... Meine Herren, man sagt uns zwar, daß in dem Gesetz harte Sühne vorgesehen sei für alle Fälle, wo durch das Verschulden des Arztes, durch das Impfen Unglück angerichtet werde. Ja, meine Herren, ganz abgesehen davon, daß das ein sehr schlechter Trost für das betroffene Opfer ist, so zeigt uns auch der Verlauf der verschiedenen Jmpfprozesse, daß das Gesetz meist ein todter Buchstabe bleibt. Meine Herren, damit hängt dann aber auch noch zusammen — und das ist ein Hauptmoment, auf das ich einen Werth lege —, daß durch dieses Gesetz unser Richterstand, auf den wir stolz sein dürfen, häufig in eine schwierige Lage gebracht wird, weil in einem solchen Jmpfprozesse der Richter sich lediglich auf das Urtheil des Sachverständigen, also hier des Arztes, angewiesen sieht, also desjenigen, der bei der That ohne große Selbstverleugnung kaum mehr die nöthige Objektivität und Unparteilichkeit bewahren kann, besonders dann nicht, wenn er in dieser Frage schon engagirt ist. (Zuruf: lauter!) — Meine Herren, Sie verstehen ganz wohl; ich bin freilich kein so gewandter Redner wie die Führer, die sonst zu Ihnen zu sprechen pflegen, — deshalb müssen Sie eben etwas Nachsicht haben, wenn Sie ein paar Sekunden länger warten müssen, als bei jenen Herren. Meine Herren, lassen Sie sich von der Annahme meines Antrags nicht durch das Vorbringen irre machen, daß Sie dadurch dem Eindringen einer Epidemie Vorschub leisten. ... ... Der Antrag des Herrn Korreferenten hat auch darum volle Berechtigung, weil, wenn das Impfen hilft, ein Zwang nicht nöthig ist. Ganz richtig hat vor 11 Jahren das Obermedizinalkollegium in Sachsen erklärt, daß, wenn es auch für das Impfen sei, es doch sich absolut gegen den Zwang aussprechen müsse, weil die 8 bis 9 Prozent, die sich der Impfung noch entzögen, durch Belehrung gewonnen werden könnten. Meine Herren, das ist der richtige Standpunkt, den wollen wir einnehmen. Es soll jeder sich impfen lassen können, aber wir wollen einen Zwang aufheben, der unberechtigt und unhaltbar ist. Sollten sich aber gegen Erwarten für unseren Eventualantrag hier im Plenum eine Mehrheit nicht finden, dann richte ich von dieser Stelle aus an den Herrn Reichskanzler die dringende Bitte, es wolle derselbe seinen ganzen Einfluß dahin geltend machen, daß das Reichsgesundheitsamt die Kommission, die hier beabsichtigt wird, wirklich auch ins Leben treten läßt, und daß sie in der Weise, wie wir dies vorgeschlagen haben, zusammengesetzt werde. Meine Herren, ich mache noch darauf aufmerksam, daß nach meiner Ueberzeugung diese Frage auch eine tiefere politische Bedeutung hat, viel mehr, als man namentlich in Regierungskreisen anzunehmen scheint. Meine Herren, lassen Sie mich mit dem, wenn auch vielfach mißbräuchlich verwertheten, hier aber gewiß zutreffenden Ausspruch Montesquieus schließen: es gibt keine grausamere Tyrannei, als diejenige, die unter dem Schutze der Gesetze und unter der Fahne der Justiz ausgeübt wird. (Bravo! rechts.) Präsident: Die Herren Abgeordneten Freiherr von Beaulieu-Marconnay und von Waldow haben den Schluß der Diskussion beantragt. ...
| Abb. der Originalseite (Image-Nr.: bsb00018441_00555) |