... Wir Aerzte verlassen uns ja auch nicht auf eine einzige Revaccination, söndern impfen uns, weil wir uns häufiger als Andere der Gefahr der Ansteckung aussetzen müssen, so oft als thunlich wieder in der Ueberzeugung, daß in vielen Fällen eine einzige Revaccination noch nicht genügend schützt. Auch der Schutz, welchen die Revaccination bewirkt, ist von verschiedener Dauer, aber die Erfahrung hat gelehrt, daß er im Allgemeinen zur Abwehr der Pockengefahr genügend ist. Der Vortheil, welchen die gleichmäßige Impfung und Wiederimpfung einer Bevölkerung schafft, hat sich schon unverkennbar herausgestellt. Die Bevölkerung von Deutschland ist zwar nicht absolut, aber doch verhältnißmäßig immun gemacht. Wir entziehen dadurch der Seuche so viel Boden, daß sie überhaupt unter unserer Bevölkerung keinen rechten Fuß mehr fassen kann, obgleich unter derselben noch recht viel Menschen sein mögen, die nicht ganz immun gegen Pocken sind. Sodann freut es mich noch, konstatiren zu können, daß die Herren Dr. Böing und Dr. Weber sich bei dieser These dazu verstanden haben, eine Immunität nach der Impfung zuzugestehen. Die beiden Herren haben ja bei den Thesen 1 und 2 das Zustandekommen einer Immunität überhaupt bestritten- während sie jetzt anerkennen, daß wenigstens ein gewisser Grad von Immunität durch die Impfung erzielt wird, oder, mit anderen Worten, daß die Impfung einen gewissen Schutz verleiht. Ob der Schutz nur ein Jahr oder zehn Jahre dauert, darüber läßt sich ja streiten, aber daß die Menschen durch die Impfung gegen die Pockenkrankheit immun zu machen sind, wenn auch nur für eine gewisse Zeit, ist doch ein großer Vortheil. ... ... Wir impfen bekanntlich beim Eintritte in die Armee jeden Eintretenden wieder, und die Resultate zeigen, daß dann die Revaccination den besten Boden findet, daß sich eine Menge Pusteln entwickeln und die Erfolge als günstig bezeichnet werden können. Wir werden aber abwarten müssen, wie die Sache sich stellt, wenn solche Leute eintreten, die im 12. Jahre revaccinirt sind, und werden dann nicht ermangeln, später die Erfahrungen mitzutheilen. Herr Or. Weber: Ich möchte an die Bemerkung de» Herrn Geheimrathes Or. Koch anschließen, daß diese theoretischen Erwägungen nicht für die Gesetzgebung benutzt werden können. Jedenfalls aber sind sie dazu benutzt worden, um nachzuweisen, daß ich mich in einen Widerspruch gesetzt hätte mit meiner vorigen Abstimmung. Es brauchte so schwierig gar nicht zu sein, mich nicht mißzuverstehen; ich habe genau unterschieden zwischen permanent einwirkenden Krankheitsursachen, die allmälig den Körper dazu zwingen, sich den kränkenden Bedingungen seines Daseins anzupassen, und andererseits nur zeitweise und vorübergehend andringenden Krankheitserregern, und dazu rechne ich die in unbestimmten Perioden auftauchenden Infektionskrankheiten, für deren Erscheinen es keine Gesetze giebt, wie z. B. Cholera, Typhus, Ruhr, bei denen es denkbar ist, dagegen unempfänglich zu werden, nachdem man die Anläufe der Krankheit überwunden hat, aber nur für einen verhältnißmäßig kurzen Zeitraum, den ich nicht zu bestimmen wage, der aber auch schon nach 6 bis 8 Wochen abgelaufen sein kann. Diese Analogie habe ich auch aus die Pocken übertragen. ...
| Abb. der Originalseite (Image-Nr.: bsb00018455_00075) |