Verhandlungen des Deutschen Reichstags

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Verhandlungen des Reichstages. - Berlin, 1883
Bd.: 72. 1882/83
Signatur: 4 J.publ.g. 1142 yb,A-72

ID: 00018442
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... Treuenfeld aus Naumburg sagt, daß von Männern der Wissenschaft dargethan worden, „der Impf schütze vor den Pocken nicht, da Geimpfte und Ungeimpfte von denselben befallen würden, andererseits ziehe das Impfen Gefahren und Krankheiten mannigfacher Art nach sich. Es sei zu beklagen, daß die Zmpffrage trotz der so zahlreichen Remonstrationen gegen den Impfzwang nicht im Plenum des Reichstages zur Berathung gelangen könne, obgleich jene Remonstrationen nicht Sonderintereffen, sondern den Menschen selbst zum Gegenstand hätten. „Das Blut, sagt Petent, welches der Mensch durch die Geburt überkommen hat, ist sein freies Eigenthum, soll es wenigstens sein und darf deswegen nicht unter polizeiliche Aufsicht gestellt werden. Der Impfzwang verletze dieses Naturrecht und entwürdige den Menschen um so mehr, als das Gesetz seine sich selbst gestellten Voraussetzungen unerfüllt gelassen habe und somit in ungesetzlicherweise geimpft werde. Als Voraussetzung des Zmpfgesetzes sieht Petent die von dem Gesetz u. A. gebotene Herstellung von Zmpfinstituten zur Beschaffung und Erzeugung von Schutzpockenlymphe an (Mn. 2 des §. 9) und zieht hieraus den Schluß, daß nur die originäre Kuhpockenlymphe darunter verstanden sein könne. (Hierzu bemerkt Referent: Der §. 9 des Zmpfgesetzes besage: „Die ...

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... Beide Gesetze verlangten die Impfungen mit echter Kuhpockenlymphe und verbieten damit, wie auch das Obertribunal anerkannt habe, namentlich das Impfen von Arm zu Arm, sowie die Verwendung anderer Lymphsorten. Hätte beides zugelassen werden sollen, so würde die Impfung von Arm zu Arm als Zwangspflicht direkt ausgesprochen worden sein. Das Gesetz von 1874 befehle die Herrichtung von Jmpfinstituten, um echten Kuhpockenstoff stets vorräthig zu halten. Die Zmpfinstitute seien nicht errichtet worden. (Wie allbekannt, besteht eine ganze Anzahl staatlicher Zmpfinstitute sowohl in Preußen, wie in den übrigen Bundesstaaten. Diese Behauptung des Petenten ist also einfach unwahr. Nef.) Die Verordnung von 1803, wie das 1874er Gesetz bestimmten zwar, daß der Arme unentgeltlich geimpft werden solle, wichen aber darin von einander ab, daß das Gesetz, um seine Zmpfärzte zu honoriren, Millionen von Mark erheische, während nach der preußischen Verordnung von 1803 die Impfung der Armen an die Aerzte nicht vergütet worden, und hervorragende Impfverdienste allenfalls nur mit dem Rathstitel belohnt worden seien. Sodann werde trotz Reichsgesetz noch immer ausschließlich mit Menschenlymphe geimpft. Das letztere sei übrigens an sich gleichgültig, da durch humanisirts ebenso wie durch Animallymphe das Blut und die normale Entwickelung des Körpers geschädigt werde. Wer im Laufe der verflossenen 80 Zahre sich nicht von der Schädlichkeit des Zmpfens überzeugt habe, werde auch ferner sich nicht überzeugen lassen, sicher sei nur, daß die Zahl derer sich vergrößern werde, die den nutzlosen Impfzwang nur mit Erbitterung tragen können. ...
... Der Reichstag möge also die Zmpspetitionen nicht wieder in der Kommission begraben, sondern in Anbetracht der durchgreifenden, überzeugenden, von den bedeutendsten und hervorragendsten Fachmännern gegen „den Zmpf vorgebrachten Gründe im Plenum erörtern und dann, wenn auch gerade das Impfen nicht verbieten, so doch den Zwang beseitigen, zu welchem der Staat kein Recht habe. II. 91. Dr. Eugen Bilfinger in Stuttgart ist der Ansicht, das Zmpfgesetz müsse baldmöglichst aufgehoben werden, weil der Nutzen der Impfung nichts weniger als erwiesen sei. Die steigende Einsicht in das Wesen der Volksseuchen lasse erkennen, daß sie durch sozialhygienische Mißstände veranlaßt, durch Verbesserung dieser Verhältnisse geheilt werden Aktenstücke zu den Verhandlungen des Reichstages 1882. müßten. Der Nimbus der Zmpftheorie schwinde mehr und mehr, und selbst die Zahl der Aerzte werde immer größer, welche die allgemeine Blutvergiftung als Mittel zur Tilgung einer zukünftigen Epidemie für verkehrt und den hygienischen Anschauungen für widersprechend halte. Dr. Oidtmann nennt das Gesetz mit Recht den legislatorischen Ausdruck der hygienischen Verwahrlosung des Volks. Die Berufung auf die klinische Erfahrung von Seiten der Zmpffreunde sei hinfällig und ebenso die unzulängliche Beweiskraft des bisherigen statistischen Materials von allen Seiten unwiderleglich dargethan, so namentlich von dem Statistiker Kolb. Wenn der Referent Or. Thilenius die Autorität der überwiegenden Mehrheit der Aerzte und die medizinische Wissenschaft zu Gunsten des Impfzwanges angerufen, so liege darin nur ein Trugschluß, indem der bisher festgehaltene Jmpfglaube nur auf dem statistischen Beweis beruhe. ...

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... Petent wünscht, der Reichstag wolle die Gutsbesitzer von dem Widerspruch erlösen, die Schafe nicht impfen zu dürfen, die Kinder aber impfen zu müssen und erlauben, daß die Kinder unter den Schutz des §. 57 der Viehseuchenordnung gestellt werden. II. 650. Friedrich Eckstein und Genossen aus Backenang erbitten die Aufhebung des Impfzwanges unter Hinweis auf die von dem Abgeordneten Dr. Westermayer in der Petitions-Kommission entwickelten Gründe. II. 659. H. Pyrlaeus aus Herrnhut will Aufhebung des Impfzwangs oder wenigstens doch Streichung des Strafparagraphen aus dem Gesetze, weil der Impfzwang nichts nütze und nur von der Seite befürwortet werde, welche Nutzen aus demselben ziehe. England mit seinem scharfen Impfzwangs sei von den Pocken auch nicht frei und allwöchentlich fordere der Impfzwang zahlreiche Opfer an Geimpften. Auch dieser Petent beruft sich auf das Verbot der bei allen Sachverständigen längst abgethanen Schafimpfung. (Vgl. den 6. Kommissionsbericht an den Reichstag aus dem Jahre 1879. Res.) II. 662. W. Jven, Gutsbesitzer auf Breitenbend bei Linnich, kehrt, nachdem er in einer Weise, welche den Hohn nicht verkennen läßt, sich als Zmpffreund gerirt, den Spieß um und beantragt, der Reichstag möge das Reichskanzleramt ! ersuchen, eine Gesetzesvorlage ausarbeiten zu lassen, wonach ! die Kuhpockenimpfung von 5 zu 5 Lebensjahren wiederholt, ^ als das wirksamste Schutzmittel gegen alle Kinderkrankheiten, ausgenommen die Diphtheritis, mit Körperzwang gegen die Jmpfrenitenten durchgeführt werde, weil das Impfen gegen 7 die Pocken schützen solle, was übrigens statistisch nicht aus-^ gemacht sei, sondern weil es laut der „beigelegten Statistik ...

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... Die Pocken, gegen welche das Impfen nicht schütze, seien nicht so gefährlich als die ihnen nicht gewachsene Medizinwissenschaft sie ausgebe, sie seien eine heilbringende Reinigung des Körpers von schlechten Stoffen, könnten bei naturgemäßer Behandlung mit Fernhaltung giftiger Arznei niemals lebensgefährlich werden, ja selbst Narben auf der Haut nicht zurücklassen. Logo: Aufhebung des allen Seiten unhaltbaren Impfzwangs. (Gott behüte diesen gelehrten Herrn und seine Familie vor Erkrankung an Pocken!) Ferner wird auch in dieser Petition die längst abgethane Schafimpfung wieder herbeigezogen und der „Medizinwissenschaft vorgeworfen, sie pflege eiternde Stellen am Körper, um Blutvergiftung zu verhüten, aufs Sorgfältigste, scheue sich aber nicht, giftige Eiterstoffe in das Blut zu bringen. Sie wolle die Menschen gesund machen, mache sie aber krank. II. 699. Dr. moä. Hugo Meyer, praktischer Arzt auf Friedrich-Wilhelm-Hütte im Siegkreise, begründet sein Verlangen nach Aufhebung des Impfzwangs und Verbot des Zmpfens mit folgenden Thesen: 1.1 Der Schutz der Impfung ist nur Glaube, nicht bewiesen. Beweis: In Lübeck waren März und April 1881 von 48 Pockenkranken 47 geimpft. (Zn welchem Alter geimpft war, ob Revaccination stattgefunden hat oder nicht, ob die Impfung erfolgreich gewesen, werde auch hier nicht gesagt, wie die Jmpfgegner überhaupt diese unbedingt erforderlichen Angaben stets für überflüssig halten und sich einfach auf die Zahlen stützen. Ref.) 2.1 Die Priorität der Erkrankung liege bei den Geimpften, so daß den Ungeimpften die Pocken von den Geimpften zugetragen werden (Oidtmann). Beweis: Alle Urpockenlisten. 3.1 Durch die Zmpsung würden oft schädlichere und tätlichere Krankheiten, als die Pocken es sind, übertragen. ...
... Sollte nun wider Erwarten die Abschaffung des Zmpfgesetzes noch nicht für zweckmäßig erachtet werden, wünscht Petent 1.1 die Honorirung der Zmpfärzte für das Impfen verboten zu sehen, damit ihr Urtheil über Werth oder Unwerth frei sei; 2.1 ein Gesetz zu erlassen, wonach alle Impflinge noch nach 5 und 10 Wochen nach der Impfung dem Zmpfärzte wieder vorgestellt werden müßten, damit die Zmpfschädigungen bekannt würden; 3.1 die Strafbestimmungen des Zmpfgesetzes dahin geändert, daß die Uebertretung desselben für denselben Fall und in dem nämlichen Jahre auch für mehr als ein Kind derselben Eltern nur einmal und zwar nur bis zu dreimal gestraft werden dürfe und Freiheitsstrafen jedenfalls ausgeschlossen blieben. II. 716. Der Vorstand des Düsseldorfer Zmpfgegnervereins, vertreten durch Or. msä. Ballmann, bittet, der Reichstag möge die Petitionen gegen das Zmpfgesetz im 71 ...

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... Kayser aus Darmstadt und Genossen bitten: „Hoher Reichstag wolle die Einwohner Deutschlands gegen das schmachvolle, aus moralischen, wissenschaftlichen und juristischen Gründen unhaltbare und ungerechte Impfzwangsgesetz in Schutz nehmen und sie vor den bösen Folgen desselben, sowie der mit dem Gesetz überhaupt unvermeidlich verknüpften körperlichen, moralischen und finanziellen Bedrängniß und Bedrohung bewahren, indem das Impfen nicht ein Segen, sondern ein Fluch für die Menschheit ist. Zn der zweiten Petition wird einfach um Aufhebung des Reichsimpfgesetzes gebeten. Die Gründe sind von denen in den früheren inhaltlich mitgetheilten Petitionen nicht wesentlich verschieden, bedürfen daher keiner besonderen Anführung. Hauptsächlich beruft sich Petent auf die Krankheitsvernichtungslehre des Dr. weck. August Theodor Stamm, 2. Aust. 1881, worin die Ausrottungsmöglichkeit der Pocken ohne jedes Impfen dargelegt wird, ferner auf die Schriften von Oidtmann, Martini und des Dr. vasä. H. Böing. II. 1321. C. Z. Kayser, Kaufmann und Techniker aus Darmstadt, also derselbe Petent, führt Folgendes aus: Der §. 14 des Reichsimpfgesetzes bestimme, daß Pflegeeltern und Vormünder, welche den nach Z. 12 ihnen obliegenden Nachweis zu führen unterlassen, mit Geldstrafe bis zu 20 ^ bestraft werden; dagegen werde eine Strafe bis zu 50^ auf die Entziehung der Kinder und Pflegbefohlenen von der Impfung gesetzt, wenn diese ohne gesetzlichen Grund und trotz erfolgter amtlicher Aufforderung geschehe, eventuell werden 3 Tage Hast der Geldstrafe substituirt. Auf Grund dieses Paragraphen habe das Großherzoglich hessische Ministerium des Innern unter dem 30. April 1875 eine Instruktion für die Kreismedizinalämter erlassen, welche in ihrem §. ...
... Petent behauptet nun, er sei aus innerster Ueberzeugung gezwungen, die Impfung für gesetzlos, gefährlich und verderblich zu halten, da die persönliche Erfahrung an seinen geimpften und nicht geimpften Kindern ihn dazu zwinge und er somit ohne gröblichste Verletzung seiner Vaterpflicht und ohne sich zu geistiger Sklaverei zu erniedrigen, nicht mehr impfen lassen wolle. Unter Anberaumung einer Monatsfrist sei er sodann nach fruchtlosem Ablauf derselben für jedes Kind zur besonderen Bestrafung gezogen worden, in Summa bis jetzt zu einer Strafe von 135 ^ oder 32 bezw. 42 Tagen Haft verurtheilt. Wenn es ihm nun auch gelungen sei, in Bezug auf die noch nicht rechtskräftig gewordenen Verurtheilungen vom 16. und 27. Juni, sowie vom 15. September 1882 auf dem Wege der Berufung eine theilweise Herabminderung der Strafe zu erwirken, indem für einige Fälle das Vorhandensein gesetzlicher Entschuldigungsgründe angenommen und demgemäß lediglich auf eine Geldstrafe nach S. 14 Abs. 2 erkannt worden sei und für andere die bekannte Haststrafe von je 3 Tagen für jedes Kind und jede Aufforderung auf je einen Tag Haft für jedes Kind und jede Aufforderung herabgesetzt worden sei, so wäre doch damit nicht geholfen, um so weniger als das Großherzogliche Schöffengericht sofort mit Urtheil vom 21. November 1882 nach wie vor in unnöthig und auffällig hartherziger barbarischer Weise auf die Maximalhaftstrafe von 3 Tagen für jedes Kind und jede Aufforderung unter ausdrücklichem Hinweis auf die bisherigen Erkenntnisse des hiesigen Land- und Oberlandes- ...

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... Weiter müßten aber auch noch andere Ergänzungen des Reichsimpfgesetzes stattfinden behufs thunlichster Sicherstellung von Gesundheit, Leben, Wohlstand und Erhaltung der Wehrkraft der deutschen Nation gegen die durch Impfen mit Pockengift unvermeidlichen und in ungeheurem Grade langsam aber unaufhörlich nachwirkenden Schädigungen an Gesundheit und Lebenskraft, ferner um schnöder Zntereffenwirthschaft auf Kosten von Gut und Blut der Nation durch die sehr einträgliche Lymphzüchterei und den Lymphhandel vorzubeugen. Sollte doch Or. Pissin in Berlin nach einer dem Petenten gewordenen Mittheilung eines hohen Medizinalbeamten schon vor Zähren über 100 000 ^ erworben haben. Das einzige Mittel gegen alle diese Unzuträglichkeiten sei natürlich die Aushebung des Impfzwanges, jedenfalls aber müsse das Zmpfgesetz in folgender Weise ergänzt werden: Zeder Lymphzüchter, sei es Staat oder Privater, welcher Lymphe verbrauche, verkaufe oder an Aerzte abgebe, welche die vor den Blattern schützende Wirkung nicht habe oder die vor einer erfolgreichen Zweitimpfung innerhalb 5 Zähren nicht schütze oder die sonstwie unrein und der Gesundheit schädlich sich erweise, verfalle in eine Strafe von 3 000^; jeder einzelne der Geschädigten müsse für sich und seine Angehörigen einen Anspruch auf Entschädigung von 3000 bis 5000 ^ je nach Art und Grad der Schädigung erhalten, sowie ferner Anspruch auf Ersatz sämmtlicher Unkosten; — alles dies zahlbar durch die betreffenden Lymphzüchter oder die gesetzgeberisch thätigen Verfechter der Zmpfschutztheorie und im Falle der Zahlungsunfähigkeit jener durch die betreffende Landesregierung. ...

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... Der Jmpfrothlauf sei zwar auch übertragbar, komme aber so selten vor, daß er kaum ins Gewicht falle und sei allgemein angenommene Regel, nicht zu impfen, wenn irgendwie Rothlausfälle an dem betreffenden Ort vorgekommen wären. Die meisten Fälle von behauptetem Jmpfrothlauf bezögen sich übrigens auf einfache Zellgewebsentzündungen, die auch einfach durch irgend einen Insult der Impfpustel veranlaßte Zellgewebsentzündung (ksouäosr^sipslas) in der Umgegend der Pustel. Ueberhaupt würde eine sehr große Zahl der sogenannten Zmpsschädigungen lediglich durch mangelhafte Wartung und Pflege der Impfpustel hervorgerufen und hätten somit mit der Impfung als solcher direkt nichts zu thun. Das Neueste unter den Gründen gegen die Impfung sei nun der behauptete Kausalnexus zwischen Maffenimpfungen, Diphtherie, Scharlach u. s. w. Dieses Argument werde neuerdings besonders von Dr. Oidtmann, Berthelen und Walz ins Gefecht geführt. Seine Haltlosigkeit ergebe sich aber schon aus der einfachen Betrachtung, daß Scharlach und ähnliche Erkrankungen bereits längst vor Einführung der Schutzpockenimpfung bekannt gewesen seien, und andererseits man geimpft habe, sogar der Zwang bestanden habe, längst bevor die Diphtheritis in Deutschland zu epidemischer Verbreitung gelangte. Uebrigens brauche man ja gar nicht sich darüber zu wundern, wenn nach einer Massenimpfung, d. h. nach Anhäufung von vielen Erwachsenen und Kindern in einem vielleicht noch obendrein mangelhaft vetttilirten Lokal Fälle von Scharlach und dergleichen Erkrankungen vorkämen. Es genügte ja in dieser Beziehung die Anwesenheit eines Angehörigen von Scharlachkranken, um diese so ungemein leicht übertragbare Krankheit unter die Versammelten einzuschleppen und damit Veranlassung zu einer mehr oder weniger großen Epidemie zu geben. ...

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... Er müsse ferner an die drakonischen Strafen erinnern, die in neuester Zeit gegen Zmpfrenitenten verhängt werden, wofür die Petition des Herrn Kays er aus Darmstadt, der alle Monate eine Aufforderung, seine Kinder impfen zu lassen, erhalte und für jede Verweigerung verurtheilt werde, empörende Belege bilde. Eine Wissenschaft, die das Strafgesetzbuch zur Stütze brauche, und ohne selbe nicht bestehen könne, scheine dem Korreferenten in ihrem inneren Kern nicht sehr gesund zu sein. Zn seiner Hochschätzung ärztlicher Autorität habe Korreferent auch bei Herrn Dr. Virchow privatim in Anregung gebracht, ob denn die Frage des Impfzwanges sich nicht getrennt behandeln lasse von der Frage des Zmpfnutzens und habe derselbe, so schlecht er auf die Jmpfgegner und ihre Agitationen zu sprechen sei, dem Korreferenten versprochen, sich die Frage überlegen zu wollen. Er, Korreferent, habe eine so hohe Meinung von der wissenschaftlichen Autorität dieses großen Gelehrten, daß er fest überzeugt sei:1 wenn heute der Abg. vr. Virchow im Reichstage erkläre, die Kuhpockenimpfung sei dem Menschen ebenso schädlich, wie die Schafpockenimpfung den Schafen, so werde nicht bloß der Impfzwang, sondern die Zmpftheorie selber so bestimmt im Reichstag fallen, wie die Schafpockenimpfung im preußischen Abgeordnetenhause durch ihn zu Falle gekommen sei, und Korreferent sei sicher, daß die gesammte Aerztewelt, auch Referent, vor dieser Autorität sich beugen und ...

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... Gut, so mögen sich denn Alle, die dieser Ueberzeugung huldigen, impfen und wieder impfen lasten; sie sind dann gegen Pockenansteckung geschützt; warum solle ihnen nun eine Gefahr daraus erwachsen, wenn im Nachbarhause eine ungeimpfte Familie wohnt? Angenommen, diese Familie sei die erste, bei der die Pocken ausbrechen, woher kommt denn die Furcht bei den Anderen? woher die Entrüstung, als wenn diese Ungeimpften gemeinschädliche Menschen wären? was bedeute der Hilferuf nach dem obrigkeitlichen Impfzwang? Er bedeutet: mit dem Schutz ist es doch am Ende eine zweifelhafte Sache! Also dieser Schutz besteht — und er besteht doch auch nicht! Gerade von dem Standpunkt eines festen Glaubens an die bewahrende Kraft der Vaccination sollte man von Rechts wegen auf Anwendung des Zwangs in dieser Sache verzichten. Es ist wahr, der Einbruch einer Epidemie kann furchtbare Maßregeln nothwendig machen, denen sich Alles unterwerfen muß, wie die Niederbrennung der ruffischen Dörfer, in welchen die Pest eingeschleppt worden war, oder in kleinerem Maßstab, die Anordnung einer Art Gefangenschaft in der Quarantaine. Aber vergeblich würde man diese Beispiele zur Rechtfertigung des Impfzwanges anführen. Denn wenn ich ein Haus gegen Entschädigung abbrenne, oder wenn ich mich auf ein paar Wochen meiner Freiheit berauben lasse, so ist dies zwar sehr unangenehm, aber es ist durchaus kein Eingriff auf das Gebiet des Gewissens. Ich erleide einen zeitlichen Verlust, aber es wird mir keine Handlung zugemuthet, von der ich befürchten könnte, sie möchte pflichtwidrig sein. ...

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... nach eifrigem Studium, daß das Impfen nicht zum Segen gereicht habe, er bestätige im Gegentheil die Gefahren und komme zu dem Schluß, daß jedenfalls der Zwang nicht berechtigt, sondern verwerflich sei, und das schreibe ein Mann, der in dem Vorwort seiner Schrift Folgendes sage: „Die vorliegende Arbeit ist das Produkt einer verhältnißmäßig kurzen, aber energischen und umfangreichen Thätigkeit; veranlaßt wurde sie durch den 4. Bericht der Kommission für die Petitionen im Reichstag von 1881 insofern, als dessen Autor der Abgeordnete Dr. Thilenius, ein langjähriger Verfechter der Jmpftheorie und des Reichsimpfgesetzes, sich gezwungen sah, den Impfgegnern in seiner Kritik ihrer Petitionen ganz wesentliche Zugeständnisse zu machen. Diese frappirten mich, dem Jmpfarzt, auf das lebhafteste: sie bebeunruhigten mein Gewissen als Arzt und Bürger, weil sie mich die Möglichkeit erkennen ließen, daß das Zmpfgesetz in seinen Motiven verfehlt, in der Theorie falsch oder, wenn in ihr auch begründet, doch in seiner Wirkung problematisch sein könne. Der Zweifel gebar den Entschluß, selbst zu prüfen, der Entschluß die Ausführung. Dann sage er im weiteren Verlauf an anderer Stelle: „Da ich diese Untersuchungen in dem Glauben und mit der Hoffnung begann, durch sie eine sichere Bürgschaft für die Richtigkeit der bisherigen Jmpfschutztheorie zu gewinnen, so kann Niemand mehr als ich selbst bedauern, daß ihr Resultat zu Ungunsten des Impfzwanges ausgefallen ist, es ist gewiß nicht angenehm in einer so überaus wichtigen Frage seine Ueberzeugung wechseln zu müssen. — rc. ...
... Um die fatalen Vorfälle in Stuttgart, die die Kommission ja alle kenne, in das ihm passende Licht zu stellen, habe der Herr Referent behauptet, es seien in Stuttgart in Folge der Nittingerschen Agitation Anfangs der 70er Jahre viele Nichtgeimpfte vorhanden gewesen, und als nun die französischen Gefangenen ins Land gebracht worden seien, habe sich Alles impfen lassen wollen, und da sei es wohl etwas bunt durcheinander gegangen. Er müsse, sagt Redner, das ganz entschieden bestreiten, man habe bezüglich der französischen Gefangenen durchaus keine Befürchtung gehegt, seien doch dieselben sofort geimpft worden. Was übrigens in dieser Richtung Professor Ad. Vogt in Bern in seinem im November 1881 an Redner gerichteten Brief schreibe, möge hier erwähnt sein. „Völlig unerklärlich erscheint die Aeußerung des Referenten, daß die Anhäufung ungeimpfter französischer Gefangener 1871 in Deutschland allbekanntermaßen eine außerordentliche Gefahr geschaffen hätten. Es muß ihm die französische Zmpfvorschrift für das Militär vom 31. Dezember 1857, die mit der preußischen fast wörtlich übereinstimmt, sowie die Jmpsberichte der französischen Armee ganz unbekannt sein, und nicht minder verschweigt er die Thatsache, daß die französischen Gefangenen in Deutschland sofort wieder geimpft wurden, gleichviel ob sie bereits geimpft, revaccinirt oder gepockt waren. Wenn dieselben nach diesen Vorgängen wirklich eine so große Gefahr schufen, so waren es in Deutschland die frisch geimpften Individuen, welche dies bewirkten. ...

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... Vertreter den Versicherungen der Herren Löwe, Zinn, Thilenius vollen Glauben geschenkt hatten, daß 1.1 Das Impfen gegen Pockenansteckung positiv schütze, welche Behauptung auf die bereits besprochene Statistik gestützt wurde; 2.1 Daß es keinem Zweifel unterliege, daß der nöthige gute Impfstoff stets in genügender Menge zu beschaffen sei und sich die Regierung verpflichte, immer für gute Lymphe zu sorgen, und es sei hier ausdrücklich zu bemerken, daß die Abg. Dr. Löwe, Miguel und der Regierungskommissar nur unter dieser Vorbedingung dem Zwang zustimmen zu können erklärten; 3.1 Daß keinerlei Gefahr mit dem Impfen verbunden sei. Was nun den ersten Punkt anbelange, ob das Impfen in der That auch schütze, so enthalte Redner sich als Nichtfachmann jedes Urtheils hierüber, das sei Sache der Fachwissenschaft dies zu untersuchen, aber objektiv und ohne Vereingenommenheit, denn bis jetzt häuften sich die Zweifel, und was die Objektivität anlange, so sei sicher, daß sie bis jetzt nicht habe bestanden, und erlaube er sich zur Rechtfertigung dieser seiner Behauptung das Mitglied der Aerzte-Zmpfkommission, die im Fahre 1880 tagte, Herrn Dr. Betz von Heilbronn kurz zu zitiren. Derselbe schreibe in einer Brochure, die er damals veröffentlicht (Separat-Abdruck aus den Memorabilien 1880 7. Heft): „Meine Erklärung in Sachen der Zmpffrage! „Da in Folge des seitherigen Ganges der Arbeiten der Zmpfkommission es mir unmöglich war, mit einem meiner Stellung als Zmpfgegner entsprechenden Erfolge an denselben mich zu betheiligen, so bleibt mir nichts Anderes übrig, als in einer besonderen Denkschrift meine Ansichten in der Zmpffrage niederzulegen und zu begründen. ...
... Die Einen machen Stiche, die Andern Schnitte, die Dritten impfen nur auf einem Arm, die Vierten auf beiden Armen, die Fünften machen Bravourimpsungen, damit das Gift recht herauskomme, die Sechsten Scheinimpfungen, um dem Gesetze Rechnung getragen zu haben, die Siebenten wollen nur von Arm zu Arm impfen, die Achten nur mit animalisirter Lymphe, die Neunten benutzen getrocknete, vielleicht auch faulige Lymphe, die Zehnten karbolistrte, die Elften glycerinisirte, die Zwölften impfen nicht vor dem sechsten Lebensmonate, die Dreizehnten sagen, man darf in jedem Lebensalter impfen, je früher um so besser, die Vierzehnten sagen, die Zmpfwunde müsse bluten, die Fünfzehnten, sie dürfe nicht bluten u. s. w. Dazu kommen noch die verschiedenen amtlichen Reglements in Beziehung der Impftermine rc. rc. Die Fachwissenschaft würde auch das festzustellen haben, ob die gestern durch den Herrn Referenten gehörten Behauptungen impfgegnerischer Aerzte Berechtigung hätten oder nicht, wonach das Ueberhandnehmen der Diphtheritis in engem Zusammenhang mit dem Zmpfen stehe, wie auch das zunehmende Verschwinden der Muttermilch. Sie möge untersuchen, ob es wahr sei, was weiter behauptet werde, daß gerade dieses Zmpfen die Schuld trage, daß die Seuche nicht zum Aussterben komme. Diese Behauptungen würden in neuerer Zeit in einer Weise durch Thatsachen unterstützt, welche die größte Beachtung namentlich auch Seitens der Regierung verdienten. So sei Redner erst kürzlich wieder von einem hochangesehenen Arzte aufs allerbestimmteste versichert, daß die amtlichen Urpockenlisten von ca. ...

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... Die Kommission möge das Impfen fakultativ kostenlos fortbestehen lasten, vorausgesetzt, daß sich nicht in der That die Permanenz der kleinen und größeren Pockenepidemien daraus ableiten laste, aber jedenfalls Gewissensfreiheit haben. Sie möge bedenken, daß wenn sich die Versuche des Herrn Geheimen Rath Koch auch wirklich als untrüglich herausstellten, es doch im höchsten Grade unwahrscheinlich sei, daß diese schwierigen und subtilen Untersuchungen, die in kleinem Maßstab angestellt seien, sich in der großen Praxis ebenfalls durchführen und anwenden lassen würden. Wenn man bei den Zmpfvergiftungen immer auch wieder auf ältere Fälle, neben den neuen, zurückgreife, so habe dies seinen Grund einfach darin, daß es in den allerseltensten Fällen gelinge, Gesundheitsschädigungen und noch Schlimmeres amtlich feststellen lassen zu können, weil die meisten der durch ein solches Unglück Betroffenen lieber schwiegen, als damit an die Oeffentlichkeit träten, einestheils, weil sich an der traurigen Thatsache doch nichts mehr ändern lasse, andererseits, weil sie die mit einer solchen Klage verbundenen Laufereien und Zeitversäumniste scheuten, umsomehr als in der Regel doch nichts dabei herauszukommen pflege, da der Zmpfarzt fast immer seine Hinterthüre habe, durch die er hinaus könne. Umso mehr Gewicht sei deßhalb solche» Fällen von Zmpfvergiftung beizumeffen, die amtlich konstatirt worden seien, wie die in Lebus bei Frankfurt an der Oder, Tzschetzschnow, Bralitz (Oderbruch), Zacobsdorf, Buckau, Prümm (Regierungsbezirk Trier), Stuttgart und andere. ...
... „Mit Vergnügen erfülle ich Ihren Wunsch, Ihnen einige Erfahrungen, das Impfen betreffend, mitzutheilen. Die Aerzte laste ich aus dem Spiel, dieselben sind als Zmpfärzte meist unschuldig, wenn sie Schaden anrichten. Zch bin auch überzeugt, daß beim allergewistenhaftesten Arzte plötzlich, unvermuthet eine üble Folge der Impfung sich einstellt. Nur das frappirt einen, daß, wenn eine solche Schädigung vorgekommen ist und der Blinde sehen muß, wo die Ursache liegt, daß die Herren Doktoren den wahren Grund niemals als solchen gellen lassen wollen. — Daß man auf dem Lande gegen einen Arzt me klagend auftritt, ist selbstverständlich; da müßte er schon direkt Gift geben! Ich habe nie gehört, daß sich Jemand wegen I1 einer Jmpfschädigung hätte beschweren wollen. Die ...

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... Den Aengstlichen aber rufe Redner zu, wenn der Schutz, den sich ja Jedes geben kann, dadurch überhaupt alterirt werde, daß in Folge Aufhebung des Zwanges dann Mancher nicht mehr impfen lasse, so sei die ganze Zmpferei nur eine reine Täuschung, ja noch Schlimmeres! So lange der Staat keine absolute Garantie dafür übernehmen könne, daß mit dem Impfen keine Gesundheitsschädigungen verbunden seien, so lange habe er nicht das Recht, durch ein solches Zwangsgesetz seine Angehörigen auch nur der Möglichkeit von solchen auszusetzen. Darum im Interesse unserer Kinder und Enkel, im Interesse der durch dieses Zwangsgesetz schwer geschädigten persönlichen Freiheit bitte Redner, dem Antrag des Herrn Korreferenten zuzustimmen, eventuell aber stelle er seinerseits folgenden Antrag: Der Reichstag wolle beschließen: den Herrn Reichskanzler zu ersuchen: 1.1 die ursprünglichen Motive des Reichsimpfgesetzes vom April 1874 durch eine gemischte Kommission von Verfechtern und Gegnern der Impfung, bestehend aus Aerzten, Statistikern und Zuristen, unter Berücksichtigung aller seit 1874 beigebrachten Thatsachen und Belege einer streng wissenschaftlichen Prüfung zu unterziehen; 2.1 dieser Kommissioir durch Vermittelung der Bundesregierungen die Urpockenliste der deutschen Städte von den Polizeiämtern den städtischen Verwaltungen zustellen zu lassen; 3.1 dem Reichstag von den Resultaten dieser Kommissionsberathungen und Beschlüsse Mittheilung zu machen, und 4.1 zu veranlassen, daß bis zur Beschlußfassung über diese Resultate der Kommissionsberathungen der Impfzwang suspendirt werde. Noch fügt Redner hinzu, daß er hier eine Anzahl Briefe von Aerzten präsentiren könne, die sich alle in mehr oder minder scharfer Weise gegen den Impfzwang aussprächen. ...

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... Ein solcher Eingriff in die persönliche Freiheit, eine solche Herabdrückung der Auffassung sittlicher Pflichten unter das staatliche Nechtsgebot sei in keiner Weise gerechtfertigt, umsoweniger, als aus den gehörten Ausführungen nicht hervorgehe, daß das Impfen des Einzelnen für die Wohlfahrt der Gesammtheit der Staatsbürger nothwendig, noch auch, daß mit dem Impfen keinerlei bleibender Nachtheil für die Gesundheit des Geimpften verbunden sei. Somit stehe dem Zwange zur Impfung durchaus nicht eine allgemeine Wohlthat zur Seite, und dies sei doch das unerläßlichste Kriterium für die Einführung jeglichen Zwanges. Obendrein hätten nicht blos der Referent, sondern auch die Sachverständigen des Gesundheitsamts zugegeben, absoluter Schutz vor Gefahren für die Gesundheit wohne der Impfung nicht bei und könne auch nicht hergestellt werden. Damit aber fehle dem Impfzwangs jeder vernünftige Boden. Darauf führte der Korreferent anderweit aus: Er müsse vor Allem seine Verwunderung darüber aussprechen, daß Herr Geheime Rath Köhler den Impfzwang in Parallele mit dem Schul- und Militärzwang zu bringen, ja sagar die persönlichen Dienstleistungen und Opfer, welche das öffentliche Wohl von den Gemeinden beim Ausbruche der Rinderpest und von Bootsleuten und Matrosen im Interesse des Seeinannsdienstes erheische, mit den Opfern an Menschenleben, welche der Impfzwang fordere, zusammenzustellen vermöge. Da im Ganzen und Großen ein anderer Kollege schon die zutreffende Antwort gegeben habe, glaube Korreferent sich auf die Bemerkung beschränken zu dürfen, daß denn doch ein Unterschied sei zwischen Matrosen, die freiwillig ihren Beruf gewählt, und unmündigen Kindern, die hilflos jedes Schutzes entbehrten, wenn sie nicht von ihren Eltern geschützt würden. ...

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... In Bayern, wo man sich auf das Impfen gewiß verstehe und Versuche, diese Lymphe einzuführen, angestellt worden seien, habe man wenig Glück damit gehabt. In dem, dem Korreferenten vorliegenden „Bericht über Errichtung und Betrieb einer animalen Zmpfstation in München im Jahre 1879, erstattet dem Königlich bayerischen Staatsministerium des Innern von vr. C. Kranz, Königlich bayerischen Zentralimpfarzt, München 1880 fänden sich hierüber folgende für die Zukunft wenig ermuthigende Ausschlüsse. „Anfangs Mai ließ ich in die „Neuesten Nachrichten wiederholt die Annonce einrücken, daß die Eltern, welche ihre Kinder direkt vom Kalbe geimpft haben wollen, in den Monaten Mai und Juni hierzu Gelegenheit finden. Es meldeten sich hierzu im Ganzen nur fünf Individuen. Bei den häufigen Fragen, welche ich an Eltern stellte, die ihre Kinder zu mir ins Haus brachten, um sie von einem anderen Kinde impfen zu lassen, ob sie es nicht vorzögen, das Kind vom Kalbe impfen zu lassen, erhielt ich regelmäßig zur Antwort: Warum nicht gar von einem Kalb; ich hab schon so und so viele Kinder von einem anderen impfen lassen, hat immer gut angeschlagen; warum soll ich jetzt mein Kind von einem Thier impfen lassen? Die Damen waren beinahe beleidigt. Das werde, bemerkte Korreferent, auch in Zukunft nicht besser werden, und die animale Lymphe nicht beliebter werden, zumal vr. Kranz und die sämmtlichen bayerischen Jmpfärzte die Wahrnehmung gemacht haben, „daß konservirter animaler Impfstoff im Vergleich zum humanisirten sehr schlecht anschlägt, in einem Verhältnisse wie 1:70 (S. 19). ...
... Angenommen, daß das Impfen eine Wohlthat sei, so dürfen Wohlthaten nicht aufgedrungen werden. 2. Angenommen, die Vergiftung oder Durchseuchung ...

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... 3.1 Höchst ungerecht und unsittlich aber ist dieser Zwang Eltern gegenüber, welche das Impfen für eine der Gesundheit und das Leben ihrer Kinder schädliche Operation halten, indem der Staat hier die Eltern zu einer Handlung zwingt, die vor ihrem Gewissen verwerflich ist, gegen deren Vornahme sich ihre Ueberzeugung sträubt. 4.1 Ganz unstatthaft ist die Vergleichung des Impfzwanges mit dem Schul- und Militärzwang. Weder Schul- noch Militärzwang ist mit einer direkten Lebensgefahr beim Eintritt in die Schule und Kaserne verbunden, während der Zmpsakt als solcher mehr oder minder große Gefahr direkt im Gefolge hat. 5.1 Mit demselben Rechte, mit welchem der Staat zum Impfen zwingt, könnte er zum Zwangsgebrauche aller übrigen Arzneimittel verpflichten, die als die bewährtesten Schutzmittel gegen andere seuchenartig auftretende Epidemien jeweilig gelten. 6.1 Zn zweifelhaften Dingen herrsche Freiheit! In ckubiis libortas! Die Impfung kann nützen, aber auch schaden; zu einer solchen Maßregel zwingen, ist abermals ungerecht. Korreferent kommt somit zu dcm Antrage: „Die Petitions-Kommission wolle beschließen: die sämmtlichen Petitionen, welche die Aufhebung des Impfzwanges verlangen, dem Herrn Reichskanzler behufs Beseitigung desselben zur Berücksichtigung zu überweisen. Dem entgegen bemerkt ein anderes Mitglied der Kommission: Es handle sich bei der Impfung im Wesentlichen um eine technische Frage, bei welcher es für den Laien schwer sei, sich ein Urtheil zu bilden; derselbe könne daher nur, etwa wie ein Geschworener, nach der Gesammtheit der empfangenen Eindrücke votiren. Für ihn (den Redner) gehe dieser dahin, daß das Impfen und der Impfzwang sich im Ganzen durchaus bewährt habe. ...
... Diese Vorfälle seien gewiß auf das Schwerste zu beklagen, es könne doch aber nicht geleugnet werden, daß sie, ebenso wie alle Gefahren für Leben und Gesundheit, welche sich angeblich an das Impfen knüpften, nicht auf Rechnung des Jmpfens an sich, sondern auf Rechnung der Methode, der Art, wie dasselbe praktisch gehandhabt werde, zu setzen seien. Wenn dem aber so sei, so erscheine cs unlogisch und ungerechtfertigt, das Impfgesetz selbst oder wenigstens den Impfzwang aufheben resp. beseitigen zu wollen; vielmehr könne es sich nur darum handeln, ein technisches Verfahren zu finden, welches gegen die erwähnten Zmpfschädigungen möglichsten Schutz gewährte. Erst wenn sich bei den hierüber anzustellenden Recherchen — was übrigens nicht zu befürchten — ergeben sollte, daß ein solcher Schutz unmöglich sei, könne man der Frage näher treten, ob und inwieweit eine Modifikation des Zmpfgesetzes einzutreten habe. Eine solche, insbesondere durch Beseitigung oder auch nur Suspendirung des Impfzwanges, schon jetzt vorzunehmen, würde eine schwere Verantwortlichkeit nach sich ziehen, die man nicht übernehmen könne. Denn halte man — wie Redner thue — daran fest, daß das Impfen einen, wenn auch nicht absoluten, so doch sehr wirksamen Schutz gegen die Pocken gewähre, und daß dieser die Regel, die Schädigung aber die Ausnahme sei, so müsse man konsequenterweise befürchten, durch Beseitigung desselben die schwere Gefahr einer Pockenepidemie über unser Volk heraufzubeschwören. Diesen Schutz könne aber naturgemäß das Impfen nur bei allgemeiner Ausübung und Verbreitung gewähren, und eine solche lasse sich wiederum nur durch den Impfzwang erreichen. ...

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... 5.1 Der Bürger B ei er in Karlsruhe (wohnhaft Werderstraße) mußte vor etwa drei Wochen sein achtmonatliches Töchterchen impfen lassen, welches bis dahin ganzgesund gewesen. DemZmpfarzt Herrn Medizinalrath Schuberg selbst fiel, wie der Vater erzählte, das so gesunde kräftige Mädchen auf, so daß er sich darüber in freundlicher Weise äußerte. 9 Tage nach der Impfung wurde das Mädchen krank. Es trat Eiterfluß aus der Nase ein, die Glieder schwollen an und wurden theilweise gelähmt, Geschwüre am Arm und Kopf nahmen so zu, daß der Arzt Dr. Molitor sich bewogen fand, dieselben aufzuschneiden; doch trat eine Besserung nicht ein, der Arzt konstatirte Blutvergiftung, und vor einigen Tagen ist das Kind, das vor drei Wochen noch so blühend und gesund war, auf elende Weise gestorben. 6.1 Fall. Berlin, „Staatsbürgerzeitung 1882. Ein weiterer Zmpferfolg wird uns von ärztlicher Seite in folgendem mitgetheilt. Hermann Wolf, Sohn des Arbeiter Wolf, Lübbenerstraße 2, wurde am 5. Zuli mit Erfolg geimpft. Am 23. desselben Monats starb das Kind infolge von Entzündung des Schlundes, der Lymphdrüsen des Halses, Husten, Erbrechen, Durchfall und Krämpfen. Vor der Impfung war das Kind vollkommen gesund. 7.1 Fall. Zürich, Februar 1882. Vom Schicksal der Karavane der Feuerländer, welche augenblicklich im hiesigen Plattengarten weilt. Eine Frau ist bereits gestorben, ein Mann leidet an Drüsengeschwulst gefährlichster Art und der ganze Stamm ist von einem Husten befallen, der namentlich die Männer schon sehr heruntergebracht hat, so daß zwei öfters die Nahrung zurückweisen. Vor der Hierherreise sind Alle geimpft worden. ...






Verhandlungen des Reichstages. - Berlin, 1883
Bd.: 73. 1882/83
Signatur: 4 J.publ.g. 1142 yb,A-73

ID: 00018443
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... bittet um Gewährung einer Unterstützung, beantragt^ eine öffentliche amtliche Erklärung darüber zu erwirken) daß durch das Impfen Gesundheitsschädigungen des menschlichen Körpers nicht vorkommen; event. Entschädigung für entstandene Kurkosten und lebenslängliche Unterstützung seines angeblich in Folge der Impfung zum Krüppel gewordenen Sohnes, überreicht eine Denkschrift, betreffend die Lösung der Zuckersteuerfrage. bitten um Gewährung von Reisekosten und Tagegeldern in gerichtlichen Untersuchungen nach Maßgabe des §. 14 der Gebührenordnung. bittet um Abänderung der Reblaus-Konvention. beschwert sich Über das Verfahren bei Erhebung- der Reichsstempelabgaben und bittet um Abhülfe, bittet um Erhöhung des Eingangszolles auf fertige Schuhwaaren. bittet um Rückgewähr eines angeblich zuviel erhobenen Zollbetrages für hölzerne Schwellen. beantragen Wiedereinführung der Silberwährung im alten Verhältniß zur Goldwährung. betreffend die Abnahme des gerichtlichen Eides von Personen, welche dem christlichen Glaubensbekenntnisse angehören. ...






Verhandlungen des Reichstages. - Berlin, 1885
Bd.: 85, 1. 1884/85
Signatur: 4 J.publ.g. 1142 yb,A-85

ID: 00018455
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... Lymphe von Wiedergeimpften darf nur im Nothfalle und nie zum Impfen von Erstimpflingen zur Anwendung kommen. Die Prüfung des Gesundheitszustandes eines wiedergeimpften Abimpflings muß mit besonderer Sorgfalt nach Maßgabe der in, 8- 5 angegebenen Gesichtspunkte geschehen. 8- 7. Zeder Jmpfarzt hat aufzuzeichnen, von wo und wann er seine Lymphe erhalten hat. Insbesondere hat er, wenn er Lymphe zur späteren eigenen Verwendung oder zur Abgabe an andere Aerzte aufbewahren will, den Namen der Impflinge, von denen die Lymphe abgenommen worden ist, und den Tag der erfolgten Abnahme aufzuzeichnen, Die Lymphe selbst ist derart zu bezeichnen, daß später über die Abstammung derselben ein Zweifel nicht entstehen kann. Die Aufzeichnungen sind bis zum Schluffe des nachfolgenden Kalenderjahres aufzubewahren. 8. 8. Die Abnahme der Lymphe darf nicht später als am gleichnamigen Tage der auf die Impfung folgenden Woche stattfinden. Die Blattern, welche zur Entnahme der Lymphe dienen sollen, müssen reif und unverletzt sein und auf einem nur mäßig entzündeten Boden stehen. Blattern, welche den Ausgangspunkt für Rothlauf gebildet haben, dürfen in keinem Falle zum Abimpfen benutzt werden. Mindestens zwei Blattern müssen am Impfling uner-öffnet bleiben. 8. 9. Die Eröffnung der Blattern geschieht durch Stiche oder Schnittchen. Das Quetschen der Blattern oder das Drücken ihrer Umgebung zur Vermehrung der Lymphmenge ist zu vermeiden. 8- 10. Nur solche Lymphe darf benutzt werden, welche freiwillig austritt und, mit bloßem Auge betrachtet, weder Blut noch Eiter enthält. Uebelriechende oder sehr dünnflüssige Lymphe ist zu verwerfen. 8- 11. Nur reinstes Glyzerin darf mit der Lymphe vermischt werden. ...

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... 16-Es empfiehlt sich, die Kinder nicht früher zu impfen, als bis sie das Alter von 3 Monaten überschritten haben. Kinder, welche an schweren akuten oder chronischen, die Ernährung stark beeinträchtigenden oder die Säfte verändernden Krankheiten leiden, sollen in der Regel nicht geimpft und nicht wiedergeimpft werden. Ausnahmen sind (namentlich beim Auftreten der natürlichen Pocken) gestattet und werden dem Ermessen des Jmpfarztes anheimgegeben. 8. 17. Die zur Impfung bestimmten Instrumente müssen rein sein und vor jeder Impfung eines neuen Impflings mittels Wassers und Abtrocknung gereinigt werden. Zur Abtrocknung dürfen jedoch nicht Handtücher und dergleichen, sondern nur Karbol- oder Salicylwatte verwendet werden. Instrumente, welche eine gründliche Reinigung nicht gestatten, dürfen nicht gebraucht werden. Die Instrumente zu anderen Operationen als zum Impfen zu verwenden, ist verboten. §. 18. Zum Anfeuchten der trockenen Lymphe ist reines Wasser oder Glycerin oder eine Mischung von beiden zu verwenden. 8. 19. Die Impfung wird der Regel nach an den Oberarmen vorgenommen. Bei Erstimpflingen genügen 3 bis 5 seichte Schnitte von höchstens 1 ein Länge oder ebenso viele oberflächliche Stiche an jedem Arme; bei Wiederimpflingen 5 bis 8 seichte Schnitte oder Stiche an einem Arme. Stärkere Blutungen find beim Impfen zu vermeiden. Das Auftragen der Lymphe mit dem Pinsel ist verboten. 8-20. Die Erstimpfung hat als erfolgreich zu gelten, wenn mindestens zwei Blattern zur regelmäßigen Entwickelung gekommen sind. In Fällen, in welchen nur eine Blatter zur regelmäßigen Entwickelung gekommen ist, hat sofort Autorevaccination oder nochmalige Impfung stattzufinden. Jedoch ist gleichzeitig der Impfschein (Formular I) auszustellen. ...
... Auch nach dem Impfen ist möglichst große Reinhaltung des Impflinges die wichtigste Pflicht. 8- 4. Wenn das tägliche Baden des Impflinges nicht ausführbar ist, so versäume man wenigstens die tägliche sorgfältige Abwaschung nicht. 8. 5. Die Nahrung des Kindes bleibe unverändert. 8- 6. Bei günstigem Wetter darf dasselbe ins Freie gebracht werden. Man vermeide im Hochsommer nur die heißesten Tagesstunden und die direkte Sonnenhitze. 8- 7. Die Impfstellen sind mit der größten Sorgfalt vor dem Aufreiben, Zerkratzen und vor Beschmutzung zu bewahren. Die Hemdärmel müssen hinreichend weit sein, damit sie nicht durch Scheuern die Impfstellen reizen. 8. 8. Nach der erfolgreichen Impfung zeigen sich vom vierten Tage ab kleine Bläschen, welche sich in der Regel bis zum neunten Tage unter mäßigem Fieber vergrößern und zu erhabenen, von einem rothen Entzündungshofe umgebenen Schutzpocken entwickeln. Dieselben enthalten eine klare Flüssigkeit, welche sich am achten Tage zu trüben beginnt. Vom zehnten bis zwölften Tage beginnen die Pocken zu einem Schorfe einzutrocknen, der nach 3 bis 4 Wochen von selbst abfällt. Die Entnahme der Lymphe zum Zwecke weiterer Impfung ist schmerzlos und bringt dem Kinde keinen Nachtheil. Wird sie unterlassen, so pflegen sich die Pocken von selbst zu öffnen. ...


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