuche mischt, desto besser ist es sowohl für den Staat als für das Volk, und vor allem ist es nicht wünschenswert!», außer in dringenden Fällen, daß der Staat beispielsweise die jeweils herrschenden Modetheorien der Aerzte der Bevölkerung gegen ihren Willen aufnöthigt. Ich meine, nach den gemachten Erfahrungen sollte man unserem Wunsche um so mehr gerecht werden, als, wenn sich auch alles das bewahrheiten sollte, was uns von der Unschädlichkeit der Lymphe erzählt wird, welcher Satz indessen durch die neusten Vorkommnisse in Herbsleben eine sehr bedenkliche Illustration erleidet — ich werde mir erlauben, kurz aus dieselbe zurückzukommen —, es doch ganz außerordentlich schwierig sein und bleiben wird, es mag kommen wie es will, eine immer gute Lymphe zu beschaffen, um eine solche Massenimpfung durchführen zu können. Nun, meine Herren, was wird die Folge sein und bleiben? ...

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... Entweder ist sie durch das Impfen hervorgerufen, und dann wäre es besser gewesen, wenn dieses nicht geschehen wäre, denn dann haben die Herren ihrer Sache selbst den schwersten Schlag gegeben, denn sie haben nicht das Recht, solche latente Skrophulose durch das Impfen zu solch entsetzlichen Ausbrüchen zu bringen. Uebrigens, mit welchem Rechte wird das als der Ausbruch latenter Skrophulose bezeichnet? Lesen Sie einmal nach, was der Arzt, der es mit seiner Namensunterschrift vertreten hat, dagegen sagt. Meine Herren, die Geschwister — ich glaube, es sind deren 6 oder 8 — und dieEltern leben und sind gesund, und von den Großeltern ist nur eine Großmutter in hohem Alter gestorben. Wo kommt da die Skrophulose her? Meine Herren, der Herr Abgeordnete Dr. Thilenius hat seiner Zeit das Reichsgesundheitsamt aufgefordert, nach diesem Fall zu sehen. Es sind jetzt 6 Monate in das Land gegangen; es hat sich vom Reichsgesundheitsamt niemand bemüßigt gefunden, dies zu thun. — Ich bedaure, daß ich diesen Vorwurf erheben muß. Glauben Sie mir, daß es mir schwer wird, daß ich gerade dieser berathenden Behörde der Regierung diesen Vorwurf machen muß. — Meine Herren, der einzige, der sich über diesen Fall Pfänder direkt berichten ließ, der ein Interesse an dem Schicksal dieser Armen genommen hat, und der sich ganz gewiß auch noch weiter interessirt hätte, wenn dies die Geschäftslast zuließe, die auf seinen Schultern liegt, die ihm das Eingehen in solche Details natürlich unmöglich macht, dieser Einzige war der Herr Reichskanzler. ...

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... Also weil derjenige, den ich möglicherweise anstecken kann, zu faul oder zu gleichgiltig ist, sich durch Impfen zu schützen — denn wenn er sich hat impfen lassen, ist er ja geschützt —, deshalb soll es berechtigt sein, daß ich gezwungen werden kann, meine Kinder einer Prozedur zu unterwerfen, von der ich überzeugt bin, daß sie mit großen Gefahren verbunden ist und bleiben wird, von der ich vielleicht auch den Glauben habe, daß sie nichts nützt!1 ^ Auf die Ausführungen des Herrn Geheimraths Koch will ich nur mit zwei Worten eingehen. Ich glaube, daß es nicht recht von ihm ist, daß er die Jmpfgegner alle zusammenwirft und von ihnen sagt, wie er das Seite 39 des Berichts thut, daß sie über das eigentliche Wesen der Pockenkrankheit und der Schutzimpfung vollständig im Unklaren seinen, also auch kein sachverständiges Urtheil haben könnten. Ja, meine Herren, ich bestreite das, ich halte das für eine Beleidigung seiner gegnerischen Fachgenoffen und, ich muß es aufrichtig gestehen, für eine unmotivirte Ueberhebung. Meine Herren, in den Reihen der Gegner sind Fachleute, die älter sind als der Herr Geheimrath, größere und längere Erfahrung gerade auf diesem Gebiete haben. Ich hätte gewünscht, daß sich der verehrte Herr hier etwas vorsichtiger ausgedrückt hätte, und ich weise diese unmotivirten Verunglimpfungen seiner gegnerischen Fachgenossen, da diese Herren sich hier nicht selbst vertheidigen können, entschieden zurück. ...

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... Meine Herren, man sagt uns zwar, daß in dem Gesetz harte Sühne vorgesehen sei für alle Fälle, wo durch das Verschulden des Arztes, durch das Impfen Unglück angerichtet werde. Ja, meine Herren, ganz abgesehen davon, daß das ein sehr schlechter Trost für das betroffene Opfer ist, so zeigt uns auch der Verlauf der verschiedenen Jmpfprozesse, daß das Gesetz meist ein todter Buchstabe bleibt. Meine Herren, damit hängt dann aber auch noch zusammen — und das ist ein Hauptmoment, auf das ich einen Werth lege —, daß durch dieses Gesetz unser Richterstand, auf den wir stolz sein dürfen, häufig in eine schwierige Lage gebracht wird, weil in einem solchen Jmpfprozesse der Richter sich lediglich auf das Urtheil des Sachverständigen, also hier des Arztes, angewiesen sieht, also desjenigen, der bei der That ohne große Selbstverleugnung kaum mehr die nöthige Objektivität und Unparteilichkeit bewahren kann, besonders dann nicht, wenn er in dieser Frage schon engagirt ist. (Zuruf: lauter!) — Meine Herren, Sie verstehen ganz wohl; ich bin freilich kein so gewandter Redner wie die Führer, die sonst zu Ihnen zu sprechen pflegen, — deshalb müssen Sie eben etwas Nachsicht haben, wenn Sie ein paar Sekunden länger warten müssen, als bei jenen Herren. Meine Herren, lassen Sie sich von der Annahme meines Antrags nicht durch das Vorbringen irre machen, daß Sie dadurch dem Eindringen einer Epidemie Vorschub leisten. ...
... Der Antrag des Herrn Korreferenten hat auch darum volle Berechtigung, weil, wenn das Impfen hilft, ein Zwang nicht nöthig ist. Ganz richtig hat vor 11 Jahren das Obermedizinalkollegium in Sachsen erklärt, daß, wenn es auch für das Impfen sei, es doch sich absolut gegen den Zwang aussprechen müsse, weil die 8 bis 9 Prozent, die sich der Impfung noch entzögen, durch Belehrung gewonnen werden könnten. Meine Herren, das ist der richtige Standpunkt, den wollen wir einnehmen. Es soll jeder sich impfen lassen können, aber wir wollen einen Zwang aufheben, der unberechtigt und unhaltbar ist. Sollten sich aber gegen Erwarten für unseren Eventualantrag hier im Plenum eine Mehrheit nicht finden, dann richte ich von dieser Stelle aus an den Herrn Reichskanzler die dringende Bitte, es wolle derselbe seinen ganzen Einfluß dahin geltend machen, daß das Reichsgesundheitsamt die Kommission, die hier beabsichtigt wird, wirklich auch ins Leben treten läßt, und daß sie in der Weise, wie wir dies vorgeschlagen haben, zusammengesetzt werde. Meine Herren, ich mache noch darauf aufmerksam, daß nach meiner Ueberzeugung diese Frage auch eine tiefere politische Bedeutung hat, viel mehr, als man namentlich in Regierungskreisen anzunehmen scheint. Meine Herren, lassen Sie mich mit dem, wenn auch vielfach mißbräuchlich verwertheten, hier aber gewiß zutreffenden Ausspruch Montesquieus schließen: es gibt keine grausamere Tyrannei, als diejenige, die unter dem Schutze der Gesetze und unter der Fahne der Justiz ausgeübt wird. (Bravo! rechts.) Präsident: Die Herren Abgeordneten Freiherr von Beaulieu-Marconnay und von Waldow haben den Schluß der Diskussion beantragt. ...


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